Ines Zöttl schreibt jeden Mittwoch über internationale Wirtschafts- und Politikthemen.
Kann man aus der Geschichte lernen? Dazu ist im Laufe derselben eine Menge Kluges gesagt und geschrieben worden. Zur aktuellen Debatte aber passt am besten ein Zitat, das aus einer der vielen Online-Aphorismensammlungen stammt: Der deutsche Germanist und Philosoph Dr. Carl Peter Fröhling soll gesagt haben: Aus der Geschichte lernt nur der, der sie richtig zu befragen versteht. Das war vermutlich von ihm nicht ironisch gemeint, mich aber erinnert dieser Satz trotzdem an einen anderen Spruch: Glaube nur der Statistik, die Du selbst gefälscht hast.
Im Fall Syriens hat das Lernen aus der Geschichte mal wieder Hochkonjunktur. Ein Militärschlag der USA steht womöglich kurz bevor. Also, was liegt näher – auch zeitlich -, als Parallelen zu vermeintlich ähnlichen Ereignissen zu ziehen und in der Rückschau aus den Fehlern und Erfolgen zu lernen? Als da wären Irak, Kosovo, Afghanistan.
Also befragen wir die Geschichte: Irak, war das nicht jener Krieg, der so vollkommen schief gegangen ist? Wo die Amerikaner mit all ihrer militärischen Power intervenierten, aber nicht Frieden brachten. Sondern nach dem Abzug ein Land zurückließen, in dem nun Bürgerkrieg herrscht? Lernen wir daraus, sagen die Gegner einer Syrien-Intervention, lassen wir die Finger von den Waffen. Wir können das Chaos und die Gewalt nur vergrößern.
Falsche Parallele, argumentieren die Befürworter, die Geschichte hat doch gezeigt, dass es funktioniert: Hat nicht das militärische Eingreifen den Menschenrechtsverletzer Slobodan Milosevic an den Verhandlungstisch gezwungen und letztlich zum Friedensabkommen von Dayton geführt? So wie der Mord an 8000 bosnischen Muslimen im Juli 1995 in Srebrenica das Zuschauen des Westens beendete, sei mit dem Giftgasmassaker von Damaskus der Moment zum Eingreifen gekommen.
Vergleiche werden instrumentalisiert
Und dann ist da noch der Afghanistan-Vergleich, die der frühere britische Außenminister und heutige Chef der Hilfsorganisation International Rescue Committee David Miliband gerade in einem Beitrag für die „Financial Times“ gezogen hat: Die humanitäre Katastrophe in Syrien gleiche „im Ausmaß und der Komplexität“ weniger dem Völkermord in Ruanda (noch so eine Parallele) als dem Exodus in Afghanistan nach der Intervention der Sowjets 1979.
Alle diese Beobachtungen sind richtig. Aber auch historische Vergleiche hinken eben in der Regel. So wie der Irak nie Vietnam war, war Vietnam nicht der Koreakrieg, und der Koreakrieg nicht der anglo-afghanische Krieg oder sonst einer. Vergleiche dienen meist nicht dem Zweck, wirklich aus der Geschichte zu lernen. Sie werden instrumentalisiert. Oder sie sind der verzweifelte Versuch, sich selbst Unbegreifliches – wie das, was in Syrien vorgeht – irgendwie begreiflich und „handhabbar“ zu machen.
Hinter dem aktuellen Syrien-Irak-Vergleich steht oft eine Haltung, nicht ein Argument: Die Überzeugung, dass die USA eine kriegslüsterne Nation sind, die den Plan verfolgen, sich die Welt zu unterwerfen und dabei vor der Fälschung von Beweisen selbstredend nicht zurückschrecken. Selbst wenn man dies grundsätzlich glaubt (was ich nicht tue), spricht im Fall von Obama doch wenig dafür: Der gegenwärtige Präsident der USA hätte sich ganz offensichtlich am liebsten aus dem Schlamassel rausgehalten. Seine „rote Linie“ diente nicht dazu, einen willkommenen Kriegsgrund zu liefern, sondern war Drohungsrhetorik. Er steckt nun in der Falle, Worten Taten folgen lassen zu müssen. Der US-Präsident ist Getriebener der Ereignisse, nicht Akteur.
Die Frage aller Fragen
Aber auch der Bosnien-Vergleich hat Schwächen. Das moralische „Nie wieder“ ist eine Kategorie der Außenpolitik, Erfolgsaussichten sind eine weitere. Die Nato-Operation „Deliberate Force" mag dazu beigetragen haben, Milosevic an den Verhandlungstisch zu bringen. Aber Assad ist eben nicht Milosevic. Die Erfahrungen der vergangenen zwei Jahre lassen es nicht ausgeschlossen erscheinen, dass er auf einen Angriff statt mit Einlenken mit einem tödlichen Feuersturm des „Jetzt erst recht“ reagiert. Es gab seit Beginn des Konflikts schon öfter den Punkt, an dem es auch aus seiner Sicht rational schien, einer politischen Lösung zuzustimmen. Er hat sich für die totale Konfrontation entschieden.
Historische Vergleiche können keine Handreichung liefern, was in einer konkreten aktuellen Situation zu tun ist. Schließlich haben die Philosophen, Historiker und Literaten nicht einmal die grundsätzliche Frage beantwortet: Gibt es Fortschritt in der Geschichte?
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