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Gastbeitrag Wem gehören die Daten autonomer Autos?

Die Schweizer Polizei hat E-Autos von Tesla im Einsatz. Zuvor mussten datenschutzrechtliche Bedenken ausgeräumt werden
Die Schweizer Polizei hat E-Autos von Tesla im Einsatz. Zuvor mussten datenschutzrechtliche Bedenken ausgeräumt werden
© Geisser / IMAGO
Selbstfahrenden Autos gehört langfristig die Zukunft. Bei softwarebasierten Fahrsystemen ergeben sich insbesondere im Umgang mit den erfassten Daten neue Fragestellungen und Herausforderungen. Sascha Hesse nennt fünf Beispiele

#1 Das Fahrzeug sendet permanent Daten

Sascha Hesse ist CEO der Datenschutzberatung Agor. Seit mehr als zehn Jahren berät er Unternehmen bei digitalen Transformationsprozessen und Business Development-Projekten
Sascha Hesse ist CEO der Datenschutzberatung Agor. Seit mehr als zehn Jahren berät er Unternehmen bei digitalen Transformationsprozessen und Business Development-Projekten
© PR

Tesla-Chef Elon Musk jubelte, als sich die Schweizer Polizei 2018 sieben vollelektrische, teilautonom fahrende Teslas des Typs X 100D als Streifenwagen zulegte. „Die Schweizer Polizei ist schlau“, twitterte er. „Die bösen Jungs werden definitiv nicht entkommen.“ Tatsächlich waren die Basler Polizisten damals weltweit die ersten Gesetzeshüter, die PS-starke, zum Teil automatisiert fahrende Teslas als Streifenwagen erhalten sollten. Doch sie mussten lange auf den ersten Einsatz der Fahrzeuge warten.

Denn Schweizer Datenexperten kamen Zweifel auf: Da die rollenden Computer stetig mit Servern in den USA verbunden waren und jede Menge Daten bis hin zum Verhalten des Fahrers an den Hersteller Tesla übertrugen, sah sich der kantonale Datenschutzbeauftragte zum Einschreiten genötigt. Datenschutzrechtlich gesehen sind die USA für die Schweiz ein sogenannter Drittstaat.

Immerhin acht rechtlich heikle Punkte fand der Datenschutzexperte. Es dauerte mehrere Monate, bis diese datenrechtlichen Schwachstellen ausgeräumt waren. So war etwa technisch auszuschließen, dass Tesla ohne vorherige Prüfung durch den Datenschutzbeauftragten Änderungen der Hard- und Software automatisch während des Betriebs der Fahrzeuge durchführt, wie es normalerweise bei Tesla-Kunden der Fall ist.

#2 Wer haftet bei Softwarefehlern?

Wer im Straßenverkehr ein Auto bewegen möchte, muss es zulassen und auch versichern – so schreiben es das Straßenverkehrsgesetz und die Straßenverkehrsordnung vor. Der Fahrer haftet, wenn durch den Betrieb des Fahrzeugs ein Schaden entsteht, aber auch der Halter des Fahrzeugs ist in der Verantwortung. Dabei geht es um die Gefährdungshaftung, denn ein Auto wird als „gefährlich“ eingestuft. Geschädigte können sowohl den Fahrer als auch den Halter des Fahrzeugs verklagen – beide müssen ja nicht zwangsläufig identisch sein.

Durch das teilautonome Fahren, wie es auf deutschen Straßen bereits stattfindet, tritt ein Dritter hinzu. Dieser Dritte ist der Hersteller des automatisierten Fahrzeugsystems und der Software, die das Auto „in der Spur“ hält. Hier kommt die sogenannte Produkthaftung zum Tragen. Fahrzeughersteller haften für technische Fehler des Fahrzeugs, wenn durch sie jemand getötet wurde, Körper- oder Gesundheitsverletzungen eingetreten sind oder andere Sachen als das Fahrzeug selbst beschädigt wurden. Dabei kann ein Hersteller auch für einen Fehler von Zulieferern haften, etwa wenn die eingesetzte Software nicht richtig funktioniert hat.

Damit die Produkthaftung greift, müssen der Halter, Fahrer oder die Versicherung dem Hersteller aber einen Fehler bei der Konstruktion oder Programmierung des Fahrzeugs nachweisen. Und genau das ist alles andere als einfach. Wie soll man als Betroffener oder als sein Versicherer beweisen, dass die Software einen Fehler verursacht hat?

#3 Wer klärt bei Unfällen die Schuldfrage?

