Die deutschen Staatsschulden haben einen Höchststand erreicht: Im September des vergangenen Jahres lag die Summe der öffentlichen Schulden bei 2,2 Billionen Euro und damit um mehr als 15 Prozent höher als zum Ende des Jahres 2019. Woran das liegt, ist klar: „Der Anstieg ist im Wesentlichen in der Aufnahme finanzieller Mittel für die Maßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise begründet“, heißt es vom Statistischen Bundesamt.
Aber nicht nur in Deutschland auch in anderen europäischen Ländern sorgen die staatlichen Finanzhilfen zur Abmilderung der Corona-Folgen für wachsende Schuldenberge. Kehrt nach der Pandemie die Schuldenkrise in Europa zurück?
Ein Problem sieht Oliver Holtemöller, stellvertretender Präsident des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH), in den zunehmenden Schulden zunächst nicht, denn relevant seien nicht die absolut steigenden Staatsschulden, sondern die Schuldenquote. Diese lag laut Europäischer Kommission 2020 bei 71,2 Prozent. „Die Schuldenquote wird von alleine zurückgehen, wenn nach der Krise wieder strukturell annähernd ausgeglichene Haushalte angestrebt werden sollten und die Wirtschaft nominal wächst“, sagt er.
Aus den Schulden herauswachsen
Auch Holger Schmieding, Chefvolkswirt der Berenberg Bank, gibt sich optimistisch: „Das deutsche Beispiel 2010-2019 hat gezeigt, dass ein solide aufgestelltes Land aus einer hohen Schuldenquote herauswachsen kann “, sagt er. „Wachstum, mehr Arbeitsplätze und damit höhere Steuer- und Sozialeinnahmen sind der Schlüssel zum Erfolg.“
Die Gefahr einer Schuldenkrise sieht auch Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), nicht. „Im Gegenteil: Die Staatsverschuldung sollte derzeit aus ökonomischer Sicht unsere allerletzte Sorge sein“, sagt er. Nicht die Schulden als solche seien relevant, sondern die Zinslast, die der Staat tragen müsse, um die Schulden zu bedienen.
Dank Negativzinsen habe der Staat im vergangenen Jahr rund 7 Mrd. Euro mit seinen neuen Schulden verdient, so Fratzscher. „Was wir nun brauchen, ist eine Investitionsoffensive – nach der globalen Finanzkrise waren die Investitionen viel zu schwach“, sagt er. „Aber jetzt sollte die Chance ergriffen werden, in eine leistungsfähige digitale Infrastruktur, Bildung, Forschung und Entwicklung zu investieren.“
Ifo-Präsident Clemens Fuest warnt vor zusätzlichen Belastungen für Wirtschaft und Gesellschaft. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung deutlich schlechter verlaufen sollte als erhofft, solle die Regierung nicht krampfhaft versuchen, die Verschuldung herunterzubringen. „Natürlich sollte man immer darauf achten, wie das Kosten-Nutzen-Verhältnis bei Staatsausgaben ist, auch gerade bei Maßnahmen zur Konjunkturstabilisierung“, sagt er. Aber es sei falsch, jetzt bei fragiler Wirtschaftssituation die Steuern zu erhöhen oder Sozialleistungen zu kürzen. „Ich bin sehr dafür, dass man auf die Solidität der Staatsfinanzen achtet, aber man muss das im richtigen Moment tun“, sagt Fuest. „Zum Glück hatten wir vor der Krise bei guter Wirtschaftslage die Schwarze Null. Davon profitieren wir jetzt.“
Kommt nun die Schuldenkrise?
Die derzeitige Lage unterscheide sich grundlegend von der Finanzkrise und der Eurokrise, sagt Oliver Holtemöller. Damals hätten sich ökonomische Fehlentwicklungen eine Zeitlang aufgestaut und die konjunkturelle Erholung nach Immobilien- und Bankenkrise dauerte sehr lange. „Jetzt bringt ein Virus – keine ökonomische Fehlentwicklung – die Wirtschaft in einigen Bereichen zum Erliegen“, sagt Holtemöller. „Wenn es wieder möglich sein wird, werden die Menschen wieder ins Restaurant gehen und in den Urlaub fliegen.“ Außerdem habe die europäische Geldpolitik jetzt anders reagiert als in der Finanzkrise.
Im Euroraum habe man eine „fiskalische Dominanz“ der Geldpolitik, sagt Holtemöller. „Mit einer akuten Staatsschuldenkrise im Euroraum rechne ich im Moment nicht konkret, aber das Risiko besteht.“ Gefährdet seien insbesondere die Länder, die schon vor der Corona-Krise hohe Schuldenquoten hatten.
Italien: langfristig Reformen nötig
In der Europäischen Union steig die durchschnittliche Schuldenquote im Jahr 2020 laut Europäischer Kommission auf 93,9 Prozent des BIP. Doch selbst für Italien seien die weit höheren Schulden vorerst kein Problem, sagt Holger Schmieding. „Die Belastung des italienischen Staatshaushaltes ist gering, da die Zinsen auf die bei der Banca d’Italia gehaltenen Schulden über den Notenbankgewinn an den Finanzminister zurückfließen“, so Schmieding. „Der Zinsendienst, den Italien leisten muss, ist weiter rückläufig.“ Eine Schuldenkrise drohe vorerst nur, „wenn Italien fiskalischen Selbstmord ankündigen würde, also beispielsweise eine Regierung Salvini mit dem Gedanken eines Euro-Austritts spielen würde.“
Langfristig gebe es für Italien aber durchaus Probleme. „Nach einigen Jahren werden die Zinslasten steigen. Die Notenbankkäufe hören 2023 wohl auf“, sagt Schmieding. Auf Dauer könne Italien seine Schuldenlast nur tragen, wenn es genügend Wirtschaftswachstum habe. „Dafür braucht es Reformen, vor allem der Verwaltung und des Justizsystems, aber keine höheren Steuern“, so Schmieding. In allen anderen Euro-Mitgliedstaaten sei die Lage komfortabler.

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