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Interview „Ein Euro-Austritt ist für Italien keine Lösung“

CEPS-Chef Daniel Gros
CEPS-Chef Daniel Gros
© CEPS
In Italien könnten Populisten die nächste Regierung bilden. Daniel Gros vom Centre for European Policy Studies ist überzeugt, dass sie die fundamentalen Probleme des Landes nicht lösen werden

Capital: Glauben Sie, dass mit einer neuen Regierung, die Probleme des Landes effektiv angegangen werden können?

DANIEL GROS: Nein. Es ist wie immer. Die neuen Parteienführer sagen: „Die anderen waren alle korrupt, wir machen alles besser“ und dann treten sie auch noch mit einem populistischen Parteiprogramm an, dass in keinster Weise auf die eigentlichen Probleme abzielt, wie zum Beispiel der ineffizienten Verwaltung. Stattdessen kommen sie mit einem Grundeinkommen und einer geplanten Flat Tax daher, die im Endeffekt nicht zu finanzieren sind.

Das heißt mit der neuen Regierung wird sich wenig ändern. Was glauben Sie, wie sich das Verhältnis zu Europa entwickelt?

Die Italiener werden erstmal laut schreien, wenn es um Reformen innerhalb der EU geht. Wenn ein deutsch-französischer Kompromissvorschlag kommt, werden sie sagen, dass sie gar nicht dran beteiligt waren und versuchen mit Spanien ein Gegenpol zu bilden. Dagegen hat sich Spanien jedoch schon in der Vergangenheit gesträubt und daraufhin werden die Italiener Wohl oder Übel die Reformen mittragen, denn nichts ist schlimmer für die Italiener, als nicht dabei zu sein.

Die Italiener wollen also unbedingt in der EU bleiben?

Italien ist längst nicht so stark aufgestellt wie die Briten, die den Brexit gewagt haben.

Aber ein Austritt und die Rückkehr zu einer eigenen Währung könnte doch Italiens lahmende Wettbewerbsfähigkeit wiederherstellen.

Der Euro-Austritt ist keine Lösung: Die Italiener hatten ja bis zur Euro-Einführung ihre eigene Währung. Diese Währung war permanent instabil und die Zinsen auf Staatsanleihen ungeheuer hoch, weil die Investoren dieser Währung nicht getraut haben.

Ist Italiens Wirtschaft schwächer als Griechenland?

Die Wirtschaftsstruktur in Italien ist sehr viel stärker und es gibt einen entscheidenden Unterschied zu Griechenland: Italien kann sich selbst versorgen. Sie haben einen leichten Handelsüberschuss und hatten auch in der Vergangenheit niemals hohe Defizite. Die Schulden bei denen wir im Falle von Italien sprechen, sind zu einem großen Anteil die Schulden des italienischen Staates gegenüber Italienern selbst. Auch das ist ein großer Unterschied zur griechischen Schuldensituation.

Das wirtschaftliche Nord-Süd-Gefälle Italiens schlägt sich auch in den Wahlergebnissen nieder. Warum hinkt der Süden mit Zahlen wie von einem Entwicklungsland hinterher?

Das ist seit über 150 Jahren ein italienisches Problem. Jede Regierung hat bisher versucht dem Süden auf die Beine zu helfen, aber nie mit durchschlagendem Erfolg. Es liegt an soziokulturellen Unterschieden. Im Süden ist es nicht gelungen eine moderne Gesellschaft aufzubauen. Dazu kommt noch die europäische Randlage, die das Wirtschaften in andere EU-Staaten erschwert. Wie man aber mittlerweile in Spanien und Portugal sieht, muss diese Randlage nicht ein unüberwindliches Hindernis darstellen.

Welche wirtschaftlichen Sektoren sind im Süden besonders wichtig und sollten gestärkt werden?

Natürlicherweise sollte der Süden eine starke Tourismusbranche vorweisen. Wenn man sich die Entwicklung des Tourismus in Spanien oder auch Portugal anschaut, hinken die Italiener aber hier hinterher, obwohl sie ein sehr ähnliches Wetter wie in den spanischen Urlaubsorten haben. Der Grund dafür ist, dass sich niemals eine Struktur entwickelt hat, die Massentourismus oder gehobenen Tourismus überhaupt möglich macht.

Wie kriegt man den Süden wieder flott?

Das kann man nicht von außen den Süditalienern oktroyieren, sondern das muss von innen kommen. Die vergangenen Regierungen haben alles versucht, aber haben es nicht geschafft. Hier muss wirklich ein Umdenken der Leute geschehen. Doch wie erreicht man dies?

