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Eurozone Warum Italien mit dem Euro-Exit flirtet und Spanien nicht

Und noch ein Regierungswechsel in der Euro-Zone: Spaniens bisheriger Premier Mariano Rajoy gratuliert seinem Nachfolger Pedro Sanchez nach einem Misstrauensvotum im Parlament
Und noch ein Regierungswechsel in der Euro-Zone: Spaniens bisheriger Premier Mariano Rajoy gratuliert seinem Nachfolger Pedro Sanchez nach einem Misstrauensvotum im Parlament
© Getty Images
Unter der Eurokrise hat Spanien viel stärker als Italien gelitten. Trotzdem stehen die führenden Parteien für den Verbleib in der Gemeinschaftswährung - anders als in Italien

Mit Italien und Spanien haben vergangene Woche zwei Südländer der Eurozone neue Regierungen bekommen. Doch während der Wechsel in Italien die Märkte auf eine Berg-und-Tal-Fahrt schickte, löste der Sturz des Regierungschefs in Spanien bloß Gähnen aus. Aber woran liegt das? Die beiden Volkswirtschaften sind – ebenso wie ihre Einstellung zum Euro – höchst unterschiedliche Wege gegangen. Italiens Populisten, die jetzt am Ruder sind, spielten mit dem Ausstieg aus der Gemeinschaftswährung; alle großen spanischen Parteien haben sich verpflichtet, ihr treu zu bleiben.

Vor sechs Jahren hätte das niemand vorausgesagt. Die Euro-Krise setzte Spanien weit mehr zu als Italien, löste in der Wirtschaft aber viel stärkere Reformen aus. Die Folge ist eine deutliche Erholung; das Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt über dem Höchststand vor der Krise. Die wirtschaftlichen Probleme Italiens, die lange vor dem Euro bestanden, haben dagegen das BIP fünf Prozent unter den früheren Höchststand gedrückt, was die Wähler offensichtlich empfänglich macht für radikale Wirtschaftsrezepte.

Beide Länder hatten in der Vergangenheit mit hoher Inflation zu kämpfen und werteten ihre Währung ab, um die Exporte wettbewerbsfähig zu halten. In der Folge mussten sie mehr zahlen, wenn sie Schulden aufnahmen. Nach dem Beitritt zum Euro fiel der Malus weg, die Anleiherenditen sanken auf deutsches Niveau.

In Spanien löste das, wie auch in Irland, eine massive Immobilienblase und riesige Kapitalzuflüsse von Deutschen und anderen Ausländern aus. Das Leistungsbilanzdefizit, das auch Handels- und Investitionseinnahmen berücksichtigt, schnellte in die Höhe. In Griechenland finanzierten deutsche Ersparnisse den Staat, nicht die private Verschuldung. Die Folgen waren jedoch vergleichbar: Als die Krise begann, versiegte die Quelle abrupt, die Anleiherenditen stiegen und alle drei Volkswirtschaften sackten tief in die Rezession.

War die Erholung Rajoys Verdienst?

Unter dem konservativen Premierminister Mariano Rajoy reagierte Spanien auf die Krise, indem es seinen Arbeitsmarkt liberalisierte. Es wurde leichter und billiger, Mitarbeiter zu entlassen und Arbeitsbedingungen zu verändern. Rajoy zwang die Banken, notleidende Kredite zu konsolidieren und sich zu rekapitalisieren, und er kürzte die öffentlichen Ausgaben, um die Defizite zu senken. Das um neun Prozent geschrumpfte BIP erholte sich ab 2013.

Es bleibt umstritten, ob es Rajoys Reformen waren, die das Wachstum befeuerten, oder ob eher konventionelle Faktoren wie sinkende Löhne und Preise die Wettbewerbsfähigkeit stärkten. Die Arbeitslosigkeit bleibt hoch. Aber die Erholung ist ein wichtiger Grund dafür, dass die Euroskeptiker in der spanischen Politik nie wirklich Fuß gefasst haben. Rajoy wurde von Korruptionsvorwürfen eingeholt und vergangenen Freitag durch ein Misstrauensvotum abgesetzt. Sein Nachfolger, der Sozialist Pedro Sanchez, hat versprochen, den Staatshaushalt zu übernehmen.

