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Kommentar Warum wir zum Jahresende auf mehr Auswege als Abgründe blicken

Am Ende des Corona-Jahres überwiegt trotz aller Entbehrungen die Hoffnung
Am Ende des Corona-Jahres überwiegt trotz aller Entbehrungen die Hoffnung
© rheinmainfoto / IMAGO
Das Ausnahmejahr 2020 neigt sich dem Ende und lässt viele Deutsche vor allem um Entschlossenheit und Selbstgewissheit ringen. Das ist aber kein Grund, ohne Hoffnung ins neue Jahr zu starten, schreibt Horst von Buttlar

Die Stille bedeutet am Ende dieses schweren Jahres nicht nur Innehalten und Einkehr, sondern noch einmal Rückzug und Bedrohung. Aber schauen wir nach vorn: Wir sehen inzwischen viel Licht im Dunkel und mehr Auswege als Abgründe. 2021 wird ein Jahr der Genesung und der Erholung. Die wird zwar mühsam werden, aber es geht aufwärts.

Die Menschheit könnte diese globale Pandemie schneller und besser hinter sich lassen als die schlimmsten Szenarien im Frühjahr befürchten ließen. Und es könnte weitaus besser laufen als bei historischen Pandemien wie der Pest oder der Spanischen Grippe. Das macht jedes einzelne Schicksal nicht leichter, aber es zeigt insgesamt einen Fortschritt.

Ein Jahr liegt hinter uns, in dem wir viel gelitten und gelernt haben. Es gab Zusammenbruch und Aufbruch, Stillstand und Starre, Abstand und neue Innigkeit.

Wenn bis Ende 2021 einige Milliarden Impfstoffdosen produziert und verteilt werden, werden viele Menschen schon in wenigen Monaten wieder ein halbwegs normales Leben führen – ohne Angst, sich zu bewegen, ohne Sorge, Freunde oder Verwandte anzustecken. Der Menschheit ist es gelungen, dank einer historisch einmaligen Kooperation und Fähigkeit, Allianzen zu bilden, sehr schnell einen Impfstoff zu entwickeln.

Es war dieser Wille zur Kooperation, der am Ende den Erfolg gebracht hat. Das war nicht abzusehen. Am Anfang, als diese Pandemie die Herrschaft über Europa gewann, gingen die Schlagbäume runter. In Grenzregionen erlebten wir Anfeindungen und Misstrauen, und noch immer sichern sich Länder Vorräte an Masken, Desinfektionsmitteln und Beatmungsgeräten und nun Impfstoffe vor allem für ihre Bevölkerung.

Eine naheliegende Reaktion, bisweilen notwendig, aber nicht immer klug. Vor allem aber hat sie diese Krise nicht mehr entscheidend geprägt, auch wenn am Ende dieses Jahres erneut die Grenzen geschlossen wurden und Großbritannien abgeriegelt ist (was wohl auch zu spät kam und eher symbolisch ist und großen Schaden angerichtet hat). Bei der wichtigsten Frage überhaupt wurde von Anfang an auf Kooperation gesetzt, und diese Zusammenarbeit ist die wohl wichtigste Lehre aus dieser Pandemie: Die Menschheit kann Probleme lösen, wenn sie kooperiert. Wir sind erfolgreicher, wenn wir Ressourcen, Ideen und Ergebnisse teilen. Das ist kein Kalenderspruch, sondern ein Konzept, das eindrucksvoll bestätigt wurde.

Es gibt Schätzungen, wonach Covid-19 bis Ende 2021 fünf Millionen Tote fordern wird. Das ist erschreckend viel, aber im historischen Maßstab weniger als befürchtet: Es wären 0,06 Prozent der Weltbevölkerung. Die Spanische Grippe dauerte 26 Monate und forderte zwischen 17 und 100 Millionen Tote (bis zu sechs Prozent der damaligen Bevölkerung – nach heutigem Maßstab zwischen 80 und 400 Millionen Toten).

Die sozialen und ökonomischen Folgekosten dieser Krise sind gigantisch. Allein für die USA werden sie laut einer Analyse der Ökonomen David Cutler und Larry Summers auf bis zu 16 Billionen Dollar geschätzt. Darin eingerechnet sind der Ausfall an Wertschöpfung, Wachstumsverluste, Gesundheitsschäden und die zu frühen Tode. Auf Deutschland umgerechnet wären das 2,6 Billionen – eine sicherlich sehr grobe und große Zahl, aber sie offenbart das Zerstörungswerk dieser Pandemie. Die Ungleichheit hat sich weltweit vergrößert, der so erfolgreiche Kampf gegen die Armut wurde gestoppt, Millionen Existenzen wurden zerstört oder in große Nöte gestürzt.

Die unmittelbare Rezession indes ist, zumal in Deutschland, milder verlaufen als erwartet. Ich erinnere mich an ein Papier des Bundesinnenministeriums aus dem Frühjahr, in dem ein Szenario „Abgrund“ durchgespielt wurde, eine Depression mit einer Million Toten in Deutschland, einem Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 30 Prozent und einem Rückgang der Industrieproduktion um fast die Hälfte.

Es ist anders gekommen – weil wir Opfer gebracht haben. Weil trotz Streit und quälender Diskussionen in Deutschland die Vernunft stärker war als Zorn, Leugnung und irrationale Ablehnung.

Es werden, so die letzten Schätzungen, eher minus fünf bis sechs Prozent. Und im kommenden Jahr im Schnitt plus vier Prozent. Das Krisenmanagement hat alles in allem funktioniert, eingedenk der Tatsache, dass unsere Gesellschaften unvorbereitet waren und es keine Blaupause gab. Die Notenbanken haben souverän ihren Job gemacht, zahlreiche Regierungen von Taiwan über Neuseeland bis Finnland und auch Deutschland ihre Bevölkerungen durch die Krise gesteuert, stets suchend in dieser furchtbaren Abwägung, das Leben zu schützen, ohne zu viele Existenzen zu vernichten.

Warum aber ist diese Krise so teuer ? Der „Financial Times“-Kolumnist Martin Wolf hat darauf eine verblüffend simple Antwort gegeben: weil diese Kosten möglich waren . Wir haben diese Schulden in Kauf genommen, die Stilllegung von Wertschöpfung und ihren Ersatz durch staatliche Programme. Dadurch sind die Schulden explodiert, das Elend aber konnte eingedämmt werden.

Am Ende des Jahres ringen wir Deutschen vor allem um unsere Entschlossenheit und Selbstgewissheit. Wir ahnen, dass der Preis in dieser zweiten Welle in jeder Hinsicht zu hoch ist, dass wir mit dem „Lockdown light“ Zeit verloren haben – und den Sommer besser hätten nutzen sollen. Allein für die Verteilung von FFP2-Masken. Wir müssen fürchten, dass es noch Wochen so weitergeht.

Das ist aber kein Grund, ohne Hoffnung ins neue Jahr zu starten. Es hat Jahresrückblicke gegeben, da schauten Experten sorgenvoll nach vorn, ob der ganzen Risiken. Und vor einem Jahr saßen wir Deutsche träge auf dem Wohlstandspolster, das wir in einem „goldenen Jahrzehnt“ aufgebaut hatten, und rätselten, wie wir wieder ein bisschen Leben in den Laden bekommen.

Nun überwiegt die Hoffnung.

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