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Protesttag Warum der Streik der Apotheker übertrieben ist

Eine Mitarbeiterin klebt einen Hinweiszettel für den kommenden Schließtag an die Tür der Sonnen-Apotheke
Protesttag: Am Mittwoch blieben viele Apotheken geschlossen
© Jan Woitas / picture alliance/dpa
In Deutschland sind heute die meisten Apotheken geschlossen – aus Protest gegen Personalnot, Lieferengpässe und stagnierende Löhne. Eine ungerechtfertigte Kritik, meint Andreas Hoffmann.

Haben sie sich auch geärgert? Also wegen der geschlossenen Apotheke heute. Da will man sein Asthmaspray abholen oder für die Tochter die Antibiotika-Kapseln, und dann sind die Türen versperrt, im Fenster hängt ein Plakat, auf dem drei Irre ein Auto steuern und darunter steht: „Die Regierung fährt uns gegen die Wand.“

Die Apotheken streiken nämlich. Nach den Beschäftigten bei den Fluggesellschaften und der Bahn sind auch die Damen und Herren sauer, die uns die Pillen verkaufen. Über die Politiker, darüber, dass sie selbst zu wenig verdienen, dass es an Medikamenten fehlt, und dass die Apotheken sterben würden.

Ist die Kritik berechtigt? Ich finde nicht.  

Auf 100.000 Menschen kommen in Deutschland 22 Apotheken

Nehmen wir das „Apotheken-Sterben“. Gab es 2013 noch 20.662 Apotheken, so waren es 2022 nur noch 18.086 Stück. In zehn Jahren sind so 2576 Pharmazeuten verschwunden, etwa 12,5 Prozent. Das ist nicht schön, vor allem wenn sie auf dem Land fehlen. Es ist aber auch nicht ungewöhnlich, denn wir erleben auch anderweitig ein Sterben, etwa bei den Läden. Im Einzelhandel schrumpfte die Zahl der Geschäfte in den letzten acht Jahren sogar um 16 Prozent. Was die Apotheker spüren, erleben sie nicht exklusiv. Es nennt sich Strukturwandel.

Dennoch, das Netz, das uns mit Pillen versorgt, ist nicht schlecht. Wir haben pro 100.000 Menschen etwa 22 Apotheken. In einigen Länder der Europäischen Union ist das Netz enger, wie in Frankreich (32 Apotheken) Litauen (48) oder Griechenland (98), in anderen Ländern aber auch weiter, wie in Österreich (16), Schweden (13), Niederlande (11), Dänemark (9). Gemessen an unseren Nachbarn halten wir uns gut, und dass Niederländer, Österreicher oder Dänen schlechter versorgt würden, habe ich noch nicht gehört.  

Kommen wir zu den Einkünften.  

Die halbe Wahrheit

Nach Angaben der Apo Bank (ein Kreditinstitut, das Apotheker gegründet haben, und das auf Apotheker und Ärzte spezialisiert ist) lag das durchschnittliche Bruttoeinkommen eines selbstständigen Apothekers im Jahr 2019 bei 174.000 Euro. Es mag in der Branche große Unterschiede geben, aber dennoch ist diese Summe ziemlich hoch. Das Durchschnittseinkommen eines angestellten Arbeitnehmers liegt bei gut 49.000 Euro, bei den Selbstständigen dürften nur Notare, Patentanwälte und Zahnärzte im Schnitt mehr als Apotheker verdienen, die große Masse der Selbstständigen hat weniger auf dem Konto.  

Eine Apotheke zu gründen, ist weiterhin lukrativ. Sagt die Apo Bank. Bereits nach ein paar Jahren verdient ein Großteil der Jung-Pharmazeuten über 134.000 Euro, viele Berufsanfänger oder andere Gründer träumen davon nur.

Die Apotheker behaupten nun, dass ihre Einkommen seit bald 20 Jahren stagnieren würden. Sie sagen, dass ein spezieller Fixzuschlag pro Medikamentenpackung nur einmal seit 2004 angehoben worden sei.  Das aber ist nur ein Teil der Wahrheit.

