Ines Zöttl schreibt jeden Mittwoch über internationale Wirtschafts- und Politikthemen.
Neun Monate nach Antritt der zweiten Amtszeit hat der Präsident die Botschaft seiner Präsidentschaft gesetzt. Sie lautet: Ich bin dann mal weg. Der Oberbefehlshaber der Streitkräfte hat die Verantwortung für einen Militärschlag in Syrien an den Kongress delegiert.
Taktisch schien das zumindest anfänglich ein kluger Schachzug, um sich Rückhalt bei den Abgeordneten und Senatoren zu verschaffen. Inzwischen scheint es möglich, dass Barack Obama eine Abstimmungsniederlage kassiert. Er würde damit schlagartig zu einer der lahmsten Enten, die je durch den Rosengarten des Weißen Hauses spaziert sind. Man mag sich nicht ausmalen, wie viel Autorität ein US-Präsident in der Welt noch hätte, der zu Hause derart abgemeiert wurde.
Demokratietheoretisch schätzt man es als Europäer durchaus, wenn nicht ein Einzelner, sondern die Mehrheit entscheidet. Aber das US-System sieht in der Außenpolitik keinen Parlamentsvorbehalt vor, dort kann der Präsident allein über einen Militärschlag entscheiden. Dass Obama auf dieses Recht verzichtet, ist mehr als Taktik: Dieser Präsident will gar nicht über Krieg und Frieden entscheiden. Er will eigentlich am liebsten überhaupt keine Außenpolitik betreiben. Und zumindest in diesem Punkt befindet er sich in bestem Einvernehmen mit dem Volk und seinen Vertretern: Die Amerikaner sind erstens kriegs- und zweitens generell einmischungsmüde.
Keine Lust mehr auf Weltpolizist
Amerika, das wurde schon im Präsidentschaftswahlkampf deutlich, würde gerne zurück in den Isolationismus. Oder wie Obama sinngemäß gesagt hat: Nation Building findet ab sofort zu Hause statt. Den Weltpolizisten dürstet nach dem Vorruhestand. Er will seinen Vorgarten pflegen, statt woanders Beete zu zertrampeln. In aller Deutlichkeit hat das Ted Cruz, republikanischer Senator vor Texas und einer der aufstrebenden Politstars in den USA, nun in der Washington Post geschrieben: "Es ist nicht der Job der US-Truppen, internationale Normen durchzusetzen."
Nur: Wessen dann? Wer soll, wer will den Job übernehmen? Die multilaterale Ordnung, die die Europäer (im Chor mit Obama) seit Jahr und Tag besingen, ist eine Schimäre. Zwar wurden eine Reihe von Regeln und Vereinbarungen im Völkerrecht etabliert: Dazu gehört, dass ein Angriff der USA in Syrien ohne Uno-Mandat rechtswidrig wäre. Aber auch, dass der Einsatz von Giftgas verboten ist. Und es gibt die Verpflichtung, Bürger eines Staates zu schützen, auch wenn dabei dessen Souveränität verletzt wird: die „responsibility to protect“.
Doch Regeln sind immer nur so viel wert wie der Apparat, der sie durchsetzt. Der fehlt. Der Sicherheitsrat ist blockiert, weil die Vetomächte Russland und China ihre Hand über Leute wie Baschar al-Assad halten. Aus viele Gründen, im Falle Russlands auch schlicht aus prinzipieller Rivalität: Je blöder es für die Amerikaner läuft, desto besser findet das Putin im Kreml. China zuckt nur dann hoch, wenn es unmittelbar die eigenen Interessen tangiert sieht. Das mag sich irgendwann ändern, aber ist Peking vor allem darauf fixiert, reich zu werden.
Bei allen Versuchen, die Handlungsunfähigkeit des Sicherheitsrats durch eine Reform zu verbessern, beißt sich die Katze in den Schwanz. Die Blockierer hängen an der Möglichkeit zu blockieren. Auch der amtsmüde US-Polizist möchte selbstredend Dienstausweis und Waffe nicht abgeben.
Gemeinsamkeit als Fassade
Wenn schon nicht die Weltregierung funktioniert, dann doch wenigstens die G20? Die Aufstockung der alten G7/G8-Konstellation sollte den Schwellenländern den Einfluss geben, den sie wirtschaftlich längst haben. Aber, wo sind in der Syrien-Debatte eigentlich das B oder I aus den Brics: Weder Brasilien noch Indien lassen Interesse erkennen, in den Polizeidienst einzutreten. Sie haben alle gerade daheim genug Ärger am Hals.
Die Europäer schließlich sind vollends damit ausgelastet, eine Art Gemeinsamkeit aufrechtzuerhalten, wenn schon nicht inhaltlich, dann wenigstens als Fassade. Um dieses hehren Ziels nimmt es die Bundeskanzlerin auf sich, sich auf der Petersburger Bühne zum Clown zu machen. Eine Haltung dagegen hat sie in der Syrien-Frage bislang nicht offenbart. Das einzige Motiv, das sie antreibt ist offensichtlich die Angst irgendjemand zu verärgern: Am Ende wird entscheiden, ob Merkel glaubt, eher Obamas Ärger oder den der Wähler in Kauf nehmen zu können.
Die Stelle als Weltpolizist ist frei. Geboten werden eingeschränkte Gestaltungsmöglichkeiten bei magerer Honorierung auf einem Posten mit zunehmenden schlechtem sozialen Ansehen. Gefragt sind überdurchschnittliches Engagement außerhalb fester Zeiten sowie die Bereitschaft, eigene Ressourcen auszuschöpfen und die eigenen Interessen dem Gemeinwohl unterzuordnen. Geboten wird der Zugang zu einem exklusiven globalen Netzwerk aus Mitentscheidern. Die Tätigkeit ist reiseintensiv. Bewerbungen bitte zeitnah an Ban Ki-moon, Vereinte Nationen, New York.
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