Alexander Ljungs Auftritt hatte etwas Sakrales. Der Soundcloud-Chef war ganz in Schwarz gekleidet, er nahm Platz unter einer riesigen Orgel, und gebetsmühlenartig wiederholte er: „Wir erschaffen ein starkes und unabhängiges Unternehmen.“
Der Satz war mehr Beschwörungsformel als Beschreibung der Wirklichkeit. Denn nur wenige Tage bevor Ljung im Juli auf einer Tech-Konferenz im Aufnahmesaal des ehemaligen DDR-Funkhauses an der Berliner Nalepastraße sein Mantra aufsagte, hatte er 173 Mitarbeiter entlassen und die Büros in London und San Francisco geschlossen. Trotz der drastischen Sparmaßnahmen – über 40 Prozent der Belegschaft wurden gefeuert – brauchte Sound-cloud dringend frisches Geld. Und obwohl das Unternehmen wenige Wochen später in höchster Not mit einer Kapitalspritze über rund 170 Mio. Dollar vor der Pleite gerettet wurde, ist es heute ein Sanierungsfall. Nur wenige Mitarbeiter, so ist zu hören, glauben noch an einen langfristigen Erfolg.
Was für ein Absturz. Es ist noch nicht lange her, da galt die Firma als Deutschlands Vorzeige-Start-up, es stand beispielhaft für den Aufschwung der Berliner Gründerszene, für ihre internationale Anziehungskraft. Soundcloud zeigte, dass es eben doch möglich ist, in Berlin ein innovatives digitales Produkt mit globaler Reichweite zu bauen. Das Unternehmen der beiden schwedischen Gründer Alexander Ljung und Eric Wahlforss war der coole Gegenentwurf zur seelenlosen Klonwut der Samwer-Brüder , die einfach anderweitig erprobte Geschäftsmodelle nachbauten.
Soundcloud schuf ein einzigartiges Angebot, das Nutzer und Investoren gleichermaßen begeisterte. Dass dafür zu keiner Zeit ein tragfähiges Geschäftsmodell gefunden werden konnte, das ging in der Euphorie irgendwie unter. Man war sich sicher: Soundcloud war auf dem Weg zum Milliardenunternehmen, unaufhaltsam, unbestreitbar.
Tatsächlich ist Ljung und Wahlforss ein erstaunlicher Aufstieg gelungen. Aus einem Zwei-Mann-Schuppen, der zum Start 2007 nicht mehr war als ein Insidertipp unter Berliner DJs, wurde innerhalb eines Jahrzehnts eine Musikplattform mit bis zu 175 Millionen Nutzern und 420 Mitarbeitern. In der Spitze bewerteten Investoren das Unternehmen mit 700 Mio. Dollar. Für Popstars wie die neuseeländische Sängerin Lorde oder den US-Hip-Hop-Künstler Chance- the Rapper war die Plattform das Sprungbrett zum Ruhm. In den USA ist „Soundcloud Rap“ inzwischen ein eigenes, derzeit sogar ziemlich angesagtes Genre.
Kein Wort von Krise
Für Insider kam der Absturz dennoch nicht überraschend. Anzeichen für Probleme gab es schon lange: die Verluste, die über die Zeit nicht geringer, sondern immer gewaltiger wurden; die schwierigen Lizenzverhandlungen mit der Musikindustrie, die sich über Jahre hinzogen; Künstler, die zunehmend das Gefühl hatten, die Plattform sei nicht mehr für sie, sondern für die Plattenfirmen da; die Übernahmegerüchte, die in regelmäßigen Abständen kursierten; die Unternehmensbewertung, die nicht wuchs, sondern stagnierte.
Und mittendrin zwei Gründer, die, so wirkt es, nicht nur ihren strategischen Kompass, sondern auch die Lust am mühseligen Tagesgeschäft verloren haben. Die nach außen stets kommunizieren, alles laufe nach Plan, und damit entweder die harte Realität nicht wahrhaben wollen oder den Kontakt zu ihr längst verloren haben.
Beobachten ließ sich das im Juli am Umgang mit der Entlassungswelle. Aus der Belegschaft heißt es, man sei davon vollkommen überrascht worden. Noch zu Beginn der Woche, an deren Ende 173 Mitarbeiter ihren Job verloren, fingen allein im Berliner Hauptquartier zwölf neue Leute an. Ein Entwickler, der Mitte Juli bei Soundcloud starten sollte, berichtet, dass er seinen alten Job aufgegeben und seine Wohnung in Prag gekündigt hatte. Seine neue Anstellung verlor er, bevor er sie überhaupt antreten konnte.
