Sie sind die Hoffnung auf eine blühende Zukunft, aber sie tragen einen sperrigen Namen: „nicht-personenbezogene industrielle und öffentliche Daten“ bieten laut Europäischer Kommission „riesige Chancen“ für die hiesige Wirtschaft, zur weltweit führenden Digitalregion aufzusteigen.
Während die heutigen Digitalgiganten im fernen Westen und Osten ihr immenses Wachstum vor allem Personendaten zu verdanken haben, soll der nächste Datengoldrausch durch Fahrzeuge, Maschinen, Anlagen, Energienetze und städtische Infrastrukturen hervorgerufen werden. Die von ihnen erzeugten Daten werden maßgeblich dazu beitragen, dass sich das globale Datenvolumen zwischen 2018 und 2025 auf 175 Zettabytes verfünffacht.
Gerade Deutschland mit seiner starken Industrie könnte ein Hauptprofiteur sein. So hat zum Beispiel McKinsey ausgerechnet, dass allein die Verwertung von Autodaten ab dem Jahr 2030 ein jährliches monetäres Potenzial von bis zu 400 Mrd. US-Dollar hat – lukrative Anwendungsfelder finden sich dabei entlang der gesamten Wertschöpfungskette: von neuen Fahrerassistenzdiensten bis hin zur Optimierung der Produktentwicklung und des Vertriebs.
Dem digitalen Aufbruch fehlt noch das Fundament
Es ist also zu begrüßen, dass die künftige Ampelkoalition den „digitalen Aufbruch“ in Deutschland voranbringen will, indem sie den Aufbau von Dateninfrastrukturen unterstützt und in Datentechnologien investiert – kombiniert mit Gesetzen, die für ein „Level Playing Field“ mit den großen Datenplattformen sorgen sollen.
Das Problem ist allerdings, dass solche Maßnahmen den meisten Firmen wenig bringen – weil es ihnen an Grundvoraussetzungen mangelt, um Daten überhaupt produktiv zu nutzen. Denn dazu müssten sie zuallererst eine genaue Vorstellung davon haben, wie sie mit Daten ihre Wertschöpfung und Wettbewerbsposition voranbringen wollen. Und sie bräuchten grundlegende Strukturen, um Daten zu organisieren, zu aggregieren und zu kanalisieren.
Beides ist aber nur in geringem Maß vorhanden – das zeigt eine Umfrage des Marktforschungsunternehmens YouGov unter 800 Führungskräften in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Demnach sagen zwei Drittel der befragten Vorstände und Geschäftsführer, dass ihr Unternehmen keine Datenstrategie habe. Drei Viertel geben an, dass sich ihr Unternehmen nicht systematisch darum kümmere, datenbasierte Produkte oder Dienstleistungen auf den Markt zu bringen. Und laut 80 Prozent ist das Thema Daten in ihrem Unternehmen nicht organisatorisch verankert.
Tabellenkalkulation statt künstlicher Intelligenz
Wer nicht weiß, was er mit Daten anfangen soll, kann auch mit den besten Datentechnologien nichts anfangen. Nur logisch ist es also, dass 85 Prozent der Vorstände und Geschäftsführer angeben, ihr Unternehmen nutze keine modernen Analytics-Methoden oder künstliche Intelligenz – stattdessen greifen sie auf die gute alte Tabellenkalkulation zurück.
Der Umfrage lag ein Datenwertschöpfungs-Modell zugrunde, das Unternehmen auf fünf Reifegradstufen einordnet. Auf der untersten Stufe 1 herrscht Daten-Anarchie: hier werden Daten isoliert voneinander gespeichert und kaum verwertet. Auf der höchsten Stufe 5 gibt es eine einheitliche Datenbewirtschaftung, und Daten werden effektiv für die Wertschöpfung eingesetzt. Der durchschnittliche Reifegrad liegt bei 2,1 – die Firmen haben also erst einen Schritt auf dem Weg zur Datenökonomie zurückgelegt.
Keine Abkürzung auf dem Weg in die Datenökonomie
In dieser Situation ist die Versuchung groß, die Datenverwertung denen zu überlassen, die das schon lange erfolgreich tun: den Mega-Plattformen, die ohnehin gerade dabei sind, ihre Geschäftsmodelle auf die industriellen Anwendungen auszudehnen. Der Preis dafür wäre aber hoch: er käme einem Verlust der Hoheit über das eigene Geschäftsmodell gleich – denn der produktive Einsatz von Daten mag heute noch oft ein Randaspekt der Wertschöpfung sein, künftig wird er zu dessen Kern.
Wer dieses Schicksal vermeiden möchte, muss das Problem selbst lösen. Die Schwierigkeit dabei ist, dass es keine Abkürzung auf dem Weg zur Datenökonomie gibt. Es gibt nicht die eine Methode oder Killerapplikation, die ein Unternehmen auf die nächste Stufe katapultiert. Es hilft nur ein ganzheitlicher Ansatz, der Strategie, Organisation, Unternehmenskultur und Technik gleichermaßen in den Blick nimmt. Das ist planbar, und es lässt sich beschleunigen – aber es führt kein Weg daran vorbei, dass ein Unternehmen an tausenden von Schrauben entlang der gesamten Wertschöpfungskette drehen muss.
Es muss ein Ruck durch die Belegschaften gehen
Was folgt daraus für den „digitalen Aufbruch“? Die Erinnerung an einen anderen Aufbruch vor fast einem Vierteljahrhundert gibt einen Hinweis darauf, was wirklich Not tut. Im Hotel Adlon sprach Bundespräsident Roman Herzog damals über eine Situation, die nur allzu gut mit dem heute weit verbreiteten Digitalisierungs-Blues harmoniert: während Asien und die USA vor Dynamik strotzten, herrschte in Deutschland Stagnation.
Zur Lösung des Problems forderte Herzog nicht Gesetze oder staatliche Investitionen, sondern einen Mentalitätswandel in der ganzen Gesellschaft. Auf die heutigen Unternehmen übertragen heißt das: Ein Ruck muss nicht nur durch die Chefetagen, sondern durch die ganzen Belegschaften gehen. Als Lohn winkt nachhaltiges profitables Wachstum und Souveränität über das eigene Daten-Geschäftsmodell. Wie sagte Roman Herzog am Ende seiner Rede? „Die besten Jahre liegen noch vor uns.“
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