Italien stagniert wirtschaftlich und hat innerhalb der letzten 20 Jahre kaum nennenswertes Wachstum erlebt. Stimmen sie dem zu und warum kann die Politik dem nicht beikommen?

Das Faktum ist klar. Italien hat mit kleineren Schwankungen über einen längeren Zeitraum kein Wachstum erzielt. Die Gründe hierfür liegen länger zurück. Während der Industrialisierung konnten große Industriesektoren aufgebaut werden und zeitgleich viele kleine mittelständische Unternehmen entstehen. Durch den Niedergang von Großindustrien wie Chemie, und Automobilindustrie sind viele große Firmen aus dem Wettbewerb geschieden. Die kleineren Firmen konnten den Verlust nur unzureichend auffangen, bestehen aber nach wie vor fort. Die Fragmentierung der Firmenstruktur ist ein großer Nachteil für Italiens Wirtschaft.

Wie kann man dieser Zersplitterung vieler kleiner Unternehmen begegnen?

Die staatlichen Strukturen und die steuerlichen Rahmenbedingungen begünstigen de facto die kleinen Unternehmen. Wenn man das ändern wollte, müsste man Italien zu Deutschland machen. Das heißt grundlegende wirtschaftliche Rahmenbedingungen umwerfen und anpassen. Das kann man aber nicht. Die heutigen staatlichen Regularien gelten de facto nicht für kleine Unternehmen und sind für große Unternehmen eine grosse Last und werden auch von den italienischen Beamten knallhart durchgesetzt. Für Italien ein echter Wettbewerbs- und vor allem Standortnachteil.

Warum gelingt es in Deutschland besser, einen funktionierenden wirtschaftlichen Rahmen zu setzen?

In Deutschland ist man in der Lage unterschiedliche Partikularinteressen zielführend in eine Richtung zu kämmen. Das beherrschen die Italiener nicht. Hier stehen die Partikularinteressen von Akteuren der Wirtschaft und der Verwaltung und Politik oft diametral zueinander. In dieser Hinsicht war es früher einfacher, als es nur eine Partei gab und diese die Interessen bündeln konnte. Bei der aktuellen Vielzahl von Parteien gelingt das nicht.

Warum lernen die Italiener nicht aus ihren Fehlern und wählen nun wieder einen vorbestraften Kleptokraten wie Berlusconi in das Parlament?

Teilweise liegt das an einem anderen Staatsverständnis. Italien war lange Zeit durch Österreich und Spanien regiert. Die haben das Land wirtschaftlich ein Stück weit ausgebeutet. Italien grenzt sich mit populistisch auftretenden Politikern vom moderaten Rest Europas ab, der lange über Italien regierte.

Welche Veränderungen und Reformen sind denn in der italienischen Gesellschaft unumgänglich? Welche müssen also unbedingt angeschoben werden?

Im Grunde genommen weiß das jeder. Man muss die Ausgaben verringern, ohne dabei die Armen zu treffen, und man muss die Verwaltung auf allen Ebenen straffen.

Wie kann man denn darauf einwirken, dass in Italien nicht ständig die Regierung wechselt, sondern auch mal ein langfristiges Arbeiten der Politik ermöglicht wird?

Das wird so nicht kommen. Die Frage nach einer langfristigen Regierung ist nicht so wichtig. Nehmen wir zum Beispiel Estland. Dort dauern die Regierungen zum Teil noch deutlich weniger an. Etwa sechs Monate in der jüngeren Vergangenheit. Aber im Land gibt es einen Konsens darüber was zu tun ist und das Land erwirtschaftet seit langem Jahr für Jahr Überschüsse. Deren Verwaltung hat sich in den letzten Jahren deutlich verbessert. Eben weil es diesen nationalen Konsensus gibt und die kurzen Regierungen alles nur unterschiedliche Schattierungen, nicht aber entgegensetzte politische Richtungen wie in Italien sind. In Italien fehlt der Konsens, die Verwaltung zu straffen. Das wird jedes Jahr versprochen, aber nie gemacht, weil es einigen entscheidenden Partikularinteressen zuwider läuft.

Die Wahlversprechen von vielen Parteien sind Geschenke an die Bevölkerung. Die Finanzierbarkeit kann, sollten diese Versprechen eingelöst werden, niemals gewährleistet werden. Insbesondere wenn man sich die enormen Schulden Italiens ansieht. Kann man solche Politiker noch Ernst nehmen?

Nein.

Daniel Gros ist Chef des Centre for European Policy Studies. Die Brüsseler Denkfabrik beschäftigt sich mit Fragen der europäischen Politik und ist Schnittstelle zwischen Politik und Forschung

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