Die Betriebsversammlung, bei der die Gründer über die Entlassungen informierten, wurde von Teilnehmern als surreal beschrieben. Als Eric Wahlforss die „Soundcloud-Familie“ erwähnte, soll er Lacher geerntet haben. Die Entlassungen, erklärte Ljung während seines denkwürdigen Auftritts im Rundfunksaal, seien „Teil eines Strategiewechsels“. Von Krise kein Wort. Stattdessen: Durchhalteparolen. Die Umsätze? „In den letzten zwölf Monaten verdoppelt.“ Die Nutzerzahlen? „Sehr gutes Wachstum.“ Die Musikindus-trie? „Unterstützt uns sehr.“
Und während die halbe Tech-Welt darüber diskutierte, wie bald Soundcloud das Geld ausgehen könnte, ließ es sich Wahlforss nicht nehmen, zu einer Party für die VIP-Besucher der Tech-Konferenz zu laden. Der exklusive Zirkel traf sich in einem Open-Air-Club an der Rummelsburger Bucht.
Der Aufstieg von Soundcloud beginnt 2005 mit einer Zufallsbegegnung. Im Computerlabor der Königlichen Technischen Hochschule Stockholm lernen sich der Sounddesigner Alexander Ljung und der Programmierer Eric Wahlforss kennen. Beide begeistern sich für Technik – und für Musik.
2006 gehen sie für ein Studienprojekt nach San Francisco. Dort herrscht Web-2.0-Fieber. Die ersten sozialen Netzwerke entstehen, auf Wordpress wird gebloggt, auf Flickr teilen Nutzer ihre Fotosammlungen, auf Youtube bald auch Videos. Für Musik gibt es Myspace, damals gigantische 100 Millionen Nutzer stark, doch die Popularität des Dienstes lässt seit der Übernahme durch Rupert Murdochs News Corporation deutlich nach. Und einfach zu nutzen ist die unübersichtliche Website auch nicht.
Zurück in Stockholm fassen Ljung und Wahlforss den Entschluss, diese Marktlücke auszufüllen. Die Vision: ein soziales Netzwerk zum Austausch von Audiodateien, schön designt, leicht bedienbar, nutzerfreundlich. Künstler interagieren darüber direkt mit ihren Fans. Und die in Wellenform dargestellten Musikstücke kann man an jeder Stelle kommentieren – eine sehr beliebte Funktion. Der New Yorker DJ und Label-Inhaber Nick Catchdubs erinnert sich: „Die Schönheit des frühen Soundclouds war, dass die Leute einfach teilten, was sie kreierten und was sie liebten – der Bedienkomfort förderte ein soziales Moment, dass keiner der anderen Streamingdienste je erreichte.“
Punk, Kunst und Technologie
Umgesetzt wird die Idee in Berlin. Die Gründer reizt die kreative Szene der deutschen Hauptstadt, die Mischung aus „Punk, Kunst und Technologie“, wie Ljung es beschreibt. Es ist die Zeit, als das Berghain zum angesagtesten Club der Welt wird. Berlin ist bezahlbar und sexy.
Die Anfangstage sind wild und ungestüm. Als die Betaversion der Plattform im Frühjahr 2007 für eine begrenzte Anzahl an Nutzern geöffnet wird, veranstaltet das Start-up eine Party auf der Dachterrasse seines Büros. Hunderte Gäste kommen, sie bleiben zwei Tage, feiern und lassen sich auch nicht von der Polizei vertreiben, die mehrmals auftaucht. Am Ende ist das Büro verwüstet, dafür hat Soundcloud jetzt eine eingeschworene Fangemeinde.
Die kommt vor allem aus der Elektroszene. DJs stellen dort ganze Sets online, die auch mal mehrere Stunden lang sein können. Im Oktober 2008 wird die Plattform dann für alle Nutzer geöffnet. Wieder wird gefeiert. Inzwischen sind erste Geldgeber wie die Berliner Seriengründer Christophe Maire und Felix Petersen an Bord – das Start-up kann jetzt schon einen ganzen Club in Berlin-Mitte mieten. Wahlforss trägt Hemd und Krawatte, Ljung Nerd-Brille und Lederjacke mit aufgesprühtem Soundcloud-Logo.
