In unserer Reihe Capital erklärt geben wir einen komprimierten Überblick zu aktuellen Wirtschaftsthemen. Diesmal: die Klimaschutzdebatte und der geplante CO2-Preis – mit Capital-Reporter Thomas Steinmann, der für Energiepolitik zuständig ist.
Wo steht Deutschland bei der Energiewende? Was hat sie bisher gebracht?
Wir haben bisher einen riesigen Aufwand betrieben – allein in den vergangenen fünf Jahren wurden nach Angaben des Bundesrechnungshofes 160 Mrd. Euro in die Energiewende gesteckt. Im Ergebnis gibt es Licht und Schatten. Auf der Haben-Seite steht vor allem der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Im ersten Halbjahr 2019 deckte Ökostrom bereits 44 Prozent des Stromverbrauchs in Deutschland – deutlich mehr als geplant. Das Problem ist allerdings, dass die klimaschädliche Kohle immer noch einen großen Anteil an der Stromerzeugung hat – nicht zuletzt auch wegen des Atomausstiegs. Das führt dazu, dass die CO2-Reduzierung, die ja das eigentliche Ziel der Energiewende ist, bisher nicht in dem Maße gelungen ist, wie es sich die Bundesregierung selbst vorgenommen hat. Statt wie geplant den CO2-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent gegenüber 1990 zu reduzieren, werden es nach Prognosen der Regierung wohl nur 32 Prozent weniger werden – vielleicht noch ein bisschen mehr. Gerade beim Klimaschutz, dem obersten Ziel der Energiewende, bleibt also ein Missverhältnis zwischen dem Aufwand und dem Ertrag.
Woran liegt das?
Das liegt auch daran, dass Bereiche wie der Verkehr oder der Gebäudesektor keinen ausreichenden Beitrag zur CO2-Minderung geleistet haben. Denn CO2 wird ja nicht nur bei der Energieerzeugung produziert, sondern auch beim Auto fahren oder Heizen. Woran es auch hapert, ist eine Koppelung in größerem Stil zwischen der Stromproduktion und dem Verbrauch von Energie in Bereichen wie Mobilität oder Wärme. Grüner, das heißt CO2-frei produzierter Strom, muss auch in diesen Bereichen besser genutzt werden. Das geht zum Beispiel über mehr Elektroautos oder indem alte Ölheizungen in den Wohnungen durch Wärmepumpen ersetzt werden. Diese sogenannte Sektorenkopplung wird derzeit auch dadurch erschwert, dass eigentlich billig produzierter Ökostrom wegen der zahlreichen Umlagen und Abgaben extrem teuer ist – teurer als fossile Brennstoffe. An dieser Stelle soll daher auch eine künftige stärkere CO2-Bepreisung einhaken.
CO2-Ausstoß soll Mindestpreis bekommen
Worum geht es bei der CO2-Steuer?
Es geht darum, dass der Ausstoß von CO2 einen Mindestpreis bekommen soll – sprich, dass das Verbrennen von Öl, Gas und Kohle teurer wird. Andere Länder wie Großbritannien, Schweden und Frankreich sind diesen Weg bereits gegangen, teilweise schon vor vielen Jahren. Das Ziel ist, dass saubere Energien wettbewerbsfähiger werden und umgekehrt fossile Energien, die CO2-intensiv sind, teurer werden, damit es Anreize gibt, saubere Energien verstärkt zu nutzen – und das auch in Bereichen wie Verkehr und Wärme, wo Ökostrom bislang noch zu wenig eingesetzt wird. Deshalb ist auch eine Bepreisung von CO2 in allen Sektoren geplant – auch in jenen, die bisher nicht unter den EU-Emissionsrechtehandel fallen.
Warum reicht der Emissionshandel nicht aus?
Der Emissionshandel in der EU soll dafür sorgen, dass die Produktion von CO2 etwas kostet. Allerdings hat dieses sogenannte ETS, das bislang nur den Energiesektor und Teile der Industrie abdeckt, viele Jahre lang nicht richtig funktioniert. Es gab im Markt zu viele der Verschmutzungsrechte, sodass der Preis je Tonne CO2 relativ niedrig war und es immer noch am rentabelsten war, Kohle zu verstromen. Erst in den letzten Monaten hat sich das ein bisschen geändert. Da ist der Preis für den CO2-Ausstoß mit teilweise mehr als 25 Euro pro Tonne so stark angestiegen, dass einige Kohlekraftwerke tatsächlich weniger produziert haben, weil es sich nicht mehr gerechnet hat. Sogar Braunkohlekraftwerke, die die niedrigsten Brennstoffkosten aufweisen, aber besonders klimaschädlich sind, wurden in den vergangenen Wochen verstärkt aus dem Markt gedrängt – auch zugunsten klimafreundlicher Gaskraftwerke. Dieser „fuel switch“ hätte aber aus Klimaschutzsicht schon viel eher passieren müssen. Zudem sind beim EU-Emissionshandel die Sektoren Verkehr und Gebäude außen vor. Gerade in diesen Bereichen ist beim Abbau der Klimagase in den vergangenen Jahren in Deutschland kaum etwas passiert.
Welche Konzepte gibt es jetzt für die CO2-Steuer?