Das Problem der Schuldfeststellung besteht bei einem Verkehrsunfall schon immer. Aber beim teilautonomen Fahren wird das Ganze noch komplizierter. In der Praxis schieben sich die Beteiligten wahrscheinlich munter gegenseitig die Schuld in die Schuhe, Beweisführungen dürften sich als sehr schwierig erweisen. Für fundierte Schuldfeststellungen braucht es vermutlich zunehmend IT-Forensiker, die automatisierte Systeme unter die Lupe nehmen. In der Folge ziehen sich die Prozesse in die Länge und werden teurer, was Versicherer wiederum einpreisen.

Jeder Fahrer eines teilautonomen Fahrzeugs zahlt die mit der neuen Technik angeblich gewonnene Sicherheit bereits heute doppelt: Einmal über den höheren Fahrzeugpreis, ein zweites Mal über die vergleichsweise gestiegenen Versicherungskosten.

#4 Wem gehören die Daten?

Doch halt: Das Auto weiß doch im Prinzip genau, was bei einem Unfall passiert ist. Können die im Auto gespeicherten oder an Server übertragenen Daten nicht helfen? Der Computer erfasst ja permanent das komplette Umfeld des Fahrzeugs und jede Bewegung. Theoretisch ließe sich daher – wie bei der Auswertung eines Flugschreibers – ein Unfallgeschehen leichter rekonstruieren und so die Beweisführung (auch in einem möglichen Strafprozess) erleichtern, oder?

Doch so einfach ist es leider nicht: Denn wem gehören die Daten überhaupt? Dem Hersteller des Autos, dem Fahrer, dem Halter? Im Kleingedruckten versuchen die Hersteller natürlich, den Zugriff einzuschränken. Aber wer liest das beim Autokauf schon genau? Im Prinzip sind die entsprechenden Verträge nichts anderes als sogenannte Click-Wrap-Verträge, bei denen Internetnutzer ihre Einverständniserklärung zu einem Kaufabschluss per Mausklick abgeben.

Liegen doch Daten vor, stellt sich wiederum die Frage, welche davon im Zweifel überhaupt herangezogen werden dürfen. Wer bei einem Verkehrsunfall am Ende haftet oder zu welchem Teil, klärt sich in der Praxis daher vermutlich meist erst nach langer Beweisführung. Liegt auf beiden Seiten ein Mitverschulden vor, kommen sogenannte Haftungsquoten ins Spiel. Sie sollen für eine gerechte Aufteilung der Haftung sorgen – etwa 70 zu 30 oder 50 zu 50.

#5 Wie soll das Auto im Ernstfall entscheiden?

Keine Frage: Das teilautonome Fahren schafft in Haftungsfragen neue Herausforderungen. Wer steht für Schäden gerade, die Dritten durch Fehler softwaregesteuerter Systeme entstanden sind? Doch noch viel entscheidender dürfte sein, wie sich immer automatisierter fahrende Autos verhalten, wenn es im Ernstfall um Leib und Leben geht. Wie reagiert ein „intelligentes Fahrzeug“, wenn ein Kind auf die Fahrbahn läuft oder ein Fahrzeug aus dem Gegenverkehr in die eigene Spur schleudert. Was passiert dann nach welchen Prinzipien? Entwickler selbstfahrender Autos werden die drängende Frage beantworten müssen, wie sie die Systeme für alle erdenklichen Unfallszenarien programmieren.

Schreckliche Situationen sind denkbar: Ein Kind rennt plötzlich auf die Fahrbahn. Soll ein selbstfahrendes Fahrzeug jetzt bremsen und möglicherweise trotzdem das Kind verletzen oder gar töten? Oder soll es nach links in den Gegenverkehr oder nach rechts auf den Gehweg ausweichen, auf dem sich ein älterer Mann mit Rollator befindet? Ein menschlicher Fahrer würde in der Schrecksekunde reflexartig und kaum vorhersehbar reagieren. Doch ein mit Sensoren, Abstandsmessern und Kameras ausgestattetes, selbstfahrendes Auto kann theoretisch darauf programmiert sein, beim Unfallausgang das geringste Übel zu wählen.

Doch was ist bei diesem Beispiel der weniger schlimme Ausgang? Per Gesichtserkennung könnte das System theoretisch im Bruchteil einer Sekunde das Alter der jeweils potenziellen Unfallbeteiligten berechnen und dann im geschilderten Fall entscheiden, auf den Gehweg mit dem betagten Mann auszuweichen, um das Kind zu schützen. Ist das fair? Oder das Auto könnte in den Gegenverkehr lenken und den Fahrer selbst sowie die Insassen des anderen Fahrzeugs in Todesgefahr bringen.

Die Kernfrage ist: Darf ein Computer in einem selbstfahrenden Fahrzeug im Ernstfall über Leben und Tod entscheiden? Oder soll lieber ein Zufallsgenerator festlegen, wohin ein Unfallfahrzeug steuert? Einfache Antworten wird es auf diese ethischen Grundsatzfragen vermutlich nicht geben, das steht fest.

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