Juan Trippe, Chef der Fluglinie Pan Am, spielte die Lieferanten geschickt aus. Er wünschte sich eine Langstreckenmaschine – zweieinhalb mal größer als die 707 von Boeing und die DC-8 vom Konkurrenten McDonnell Douglas. „Entweder setzt du dich dafür ein, ein größeres Flugzeug zu bauen“, drohte er Boeing-Chef Bill Allen, „oder wir nehmen eine verlängerte DC-8, was ein herber Rückschlag für eure 707 sein wird.“
Allen stand unter Druck. Er hatte einen Auftrag der US-Luftwaffe über 250 Mio. Dollar an Lockheed verloren. Das Militärgeschäft, mit dem Boeing groß geworden war, stockte, die Zivilluftfahrt legte zu.
Allen beorderte seinen Chefingenieur Joe Sutter aus dem Urlaub zurück, stellte ihm 100 Ingenieure zur Seite – und verlangte Großes. Die Mannschaft, intern „die Unglaublichen“ genannt, war schockiert: Eine 747 mit 400 Sitzen lag jenseits aller technischen Maßstäbe. Rumpf, Tragflächen, Fahrwerk. Alles musste in neuen Dimensionen konzipiert werden. Dieses „mystische Monster“ sei „too big to fly“, spotteten Kritiker.
Mühsame Anfangsjahre
Zudem war absehbar, dass das Projekt Boeings Finanzen sprengen würde. Wann würde man Geld verdienen? Unklar. Trotzdem boxte Allen es durch. In einer Sitzung 1966 fragte einer der Aufsichtsräte nach dem Exit. „Aussteigen?“, rief Allen. „Wenn Boeing sagt, wir bauen dieses Flugzeug, dann bauen wir es, selbst wenn es die Ressourcen des gesamten Unternehmens verbraucht.“
Es war eine der kühnsten Entscheidungen der Wirtschaftsgeschichte, und sie bedrohte Boeings Existenz. Das Projekt wurde zunächst nur per Handschlag besiegelt – mit dem legendären Versprechen von Trippe: „Wenn Sie es bauen, dann kaufe ich es.“ Allen antwortete: „Wenn Sie es kaufen, baue ich es.“
Drei Jahre später hob die 747 zum Jungfernflug ab. „Was machen Sie, wenn sie abstürzt?“, fragte ein Besucher Allen. „Lassen Sie uns über Angenehmeres sprechen“, sagte der. „Zum Beispiel über einen Atomkrieg.“
Es folgten harte Jahre. Der Verkauf lief mühsam an, die Branche geriet in die Krise. Bis 1971 musste Boeing 60 Prozent der Belegschaft entlassen. Im Rückblick war die 747 ein Meilenstein: Bis heute hält der Jumbo mit über 1500 Stück den Verkaufsrekord der zivilen Luftfahrt. 2005 baute Airbus zwar den noch größeren A380 – dessen Einstellung ist bereits beschlossene Sache.
Die Produktion des Jumbo-Jets lief Ende 2022 aus, die letzte Maschine wurde am 31. Januar an die Frachtfluggesellschaft Atlas Air übergeben. Damit endet eine Ära. Die Zeit der Großraumflieger scheint vorbei, denn die Fluggesellschaften ordern immer weniger dieser Maschinen. Sie rentieren sich nicht mehr. Die Corona-Krise gab der 747 den Rest: Angesichts des massiven Einbruchs im Flugverkehr werden weniger Langstreckenjets benötigt.
Hauptperson
William McPherson „Bill“ Allen wurde 1900 im US-Staat Montana geboren. Mit gerade mal 30 Jahren zog der Jurist in den Boeing-Aufsichtsrat. Er arbeitete zunächst weiter in einer Kanzlei in Seattle. Nach dem Tod von Boeing-Chef Philip G. Johnson 1944 wurde Allen dessen Nachfolger. Kein Nicht-Ingenieur habe dazu die Fähigkeit, hieß es damals. Allen traf bahnbrechende Entscheidungen. Das „Fortune“-Magazin kürte ihn zu einem der wichtigsten CEOs aller Zeiten.
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