Italien hat genauso wie Spanien mit dem Euro die Fähigkeit verloren, zugunsten der Konkurrenzfähigkeit die Währung abzuwerten. Italiens Großkonzerne, Exporteure von Weltklasse, „bauten um, restrukturierten und durchdrangen ausländische Märkte“, sagt Andrea Montanino, Chefökonom des italienischen Arbeitgeberverbands Confindustria. Aber die kleinen und mittleren Unternehmen, die das Rückgrat der italienischen Wirtschaft ausmachen, konnten und können ohne Abschlag nicht mithalten.

Mehr rote Zahlen als Sparpläne in Rom

Italien hat sich nicht wie Spanien privat überschuldet oder wie Griechenland über die Staatskasse. Damit floss weit weniger ausländisches Geld ins Land, und das Wachstum brach in der Krise weniger stark ein. Italien brauchte auch keine Rettungsaktion für seine Banken oder schmerzhafte Sparpläne: Die Regierungen häuften indes größere Haushaltsdefizite an als der Durchschnitt der Eurozone, sagt Daniel Gros, Direktor des Centre for European Policy Studies .

Aber die strukturellen Probleme begleiteten Italien in die Krise: geringer Produktivitätszuwachs, niedrige Geburtenrate und ein starrer Arbeitsmarkt. Ohne Rettungsplan dauerte es länger, den Bankensektor aufzuräumen. Die Arbeitsmarktreformen blieben im Ehrgeiz hinter denen Spaniens zurück. Die wichtigste Steuerreform bestand darin, den Druck auf die Rentenkassen durch eine weniger großzügige Leistungsformel und ein späteres Renteneintrittsalter zu lindern. Selbst diese Korrekturen sind zutiefst unpopulär, und die neue Koalition hat versprochen sie aufzuheben.

Derweil rangiert Italien in Bezug auf Korruption, Rechtsstaatlichkeit und effektive Regierungsführung immer noch weit hinter dem Rest der Eurozone, betont Gros. Das Land habe in den vergangenen Jahren auch kaum Fortschritte gemacht.

Instabil war die italienische Politik schon immer. Die Vielzahl von Parteien, die tiefe Spaltung zwischen dem wohlhabenden Norden und dem armen Süden, taten das ihre. Wähler mögen „einfache Lösungen für komplexe Probleme“, sagt Roberto Perli, Experte für Ökonomie und Politik bei Cornerstone Macro in Washington. Diese Einstellung erkläre den Reiz von Populisten wie Silvio Berlusconi, der trotz Regierungsversagen und Skandalen wiederholt Premierminister wurde, ebenso wie den Erfolg der Fünf-Sterne-Bewegung und der rechtsnationalen Lega.

Exit-Debatte nur aufgeschoben?

Die beiden populistischen Parteien haben keine andere Ideologie als die Verachtung für das Establishment, einschließlich der Europäischen Union. Ihr ursprünglicher Kandidat für das Finanzministerium, der Ökonom Paolo Savona, hatte sich für einen „Plan B“ – den Euro-Exit – ausgesprochen, just um jene Instrumente zu beleben, die Italien in der Vergangenheit genutzt hat, um das Wachstum anzukurbeln: Abwertung und rote Zahlen.

Die Reaktionen der Märkte und der Widerstand des Staatspräsidenten verhinderten Savona; der 81-Jährige wurde durch einen eurofreundlichen Finanzminister ersetzt. Denn die Wähler sind grundsätzlich für den Verbleib im Euro. Sie sprangen wohl eher auf die Versprechungen der Koalitionsparteien an, hart gegen Einwanderung vorzugehen, ein universelles Grundeinkommen und eine Flat-Tax einzuführen.

Aber das würde den Haushalt sprengen und müsste von der EU blockiert werden, sagt Perli. Braue sich daraus eine Stimmung gegen Europa zusammen, könnte die Regierung sie nutzen, um den Euro-Austritt zu legitimieren. So könnte die Debatte um den Euro-Exit „nur verschoben sein, nicht aber aufgehoben“.

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