Mit einem Schlag war US-Präsident Donald Trump freigesprochen. Wie erwartet stellten die Republikaner im Senat – mit Ausnahme Mitt Romneys – ihre nackte Parteitreue über die von der Verfassung gegebene Rolle, in einem Amtsenthebungsverfahren über möglichen Amtsbissbrauch zu richten. Sie schoben die Entscheidung den Wählern zu, die im November den nächsten Präsidenten der Vereinigten Staaten bestimmen werden. Trump genießt dabei viele Vorteile: passionierte Anhänger; eine geeinte Partei; das Wahlkollegium; und eine gesunde Wirtschaft. Seine Wiederwahl scheint wahrscheinlich.
Der augenscheinlichste Grund dafür, dass Trump siegen könnte, ist der Zustand der Wirtschaft. Zwar war Trumps Rede an die Nation im Kongress sogar nach seinen eigenen Maßstäben eine Anhäufung von Übertreibungen. Nobelpreisträger Joseph Stiglitz wies darauf hin, dass die USA verglichen mit ihresgleichen in vielerlei Hinsicht schlecht dastehen: insbesondere was Lebenserwartung, Beschäftigung und Ungleichheit betrifft.
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Außerdem bewegen sich Produktion, Beschäftigung, Arbeitslosigkeit und Reallöhne weihgehend entlang dem Nachkrisenniveau. Gemessen am Ausmaß der Steuergeschenke, die ein riesiges und bleibendes Loch in den Staatshaushalt gerissen haben, ist dies gewiss keine großartige Leistung. Aber das heißt nicht, dass die Wirtschaft für viele Amerikaner zumindest gefühlt besser läuft. Das wird bei den Präsidentenwahlen eine große Rolle spielen.
Wiederwahl wäre kein Unfall mehr
Wenn Trump gewinnt, wird dieser Sieg noch viel bedeutsamer sein, als sein erster Triumph. Wählt das amerikanische Volk zweimal hintereinander einen klassischen Demagogen, dann kann das nicht mehr als Unfall der Geschichte abgetan werden. Es wäre ein Wendepunkt.
Erste Leidtragende eines Trump-Siegs wäre die freiheitliche amerikanische Demokratie. Der Präsident glaubt sich im Weißen Haus über jedes Gesetz und den Kongress erhaben. Rechenschaftspflichtig sieht er sich nur gegenüber der Wählerschaft – oder besser gesagt „seiner“ Wählerschaft. Er regiert auch in der Überzeugung, dass alle ernannten Amtsträger, Beamte und gewählte Vertreter seiner Partei allein ihm dienen und nicht etwa einer übergeordneten Sache.
Die Gründerväter der Nation fürchteten genau so einen Mann. Im ersten seiner Federalist Papers schrieb Alexander Hamilton: „Von jenen Männern, die die Freiheiten der Republiken kippten, begannen die meisten ihre Laufbahn damit, dem Volk unterwürfig den Hof zu machen; Demagogen zu Anfang und Tyrannen zum Schluss.“ Damit folgte er dem Staatstheoretiker Platon, der beschrieb, wie ein Mann, der als Beschützer seines Volkes an die Macht gelangte, zu einem „Wolf“, ja einem „Tyrannen“ werden kann.
George Washington bezog sich in seiner Abschiedsrede 1796 auf den Zustand des Zerfalls in gesellschaftliche Interessengruppen („factionalism“) und sagte dass „die Unordnung und das Elend“, die daraus resultieren, „den menschlichen Geist allmählich dazu neigen lassen, in der absoluten Macht eines Einzelnen Sicherheit und Ruhe zu suchen“. Und von diesem Zerfall gibt es im heutigen Amerika gewiss genug.