Pandemie wurde zum Geldsegen für Apotheker

Es gibt viele Gebühren und Zuschläge, die die Kassen der Apotheker füllen. Das Preissystem ist so konstruiert, dass sie auch von steigenden Hersteller-Preisen profitieren, und diese Preise klettern seit Jahren. Wie sich das auswirkt, hat der Spitzenverband der gesetzlichen Kassen an zwei Beispielen ausgerechnet. Beim Medikament Gilenya gegen Multiple Sklerose verbleibt dem Apotheker nach Einkaufspreis sowie diversen Rabatten immer noch pro Packung gut 160 Euro, die er einfach einstreichen kann. Selbst bei einem Asthmaspray wie Berodual N Dosieraerosol sind es über acht Euro pro Packung.

Apotheker können noch anderweitig hinzuzuverdienen. Sie beraten Patienten, etwa wenn er an Asthma oder Bluthochdruck leidet, Krebs oder eine neue Niere bekommen hat. Eine Beratungsgebühr fließt dann, wobei Krebs- und Transplantationspatienten besonders lukrativ sind. Für die Erst-Hilfe werden 90 Euro fällig, für Folge-Tipps weitere 17,55 Euro, die man nach zwei bis sechs Monaten erneut kassieren kann. Sondergebühren gibt es auch, wenn die Pharmazeuten Arzneien selbst mixen, Betäubungsmittel abgeben oder nachts ihren Laden offenhalten.

Und dann Corona. Ein Geldregen für Apotheker. Sie verkauften Masken, stellten Zertifikate aus, testeten, besorgten Impfstoffe, impften teilweise selbst, und wenn sie die Spritze in einem Impfzentrum anlegten, gab es pro Stunde bis zu 140 Euro. Den gesamten Mehr-Umsatz allein für das Jahr 2021 beziffert das Bundesgesundheitsministerium auf etwa 2,5 Mrd. Euro, macht – rein rechnerisch – pro Apotheke ein Mehr-Erlös von etwa 138.000 Euro. Ein hübsches Sümmchen.  

Vor dem Wind des Wettbewerbs ist sie dazu besonders geschützt, das nennt sich Mehrbesitz- und Fremdbesitzverbot. Dadurch entstehen keine Apothekenketten, weil stets ein Apotheker hinterem Verkaufstresen stehen muss und maximal drei nahe Filialen betreiben darf. Lebensmittelläden, Fahrradgeschäfte oder Restaurants hätten solche Privilegien auch gern.

Bleiben schließlich die fehlenden Medikamente.

Meckern auf hohem Niveau

Ja, da haben die Apotheker Recht. Laut dem Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte gibt es Lieferengpässe bei etwa 480 Medikamenten, zum Beispiel bei Krebspräparaten, Arzneien gegen HIV und Hepatitis, Schmerzmitteln, Blutdrucksenkern oder Antibiotika. Das hat viele Gründe. Manchmal fehlen die Ausgangsstoffe für bestimmte Medikamente, manchmal ist auch die Nachfrage schlagartig gestiegen – nach dem Ende der Pandemie trugen viele keine Masken mehr und haben sich so schneller angesteckt. Einige Lieferketten sind zerbrochen, weil Unternehmen Probleme mit ihren Bezugsquellen und der Produktion hatten, denn Corona und der Ukrainekrieg haben den weltweiten Handel kräftig durchgeschüttelt. Rad- und Autofahrer, Bauherren und viele andere müssen auf manche Teile ebenfalls lange warten. Auch das ist Strukturwandel. Diese Probleme lassen nicht einfach lösen, denn die Politiker müssen dazu an vielen Rädchen drehen. Was sicher nicht hilft, ist, die Apotheker einfach mit Geld zu beschenken.

Wir alle müssen mit Inflation, Personalmangel, Corona-Nachwehen und Ukrainekrieg zurechtkommen. Manche können das besser als andere, weil sie schlicht mehr verdienen. Bei einer Berufsgruppe, die im Schnitt 174.000 Euro verdient (der Wert stammt von 2019, also noch vor den goldenen Corona-Jahren) fällt es mir schwer zu glauben, dass sie tatsächlich Not leidet. Und warum sollen eigentlich Supermarkt-Kassiererinnen, Lagerarbeiter und Botenfahrer für diese privilegierte Branche blechen. Denn das wäre die Folge, wenn sich die Apotheker durchsetzen. Die Krankenkassenbeiträge würden noch mehr steigen, damit einige Besserverdiener noch besser verdienen. Darüber könnten Sie sich erst recht ärgern.

Der Kommentar ist zuerst bei stern.de erschienen

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