Seit mittlerweile zwei Tagen blockiert die havarierte MV Ever Given den Suezkanal – und der Stau zu beiden Seiten der Wasserstraße wird länger und länger. Mehr als 150 Schiffe warten unmittelbar vor dem Kanal darauf, dass der Schifffahrtsverkehr wieder freigegeben wird. Bis das 224.000 Tonnen schwere Schiff den Kanal endgültig frei gibt, könnte es noch mehrere Tage dauern.
Die Blockade des Suezkanals vertieft die Sorgen im maritimen Welthandel. Die Coronapandemie hat zuletzt für einen regelrechten Nachfrageboom gesorgt. Container sind seitdem Mangelware und auf Containerschiffen und an Häfen macht sich ein Warenstau bemerkbar . Wenn die Blockade länger anhält, könnten einige Schiffe die Route ändern und über das Kap der guten Hoffnung fahren. Bei einer Geschwindigkeit von 16 Knoten – etwa 30 Stundenkilometer – würden die Frachter dann aber drei Wochen benötigen. Gerade für eng getaktete Branchen wie die Autoindustrie ist das ein kostspieliges Unterfangen.
Bilder einer Havarie
Was Sie zum Stau im Suezkanal wissen müssen

Eigentlich war die MV Ever Given am vergangenen Dienstag von China auf dem Weg nach Rotterdam und hatte bereits drei Viertel der 193 kilometerlangen Wasserstraße passiert, als sie sich im Suezkanal quer stellte und auf Grund lief. Laut der ägyptischen Suezkanal-Behörde sei es zu der Havarie gekommen, weil der Kapitän schlechte Sicht wegen eines Sandsturms hatte. Medienberichten zufolge hat es außerdem einen Stromanfall an Bord des Schiffes gegeben. Die MV Ever Given war an 13. Stelle eines Konvois von 28 Schiffen unterwegs. Seit ihrem Unfall war die Wasserstraße vollkommen blockiert, nach ihrer Freilegung kann der Schifffahrtsverkehr wieder aufgenommen werden.

Ein Satellitenbild zeigt wie die MV Ever Given zwischen den beiden Kanalufern feststeckt. Der Suezkanal verbindet das Mittelmeer mit dem Roten Meer und gilt als eine der wichtigsten Wasserstraßen weltweit. Er macht mehr als ein Zehntel des maritimen Welthandels aus. Allein im vergangenen Jahr passierten fast 19.000 Containerschiffe den Kanal und transportien etwa eine Milliarde Tonnen Fracht. Vor allem für den Handel zwischen Asien und Europa gilt die Passage als wichtigste Route, denn sie ist der kürzeste Seeweg zwischen beiden Kontinenten. Ein Beispiel: Die Strecke zwischen Europa und Indien verkürzt der Suezkanal um 7000 Kilometer.

Rund acht Schlepperboote sind aktuell im Einsatz, um den Frachter zu bewegen, berichtet die Suezkanal-Behörde. Schon am Mittwoch hatten zehn von ihnen vergeblich versucht, das Schiff wieder freizubekommen. Für das Gewicht der MV Ever Given fehlte bislang allerdings die nötige Zugkraft. Auch der vorherrschende Wind erschwert die Arbeiten der Schlepper. Mit 400 Metern Länge und einer Breite von 59 Metern zählt die Ever Given zu den größten Containerschiffen der Welt. Um sie zu bergen, kann es daher auch nötig werden, einen Teil der tonnenschweren Fracht abzuladen.

Bis zu fünf Meter tief hat sich der Rumpf der Ever Given in die Kanalwand gebohrt. Um das Schiff aus dem Untergrund zu befreien, sollen daher auch mehrere Bagger zum Einsatz kommen. Zwar konnte die MV Ever Given am Mittwoch leicht bewegt werden, wie der Branchendienstleister GAC berichtete, trotzdem dürfte es noch mehrere Tage dauern, bis das Schiff wieder freigelegt ist. Für die von der Blockade betroffenen Reedereien könnte so ein millionenschwerer Schaden entstehen. Von dem Stau in und um den Suezkanal sind auch Öltransporte betroffen. Laut dem Branchendienst Tanker Trackers stauten sich Tanker mit Erdöl aus dem Oman, Saudi-Arabien, Russland und den USA mit einer Gesamtladung von zehn Millionen Barrel Öl auf beiden Seiten des Kanals. Das entspricht etwa einem Zehntel des internationalen Bedarfs pro Tag.

Mitarbeiter der Suezkanal-Behörde sehen sich die Unfallstelle von einem Boot aus an. Anfangs hatte die Behörde noch einige Schiffe in den Kanal gelassen, weil sie davon ausgegangen war, die Blockade könne schnell behoben werden. Seit Donnerstag ist der Seeverkehr vorübergehend ausgesetzt. Auch für Ägypten ist der Suezkanal eine entscheidende Einnahmequelle. Mit den Nutzungsgebühren für das Passieren der Wasserstraße nahm das Land in 2020 rund 5,6 Mrd. US-Dollar ein – das entspricht etwa einem Fünftel der ägyptischen Staatseinnahmen.

Bei der Freilegung des Schiffs erhält die Suezkanal-Behörde Unterstützung aus den Niederlanden. Der Eigentümer der Ever Given, das japanische Unternehmen Shoei Kisen, hat SMIT Salvage, ein auf Schiffsunglücke spezialisiertes Unternehmen, mit den Bergungsarbeiten beauftragt. Neben den bisherigen Arbeiten sollen sowohl das Balastwasser als auch die Tankfüllung aus dem Schiff abgepumpt werden, um es leichter – und damit auch beweglicher zu machen. Das Team von SMIT war auch schon an der Bergung des havarierten Kreuzfahrtschiffes Costa Concordia 2012 in Italien beteiligt.

In Hamburg wecken die Schlagzeilen um die Ever Given Erinnerungen. Am 10. Februar 2019 hatte das Containerschiff bereits einen Unfall auf der Elbe. Bei der Einfahrt in den Hamburger Hafen brachten heftige Windböen das Schiff vom Kurs ab und drückten es in Richtung Fähranleger. Dort kollidierte es mit einer 25 Meter langen Fähre. Die "Finkenwerder" war nach der Kollision ein Totalschaden, Passagiere waren zu dem Zeitpunkt keine an Bord. Damals entstand ein Sachschaden von 1 Mio. Euro. Die Blockade des Suezkanals dürfte deutlich mehr kosten: Allein die Versicherungssumme für den Schaden am Schiff und den Maschinen könnte Schätzungen zufolge mehr als 100 Mio. Dollar umfassen. Auch Schadensersatzforderungen der wartenden Reedereien könnten anfallen und Millionen Dollar kosten.