Eine für deutsche Start-ups beispiellose Wachstumsgeschichte beginnt. Im Frühjahr 2009 haben 100.000 Menschen einen Account, normale Zuhörer, Indie-Musiker – und Promis wie der US-Rapper 50 Cent. Im Mai 2010 sind es eine Million Nutzer. Um Soundcloud herum entsteht währenddessen eine neue Berliner Gründerszene – mit Start-ups wie dem Forschernetzwerk Researchgate, der Aufgaben-App „Wunderlist“ und dem Musikvideodienst Tape.tv. Gemeinsam unterzeichnen die Gründer ein Manifest, das die „Anti-Copycat-Revolution“ ausruft – eine Kampfansage an die Klonfabrik Rocket Internet. An Selbstbewusstsein mangelt es nicht. Ende 2011, inzwischen hat Soundcloud fünf Millionen Nutzer, steht Ljung auf der Bühne einer Internetkonferenz in Paris und verkündet: „Sound wird größer sein als Video.“
Die Investoren nehmen den Gründern ihre Vision ab. Sie kommen, auch das ist neu für Berlin, sogar aus dem Silicon Valley. Anfang 2012 gibt es 50 Mio. Dollar, die Finanzierungsrunde wird von Kleiner Perkins Caufield & Byers angeführt, einem legendären Risikokapitalgeber, zu dessen aufgegangenen Wetten Amazon, Google und Facebook gehören. Auch der New Yorker Twitter-Investor Union Square Ventures und die Londoner Private-Equity-Firma Doughty Hanson geben Geld.
Die neuen Gesellschafter irritiert auch nicht, dass das Start-up, inzwischen 80 Mitarbeiter stark, weder über eine klare Monetarisierungsstrategie verfügt noch eine Lösung parat hat für eine sich abzeichnende Bedrohung: In den Remixen und DJ-Sets auf der Plattform ist häufig urheberrechtlich geschützte Musik verbaut. Darf Soundcloud die seinen Nutzern überhaupt zugänglich machen? „Eigentlich war allen von Anfang an klar, dass das ein Grauzonen-Geschäftsmodell war“, sagt der Berliner Musikwirtschaftsexperte Eric Eitel. Spotify, der schwedische Streaming-Wettbewerber, der gerade Fahrt aufnimmt, hat dafür Lizenzvereinbarungen mit den Plattenfirmen. „Es war nur eine Frage der Zeit, bis Soundcloud aus seiner Nische herauswachsen und auf dem Radar der Musikindustrie landen würde“, sagt Eitel. „Und dann?“
Wird sich schon eine Lösung finden, glaubte man offenbar bei Soundcloud. „Move fast and break things“, das war schließlich schon Mark Zuckerbergs Motto. Wer ein starkes Produkt baut und Massen von Nutzern anlockt, findet später schon heraus, wie man mit Rechteproblemen umgeht – und wie man eigentlich Geld verdient. Facebook, Google, Youtube: Die Silicon-Valley-Giganten haben es doch genauso gemacht. Warum sollte das bei Soundcloud nicht funktionieren?
Yoga-Raum am Mauerstreifen
2014 ist das Unternehmen auf dem Höhepunkt. Bei einer Finanzierungsrunde zu Jahresbeginn bewertet der Wachstumsinvestor Institutional Venture Partners Soundcloud mit 700 Mio. Dollar. Im Sommer zieht die Firma mit über 200 Mitarbeitern in den gerade eröffneten Tech-Campus Factory an der Mauergedenkstätte Bernauer Straße. Ljung und Wahlforss haben drei Etagen und knapp 3000 Quadratmeter nach ihren Vorstellungen gestalten lassen, mit Kaminzimmer, Aufnahmestudio, Bibliothek und Yoga-Raum. Das Büro als Luxus-Wohlfühlzone – auch hier will es Soundcloud mit dem Silicon Valley aufnehmen.
Doch während die Firma im Herbst die fantastische Zahl von 175 Millionen aktiven Nutzern verkündet, häufen sich hinter den Kulissen die Probleme. Zum einen macht das Unternehmen immense Verluste: 2013 sind es 23 Mio. Euro, 2014 bereits 39 Mio. bei Kosten von 4 Mio. Euro im Monat. Und die Einnahmen sind dürftig: 17 Mio. Euro im Jahr 2014, Geld, das vor allem von Profinutzern kommt, die für besondere Funktionen wie mehr Speicherplatz oder Analysewerkzeuge zahlen. Mit Werbung auf der Plattform gibt es bisher nur erste Versuche.