Demagoge, Nationalist, Lügner
Wir können nicht wissen, wie weit Trump gehen würde, oder wie weit die Institutionen der Republik ihn ließen. Aber was müsste Trump tun – außer die Gefolgschaft seiner Basis zu verlieren –, damit sich der republikanische Mehrheitsführer im Senat, Mitch McConnell, gegen ihn stellt? Es sind nicht die Institutionen, sondern die Menschen die ihnen dienen, auf die es wirklich ankommt. Die Republik mag den Prozess weitgehend unbeschadet überstanden haben (eine optimistische Annahme). Aber die Wahl dieses Mannes – eines Demagogen, Nationalisten und unbeherrschten Lügners, der Tyrannen bewundert – hätte weltweite Bedeutung.
Despoten sehen in Trump einen Seelenverwandten. Freiheitlich gesinnte Demokraten würden sich noch mehr im Stich gelassen fühlen. Die Vorstellung des Westens als Allianz mit einem gewissen moralischen Bollwerk würde sich vollends auflösen. Bestenfalls bliebe ein Block reicher Länder, die ihre globalen Positionen behaupten wollen. Der Nationalist Trump würde die EU weiter ablehnen und verachten, sowohl ihre Ideale als auch ihre Stellung als wirtschaftliches Gegengewicht zu den USA.
Jüngst schrieb David Helvey, Abteilungsleiter im US-Verteidigungsministerium, über die Feindseligkeit Chinas und Russlands gegenüber einer „regelbasierten Ordnung“. Dieses Prinzip ist in der Tat von großer Bedeutung. Nur leider ist sein größter Feind inzwischen das eigene Land, hat es doch auch immer auf amerikanische Weitsicht und Energie gesetzt. Intellektuell und moralisch hat Trumps Merkantilismus und Bilateralismus eine Breitseite gegen das Welthandelssystem gefeuert. Er hält sogar sein Land für das größte Opfer der eigenen Ordnung. Das Problem liegt also nicht darin, dass Trump keine Überzeugungen hat, sondern dass diese oftmals falsch sind.
Würde eine internationale Rechtsordnung überleben?
Im weiteren Sinne schafft Trumps Denkansatz von kurzfristigen Deals und die Neigung, für seine Machtfülle die Grenzen der Verfassung zu testen, eine instabile und unberechenbare Welt – für Regierungen wie für Unternehmen. Auch diese Unsicherheit könnte in einer zweiten Amtszeit noch schlimmer werden. Es ist eine offene Frage, ob irgendeine Art von internationaler Rechtsordnung überleben würde.
Auch große praktische Herausforderungen sind zu bedenken. Eine liegt in der komplizierten und belasteten Beziehung zu China. Wobei Trump hier noch gar nicht der härteste unter den amerikanischen Hardlinern ist. Er hat ja auch einen Hang zum Pragmatischen – macht gerne Deals, wie halbgar die auch sein mögen.
Das vielleicht wichtigste Problem (wenn man von der Vermeidung eines Atomkriegs absieht) ist der Umgang mit den globalen gemeinsamen Gütern – allen voran der Atmosphäre und der Meere. Wesentliche Anliegen sind der Klimawandel und der Verlust der Artenvielfalt. Es bleibt wenig Zeit, um gegen beide Bedrohungen anzugehen. Eine zweite Regierung Trump, die dies ebenso ablehnt wie jegliches Konzept globaler Zusammenarbeit, würde untergraben, was notwendig ist. Öffentliche Güter kommen in der Aufmerksamkeit dieser Regierung gar nicht als beachtenswerte Problemkategorie vor.
Wir durchleben eine Zeit, in der die Geschichte aus dem Gleis springen kann. Die Welt bräuchte eine außergewöhnlich weise und kooperative globale Führung. Die bekommen wir nicht – und es wäre wohl töricht, das überhaupt zu erwarten. Aber die Wiederwahl Trumps könnte einen entscheidenden Fehlschlag markieren. Also Achtung: 2020 wird wichtig.
Copyright The Financial Times Limited 2020
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