Der China-Experte Horst Löchel ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Frankfurt School of Finance & Management und Associate Professor an der China Europe International Business School in Shanghai.
Die Lage der chinesischen Wirtschaft scheint sich aufzuhellen. Im zweiten Quartal ist das Wachstum wieder auf die angestrebten 7,5 Prozent gestiegen. Auch der von der HSBC erhobene Einkaufsmanager ist jüngst überraschend stark gestiegen und mit ihm die Aktienkurse an der Börse in Shanghai. Comeback der chinesischen Wirtschaft?
Es bleiben Zweifel. Das betrifft insbesondere die Stabilität des chinesischen Finanzsystems. Die Rede ist von einem scheinbaren gigantischen Schattenbankensystem, das rund 40 Billionen Yuan betragen soll - etwa 5 Billionen Euro -, was wiederum fast der Hälfte des chinesischen Bruttoinlandsproduktes entspricht. Auffällig ist auch das rasche Wachstum der Schattenbanken in China. So hat sich ihr Anteil an der Vergabe neuer Kredite in etwa verdoppelt zwischen 2008 und heute. Rund ein Viertel aller Kredite sollen mittlerweile von Schattenbanken stammen. Die Financial Times sprach kürzlich sogar von einem ‘global threat’, vergleichbar mit der Finanzkrise der Jahre 2007 und 2008.
Bei genauerem Hinsehen kann davon allerdings nicht die Rede sein. Vor allem deshalb nicht, weil die Schattenbanken in China – anders als beispielsweise die Hypothekenkrise in den USA – kaum vernetzt sind mit dem globalen Finanzsystem. Insofern bestehen systemische Risiken, wenn überhaupt, nur für China selbst.
Die Zahl der Kreditausfälle ist überschaubar
Schattenbanken sind grundsätzlich definiert als Finanzgeschäfte, die nicht oder nur ungenügend von der Bankenaufsicht reguliert sind und überwacht werden. In China bestehen Schattenbanken im Wesentlichen aus zwei Elementen: Treuhandfonds und Internetbanking von Nicht-Banken. Wie in Deutschland auch sammeln die chinesischen Treuhandfonds Geld für einen garantierten Zins ein und vergeben daraus Kredite an Unternehmen. Internetbanking in China bedeutet, dass Kunden und Unternehmen bei Internetunternehmen, beispielsweise Alipay, Einlagen tätigen und Kredite aufnehmen können und diese sich nicht nur auf reine Zahlungsfunktionen beschränken.
Tatsächlich mussten bereits einige Treuhandfonds Konkurs anmelden, da sie auf Grund von Kreditausfällen nicht in der Lage waren, Kapital und Rendite zu zahlen. Allerdings blieben solche Fälle bisher überschaubar und vom Internetbanking sind überhaupt noch keine Ausfälle bekannt.
Unabhängig jedoch von den vermeintlichen und tatsächlichen Risiken, lassen sich die chinesischen Schattenbanken als eine marktwirtschaftliche Antwort auf das von den großen Staatsbanken dominierte Finanzsystem verstehen. Man darf nicht vergessen, dass Bankkredite mit rund 80 Prozent den Löwenanteil der Unternehmensfinanzierung in China darstellen. Die großen Staatsbanken vergeben bevorzugt Kredite an andere staatliche Großunternehmen und lassen den meist privaten chinesischen Mittelstand links liegen. Genau in diese Lücke stoßen die Treuhandfonds. Dass es dabei zu Ausfällen kommt, daran werden sich die chinesischen Investoren gewöhnen müssen. Wer mehr Rendite erzielen will, muss auch höhere Risiken eingehen.
Schattenbanken sind eine der seltenen Alternative für Chinas Sparer
Auch ist nach wie vor der Einlagenzins in China durch die Zentralbank auf niedrigem Niveau festgeschrieben. Das führt im Regelfall für die Sparer zu einem negativen Realzins. Die ‘finanzielle Repression’, d. h. die Umverteilung von Vermögen von Sparern auf Schuldner, die wir im Westen seit der Finanzkrise erleben, gibt es in China schon seit rund 30 Jahren. Insofern ist es kein Wunder, dass im Internetbanking vor allem das Einlagengeschäft floriert. Hier werden für kurzfristige Einlagen bis zu 250 Basispunkte mehr gezahlt als der von der Zentralbank vorgegebenen, offizielle Einlagensatz.
Schattenbanken stellen ohne Zweifel ein Risiko für die Stabilität des chinesischen Finanzsystems dar. Viel wichtiger aber scheint zu sein, dass sie eine privatwirtschaftliche Herausforderung für die etablierten Staatsbanken darstellen. In der Tat sind die chinesischen Schattenbanken ein wesentlicher Kanal um Marktwirtschaft und Wettbewerb im chinesischen Finanzsystem zu stärken. Um so interessanter ist, dass sie von der chinesischen Führung – bisher jedenfalls – weitestgehend toleriert werden.