Gleichzeitig verursacht der ungeklärte Umgang mit urheberrechtlich geschützter Musik nun größere Komplikationen. Auf Druck der Plattenfirmen muss Soundcloud immer wieder Musikstücke von der Plattform nehmen, die betroffenen Nutzer sind sauer. Nachdem mehrere Dutzend seiner Tracks wegen vermeintlicher Copyright-Verletzungen entfernt wurden, beschwert sich der amerikanische Star-DJ Kaskade: „Die haben diesen unglaublichen Dienst dank all dieser Leute, die ihm vertrauen, und dann ziehen sie ihnen den Boden unter den Füßen weg.“ Bei vielen Künstlern wächst ohnehin die Ungeduld. Ihnen wurde versprochen, bei Soundcloud bald Geld verdienen zu können – doch nur einige wenige werden an Werbeerlösen beteiligt. Für die große Mehrheit bringt Soundcloud zwar Reichweite, aber kaum Einnahmen.
Die Lösung wären Lizenzvereinbarungen mit der Musikindustrie. Gespräche gibt es zwar mit Universal, Sony und Warner, den drei wichtigsten Labels, die zusammen etwa zwei Drittel des Plattenmarkts kontrollieren. Doch die Verhandlungen, die eigentlich schon 2014 abgeschlossen sein sollten, kommen nicht voran. Die Streitpunkte: Was bekommen die Labels im Gegenzug für die Gewährung der Musikrechte? Sollen Nutzer Abos abschließen, oder reichen Werbeeinnahmen? Und wie soll mit Copyright-Verletzungen aus der Vergangenheit umgegangen werden? Verantwortlich für die Hängepartie, so heißt es aus Kreisen der damals Beteiligten, war vor allem die Soundcloud-Seite, die den Ernst der Situation nicht erkennen wollte.
Die ungeklärten Rechtefragen führen 2014 auch dazu, dass ein potenzieller Käufer für Soundcloud abspringt: Twitter. Der Kurznachrichtendienst aus San Francisco denkt schon länger über ein eigenes Musikangebot nach, eine Übernahme wäre eine schnelle Lösung. Dass der Deal kurz vor Abschluss platzt, soll auch an überzogenen Preisvorstellungen von Gründern und Investoren gelegen haben, die eine Bewertung von mindestens 1 Mrd. Dollar für gerechtfertigt halten.
Die Soundcloud-Bosse haben ihr Unternehmen in eine komplizierte Lage manövriert, mitten in ein Netz aus Abhängigkeiten von Musikindustrie und Künstlern, den Interessen von Mitarbeitern, Investoren und möglichen Käufern. Doch statt die Schwierigkeiten einzugestehen, preisen die Gründer ihre Firma weiter in den höchsten Tönen.
„Wir sind total fixiert darauf, eine Plattform zu schaffen, die für Künstler und Hörer auf langfristige und nachhaltige Art und Weise einen sinnvollen Beitrag leistet.“ Das sagt Alexander Ljung 2015 einem Branchenportal. Im selben Jahr klettern die Verluste auf 51 Mio. Euro, die Umsätze steigen nur leicht auf 21 Mio. Euro. Und es gibt noch immer keinen Deal mit zwei der drei großen Plattenfirmen. Im Fall von Sony kommt es sogar zum Eklat: Das Label nimmt die Seiten wichtiger Künstler wie der Sängerin Adele von der Plattform.
Ljung und Wahlforss finden zwischendurch trotzdem die Zeit, zur Fashion Week nach Mailand zu jetten. Oder nach Las Vegas, um einen DJ-Gastauftritt zu absolvieren. Und zum exzentrischen Burning-Man-Festival in der Wüste Nevadas. Es wirkt wie eine Flucht.
Im Frühjahr 2016 stehen endlich Deals mit allen drei Major-Labels. Soundcloud kann jetzt auch den sogenannten Backkatalog legal auf die Plattform heben, also alle bisherigen Alben der unter Vertrag stehenden Künstler. Das Premium-Abo „Soundcloud Go“ startet im April in den USA, für 10 Dollar im Monat können nicht nur Indie-Künstler, sondern auch Taylor Swift oder die Beatles gehört werden. Nur: Bei Spotify – zur gleichen Zeit gestartet, aber inzwischen zum Marktführer aufgestiegen – ist diese Sammlung schon länger im Angebot, dort zahlen 2016 bereits 40 Millionen Nutzer. Und mit Apple Music ist ein neuer, zahlungskräftiger Konkurrent im Markt.
Die gute Nachricht ist: Soundcloud hat jetzt so etwas wie ein Geschäftsmodell. Die schlechte: Man ist zu spät dran. Und die Indie-Künstler und kleinen Labels, die die Plattform einst groß gemacht haben, sind nicht glücklich mit der neuen Ausrichtung, die sie als Kotau vor der Plattenindustrie interpretieren.
