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Regierungswechsel Wie das Ausland den Regierungswechsel sieht

Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundestagspraesidentin Baerbel Bas bei der Vereidigung der neuen Bundesregierung in Berlin
Bundeskanzler Olaf Scholz und Bundestagspraesidentin Baerbel Bas bei der Vereidigung der neuen Bundesregierung in Berlin
© IMAGO / photothek
Internationale Medien schauen auf die sich abzeichnenden Sollbruchstellen der neuen Dreierkonstellation im Bund – und beäugen die kleineren Parteien

Auf den Zapfenstreich für Angela Merkel folgte die Amtsübergabe an Olaf Scholz. Der SPD-Politiker ist als Bundeskanzler vereidigt, die neue Ampel-Koalition kann mit dem Regieren beginnen. Internationale Medien schauen auf die sich abzeichnenden Sollbruchstellen der ungewohnten Dreierkonstellation und beäugen die kleineren Parteien. Während das Ereignis in Asien kaum beachtet wird, umgarnt Peking die neue Regierung und bietet öffentlichkeitswirksam vertiefte Beziehungen an.

Financial Times: beispielloses Experiment

Die „Financial Times“ geht zum Regierungswechsel in Berlin auf fünf Sollbruchstellen der neuen Koalition ein. Das „beispiellose politische Experiment” aus Sozialdemokraten, Grünen und Liberalen werde nicht nur von der drastischen Zuspitzung der Coronakrise schneller auf die Probe gestellt werden als erwartet. Bundeskanzler Olaf Scholz habe es inzwischen mit einem viel pessimistischeren Wirtschaftsausblick zu tun als noch bei seinem Wahlsieg im September. Deutschland könnte Experten zufolge langsamer zu alter Form zurückfinden als die gesamte Eurozone. Neben der drohenden Stromlücke zwischen dem Rückbau fossiler und dem Ausbau erneuerbarer Energie sieht das Blatt besonders die Finanzierung der „größten industriellen Modernisierung Deutschlands in hundert Jahren“ (Scholz) als Belastungsprobe heraufziehen: „Streit zwischen den investitionsfreudigen Grünen und der fiskalpolitisch strengeren FDP scheinen programmiert. Diese Quadratur des Kreises könnte eine der größten Hürden dieser Koalition werden.” Aber auch außenpolitisch erwartet die FT eine harte Belastungsprobe in der Frage der Gangart vor allem gegenüber Russland. „Spaltungen könnten einen dunklen Schatten auf den erwarteten Honeymoon werfen.“

New York Times: kein Eid auf Gott

Die „New York Times griff auf, dass der neue Kanzler bei seinem Amtseid im Deutschen Bundestag auf den religiösen Zusatz „so wahr mir Gott helfe“ verzichtet hat. Scholz habe bei dem Eid zur offiziellen Ablösung von Angela Merkel nach 16 Jahren im Kanzleramt die Formel nicht gesprochen – wie schon davor bei seiner Übernahme des Hamburger Bürgermeister- und des Amts im Finanzministerium. Auch seien in Deutschland viele mit Stolz über einen äußerst reibungslosen und harmonischen Machtübergang erfüllt, hob die Tageszeitung weiter hervor – und erinnert dabei an den Sturm auf das heimische Kapitol mit mehreren Toten vor der Amtsübernahme von US-Präsident Joe Biden. Der frühere deutsche UN-Botschafter und langjährige außenpolitische Berater Merkels, Christoph Heusgen, wird mit den Worten zitiert: „Ich bin ein wenig stolz darauf, wie unsere Demokratie diesen Übergang vollzieht – ohne Schadenfreude, ohne Hass, ohne Bosheit.“

Politico: FDP bei Parteispenden vorn

Das europäische Nachrichtenportal „Politico“ rechnet zum Antritt der Ampel-Koalition aus, welche der neuen Regierungsmitglieder 2021 die meisten Parteispenden eingetrieben haben. „Die kleinen Parteien in der neuen Koalition können großen Spendern dankbar dafür sein, dass sie ihnen zur Macht verholfen haben“, heißt es da. Von den insgesamt mehr als 12 Mio. Euro Spenden 2021 habe die FDP mehr als 4,3 Mio. Euro eingeheimst, so das Portal, Bündnis 90/Die Grünen rund 3,4 Mio. Euro – etwas mehr als die ausscheidenden Christdemokraten. „Zuwendungen über 50.000 Euro geben eine Momentaufnahme, wie Großspender versuchen, Politik zu beeinflussen“ – darunter seien ganze 32 für die FDP und elf für die Grünen gewesen. Von den FDP-Großspendern 2021 werden Georg Jakob Kofler sowie die Einzelhandelskette Woolworth und die Schwesterfirma Tedi genannt, sowie die Investmentgesellschaft Flossbach von Storch. Bei den Grünen ragten die Spender Steven Schuurman und Moritz Schmidt mit 1 Mio. Euro beziehungsweise 750.000 Euro heraus.