Derzeit wird fast jeden Tag eine neue Studie präsentiert. Im Grundsatz gibt es dabei zwei unterschiedliche Konzepte: entweder die Einführung einer nationalen CO2-Steuer, die alle Sektoren abdeckt. Oder die Ausweitung des EU-Emissionshandels. Der Vorteil der Steuer: Sie ließe sich recht schnell einführen und könnte einen Mindestpreis für CO2 festlegen. Der Emissionshandel wäre ein vergleichsweise marktwirtschaftliches Instrument, über das sich die Menge an CO2, die ausgestoßen werden darf, festlegen lässt – während den Wirtschaftsakteuren überlassen bleibt, welcher Weg dafür am effizientesten ist. Allerdings wird eine Ausweitung des ETS auf EU-Ebene Zeit benötigen. Denkbar ist daher, dass in einem ersten Schritt eine nationale CO2-Steuer eingeführt wird, bis eine Reform des Emissionshandels in Europa verhandelt und beschlossen ist.
Worüber wird noch diskutiert?
Neben der Diskussion um das richtige Instrument geht es vor allem um eine weitere zentrale Frage: Wie lässt sich ein stärkerer Klimaschutz so umsetzen, dass die Bürger nicht über Gebühr belastet werden? Denn bei einer CO2-Steuer werden natürlich auch die Bürger als Konsument zahlen müssen – etwa wenn der Sprit oder Flugtickets teurer werden. Deshalb ist es für die Akzeptanz des Klimaschutzes wichtig, dass das Ganze sozial abgefedert ist. Aktuell wird darüber diskutiert, wie sich Mehrbelastungen der Bürger an anderer Stelle ausgleichen lassen. Auch dafür gibt es verschiedene Konzepte.
Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif
Welche beispielsweise?
Im Fokus steht die Idee, dass es aus den Einnahmen aus der CO2-Abgabe eine Rückzahlung geben könnte, etwa als Pauschale für die Bürger. Das heißt, jeder bekommt zum Beispiel 150 Euro zurückgezahlt. Derjenige, der viel fliegt oder der in einem Haus sitzt, das schlecht isoliert ist, der zahlt am Ende vermutlich drauf. Derjenige, der Bus fährt und wenig fliegt, macht am Ende vielleicht sogar ein kleines Plus. Auf diese Weise könnte es auch belohnt werden, wenn man sich klimafreundlich verhält. Natürlich wird es aber auch hier Ausnahmeregeln geben müssen, beispielsweise für Pendler auf dem Land, die auf ihr Auto angewiesen sind, weil es bei ihnen keinen ÖPNV gibt. Da geht es wirklich um eine riesige Umverteilung, und da wird es Verlierer geben, ganz klar. Klimaschutz wird es nicht zum Nulltarif geben. Eine weitere Frage wird sein, wie man mit energieintensiven Unternehmen umgeht – insbesondere in Industriebranchen, die im internationalen Wettbewerb mit Ländern stehen, die keine CO2-Steuer haben. Auch hier werden Ausgleichsregelungen diskutiert. Es rächt sich jetzt, dass diese nötige Diskussion über ein wirklich effektives und zugleich politisch vermittelbares Klimaschutzkonzept über Jahre verschleppt wurde. Jetzt soll die Reform im Schweinsgalopp kommen.
Wie sieht der politische Fahrplan für die CO2-Steuer aus?
Im Moment sind alle in Politik, Unternehmen und Verbänden aufgescheucht. Klar ist, dass etwas passieren wird – nicht nur, weil die Zieldaten für die Klimaziele näherrücken. Der Pariser Vertrag hat ja auch eine völkerrechtliche Verbindlichkeit. Kurzfristig noch größer ist der politische Druck, der von den Bürgern ausgeht, etwa durch die Fridays-for-Future-Bewegung, die seit Monaten Woche für Woche für mehr Klimaschutz demonstriert. Und es gibt den Druck, der aus Umfragen resultiert. Die Regierungsparteien wissen, dass sie jetzt liefern müssen. Zuletzt hat die Kanzlerin bereits signalisiert, dass eine stärkere Bepreisung von CO2 in irgendeiner Form kommen wird. Derzeit sichten die Bundesministerien Gutachten und Konzepte und rechnen die Folgen möglicher Modelle durch. Über den Sommer soll eine Entscheidung vorbereitet werden. Im September soll das Klimakabinett dann eine Entscheidung treffen, in welche Richtung es geht und mit welchen Instrumenten. Ob dieser Zeitplan eingehalten wird, ist nach meiner Einschätzung allerdings fraglich. Über Jahre wurde bei dem Thema geschlafen. Aber es ist extrem komplex, und es geht um viele Milliarden Euro, die an der Entscheidung hängen. Entsprechend heftig dürfte in den kommenden Wochen der Druck der verschiedenen Interessengruppen auf die jeweils zuständigen Minister werden. Ob ein umfassendes Konzept unter diesen Umständen so eilig umsetzbar ist, muss sich zeigen. Ich glaube, wir können froh sein, wenn es bis zum Ende der Legislaturperiode ein konkretes Ergebnis ins Bundesgesetzblatt schafft.