Als das Abo im Dezember endlich auch in Deutschland an den Start geht, postet Ljung auf Facebook einen Artikel mit der mutigen Überschrift: „Soundcloud greift Spotify an“. Wahlforss schreibt wenig später: „Darf ich sagen, dass 2016 unser bestes Jahr war? Trotz ein paar kleiner Probleme, die es hier und da gab, machen wir riesige Fortschritte.“
Die Vision geht verloren
Soundcloud verrät bis heute nicht, wie viele seiner Nutzer für ein Premium-Abo zahlen. Manche Insider gehen davon aus, dass nur zwei oder drei Prozent sich für das Bezahlangebot entscheiden. Und während Soundcloud seit 2014 an der Gesamtzahl von 175 Millionen aktiven Nutzern festhält, gehen Experten inzwischen von weit weniger aus.
Der Streaming-Markt ist ein hartes, margenschwaches Geschäft. Selbst der Marktführer Spotify hat es bislang nicht in die Gewinnzone geschafft. Dass Soundcloud am Ende keine andere Monetarisierungsstrategie einfiel als eine Kopie des Spotify-Modells, war wohl der schwerwiegendste Fehler der Gründer.
„Soundcloud wollte skalieren, skalieren und mit allen konkurrieren“, sagt Eric Eitel, der das Unternehmen seit Langem beobachtet. „Dabei wäre es einfacher und sinnvoller gewesen, wenn man sich darauf konzentriert hätte, den Soundcloud-USP zu stärken.“ Soll heißen: Statt die Interessen der großen Labels zu befriedigen, hätte man sich besser um die aufstrebenden Musiker ohne Plattenvertrag gekümmert.
Zurück zu den Wurzeln
„Die Vision ging verloren“, bestätigt Nick Catchdubs, der DJ und Label-Inhaber aus New York. „Eine ehemals großartige Plattform wurde weniger und weniger angenehm zu nutzen.“ Dennoch würde Catchdubs das endgültige Ende von Soundcloud mehr als bedauern: Die Seite seines Labels hat dort acht Millionen Nutzer: „Das sind eine Menge Fans, die wir jederzeit mit einem einzigen Upload erreichen können.“
Und: Die Plattform hat noch immer ein einzigartiges und quasi unerschöpfliches Reservoir an Musik. Zieht man den Backkatalog mit seinen 30 Millionen Songs ab, bleiben 120 Millionen Tracks – ein Fundus, aus dem sich doch etwas machen lassen muss. Vermutlich wird sich das geschrumpfte Unternehmen auf das Geschäft mit den Indie-Musikern konzentrieren, bei dem die großen Plattenfirmen nicht so viel mitzureden haben. Ljung hat in einem Blogbeitrag bereits einen „unermüdlichen Fokus auf unseren einzigartigen Wettbewerbsvorteil – die Künstler und Kreativen“ angekündigt. Der britische Branchenexperte Mark Mulligan glaubt: „Zu seinen Wurzeln zurückzukehren könnte Soundcloud eine starke langfristige Zukunft sichern, aber sie läge in einer Nischenposition mit weniger Nutzern. Viele der großen Investoren dürfte das nicht so interessieren.“
Mitte August sichern der singapurische Staatsfonds Temasek und die New Yorker Investmentbank Raine Group Soundcloud fürs Erste das Überleben: 169,5 Mio. Dollar kommen in einer Finanzierungsrunde zusammen, bei der die neuen Investoren offenbar die Mehrheit übernehmen – und vor der sie die Bewertung des Unternehmens auf gerade mal 150 Mio. Dollar gesenkt haben sollen. Als erste Amtshandlung setzen die neuen Geldgeber mit dem erfahrenen Medienmanager Kerry Trainor einen neuen CEO durch – Alexander Ljung wechselt in den Verwaltungsrat. Ob Trainor und die neuen Gesellschafter an die von Ljung formulierte neue alte Strategie glauben, ist völlig unklar – genauso wie die Frage, ob es ihnen gelingt, aus dieser Geldverbrennungsmaschine endlich eine profitabel arbeitende Firma zu formen.
Als im Juli Berichte über die Krise bei Soundcloud die Nutzer in Unruhe versetzten, versuchte Ljung, sie mit einem weiteren Blogbeitrag zu beruhigen. „Eure Musik ist sicher. Soundcloud wird von Dauer sein.“ Diesmal sollte der Gründer recht behalten – vorerst zumindest.
Der Beitrag ist zuerst in Capital 09/2017 erschienen. Hier geht es zum Abo-Shop, wo Sie die Print-Ausgabe bestellen können. Unsere Digital-Ausgabe gibt es bei iTunes, GooglePlay und Amazon