Frankreich: Kontinuität nur im Stil

Nach Ansicht der renommierten französischen Tageszeitung „La Croix“ verbirgt sich hinter der von Olaf Scholz signalisierten Kontinuität in Wahrheit der Aufbruch in eine Ära von ehrgeizigen Reformen, „die für seine Nachbarn – angefangen mit Frankreich – recht unbequem sein werden“. Die neue Ampel-Koalition wolle Europa föderaler aufstellen als bisher, und auch das Ziel, bis 2030 rund 80 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen zu schöpfen, werde die EU herausfordern. „Ferne Ziele, die – wenn nicht im Widerspruch zu denen von Emmanuel Macron – laut „La Croix“ Frankreich und Deutschland mindestens beträchtliche Kompromissbereitschaft abfordern werden, „wenn sie eine Lähmung Europas verhindern wollen.“ Der „Figaro warnt vorbeugend schon vor Missverständnissen: „Für Paris muss sich ein standhaftes Europa an seiner Fähigkeit der Krisenintervention messen, was eine militärische Dimension beinhaltet“, wobei Deutschland nun eher an ein europäisches Außenministerium denke und an einen Verzicht auf die Einstimmigkeitsregel in der Außenpolitik. "Im Spiel der Machtverhältnisse führt ein europäischeres Deutschland zu einem deutscheren Europa", meint die Zeitung.

China: Beziehungen weiterbringen

Nach einer Depesche der staatlichen chinesischen Xinhua-Agentur hat Staatspräsident Xi Jinping dazu aufgerufen, die deutsch-chinesischen Beziehungen auf ein neues Niveau zu heben. In seiner Grußbotschaft an Kanzler Scholz habe Xi vorgeschlagen, aus Anlass der Feiern zum 50. Jahrestag der Aufnahme diplomatischer Beziehungen im nächsten Jahr das gegenseitige politische Vertrauen zu festigen und zu vertiefen sowie den Austausch und die Kooperation in verschiedenen Bereichen auszuweiten. China und Deutschland seien in jeder Hinsicht strategische Partner, so Xi laut Xinhua weiter. Sie hätten im Laufe der Jahre an gegenseitigem Respekt festgehalten, nach Gemeinsamkeiten gesucht und Differenzen beiseite geschoben sowie eine Win-Win-Kooperation angestrebt. Das habe dazu geführt, dass „beide Länder, ihre Völker und die Welt davon profitierten“.

Guardian: Merkel noch nicht zum letzten Mal gesehen

Der britische Guardian kauft der scheidenden Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht ganz ab, dass sie sich endgültig in den Ruhestand verabschieden will. Nach 16 Jahren zermürbender europäischer Gipfeltreffen, langwieriger Koalitionsverhandlungen und ständiger Telefonkonferenzen mit den Staats- und Regierungschefs habe Angela Merkel zwar geschworen, sich in absehbarer Zeit auf ihre flachen schwarzen Schuhe zurückzuziehen und ein paar gute Bücher zu lesen. „Doch neu aufgetauchte Details über ein neues Büro im Zentrum Berlins“, so das Blatt, „und versteckte Andeutungen in Interviews deuten darauf hin, dass die Welt die scheidende deutsche Bundeskanzlerin vielleicht noch nicht zum letzten Mal gesehen hat.“ So habe Merkel Andeutungen zurückgewiesen, sie könnte einen weißen Laborkittel anziehen und in die Forschung zurückkehren – zusammen mit ihrem Mann, der kürzlich seinen Vertrag als leitender Forscher an der Berliner Humboldt-Universität bis 2022 verlängert hat. Gegenüber Reuters habe sie gesagt, sie könne "sich vorstellen, regelmäßig über den Zusammenhang zwischen unserem Wohlstand, Forschung und Innovation zu sprechen – aber ich bin sicher, dass ich nicht wissenschaftlich arbeiten werde."

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