Anzeige

EU-Kommission So will von der Leyen Europas Wirtschaftspolitik gestalten

Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine ambitionierte Agenda vorgelegt
Die neue EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat eine ambitionierte Agenda vorgelegt
© EU2017EE Estonian Presidency / CC BY 2.0 / Flickr
Mit einer ambitionierten Agenda hat sich Ursula von der Leyen um das Amt der EU-Kommissionspräsidentin beworben. Das könnten ihre Versprechen für die Wirtschaft bedeuten

Als neu gewählte EU-Kommissionspräsidentin hat sich Ursula von der Leyen viel vorgenommen. Bereits in den nächsten hundert Tagen nach ihrem Amtsantritt am ersten November will sie den ersten Gesetzesentwurf vorlegen. Und auch in ihrer Wirtschafts- und Handelspolitik zeigt sich die scheidende Bundesverteidigungsministerin bereit zu Reformen.

Die Liste ihrer Vorhaben ist lang, aber sind von der Leyens Ziele überhaupt so einfach umsetzbar? Capital hat fünf Punkte aus der Agenda der neuen Kommissionspräsidentin näher betrachtet:

Europaweite Arbeitslosen-Rückversicherung

Von der Leyens Vorschlag einer Arbeitslosen-Rückversicherung fällt auf fruchtbaren Boden. Einen entsprechenden Vorschlag für die Eurozone hatte die Europäische Kommission bereits in 2018 gemacht. Demnach ist eine Art Fonds geplant, in den beteiligte Staaten einzahlen und aus dem sie im Krisenfall finanzielle Unterstützung erhalten. Der Entwurf gehört zur Finanzplanung 2021 bis 2027 und plant mit einem Umfang von 30 Milliarden Euro.

Die positive Wirkung einer solchen Maßnahme hat eine Studie des Ifo-Instituts im Auftrag der Bertelsmann-Stiftung bereits bestätigt. Das Ergebnis: Eine Rückversicherung im Krisenjahr 2009 hätte innerhalb der Eurozone die Einkommensverluste durch Arbeitslosigkeit um mehr als 14 Milliarden Euro abgefedert. In Deutschland hätte die Rückversicherung rund ein Fünftel der entstandenen Einkommensverluste abfedern können.

Innerhalb Europas ist die Maßnahme allerdings umstritten. Vor allem die wirtschaftsstarken Mitgliedsstaaten und das konservative Lager befürchten, dass Länder mit hohen Defiziten wie Italien von dem Fonds profitieren, während sie selbst lediglich einzahlen.

Ein weiterer Streitpunkt ist daher die Frage nach Konditionen, unter denen Staaten im Krisenfall Hilfe bekommen sollen. Vor allem die Bundesregierung hat dabei bisher betont, dass Finanzhilfen an Reformauflagen gebunden sein müssen. Die Kommission fordert bislang dagegen einen zinsfreien Zugang für alle Staaten, die noch Zugang zum Kapitalmarkt haben.

Europäischer Rahmen für Mindestlöhne

Mit ihrer Forderung nach einem europäischen Rahmen für Mindestlöhne reagiert von der Leyen auf eine laufende Debatte. Anfang des Jahres hatte sich Bundesarbeitsminister Hubertus Heil für das Ziel eingesetzt. Auch im Europawahlkampf fand das Thema großen Zuspruch.

Bislang ist in 22 der 28 EU-Mitgliedsstaaten ein Mindestlohn festgesetzt – allerdings schwanken die Löhne von 11,27 Euro in Luxemburg bis hin zu 1,42 Euro in Bulgarien . Die europaweite Anpassung an einen Wert, scheint damit nahezu unmöglich. Stattdessen ist ein gemeinsames Mindestlohnniveau im Gespräch. Ein bisheriger Vorschlag liegt bei 60 Prozent des nationalen Medianlohns.

Deutsche Unternehmer und Ökonomen stehen dem Vorschlag skeptisch gegenüber. So befürchtet Gabriel Felbermayr vom Kieler Institut für Weltwirtschaft, dass Pläne wie ein europaweiter Mindestlohn die Wettbewerbsfähigkeit Europas schwächen und für schwächere Volkswirtschaften zur Belastung werden könnten.

Auch im Lager der EVP findet das Ziel nur bedingt Zustimmung. Zuletzt sprach sich EVP-Spitzenkandidat Manfred Weber im Vorfeld der Europawahl gegen eine europäische Mindestlohnpolitik und forderte stattdessen mehr Maßnahmen gegen hohe Arbeitslosigkeit.

Vollendung der Bankenunion

Die Bankenunion entstand in Reaktion auf die Finanzkrise und besteht aktuell aus zwei Teilen: Dem einheitlichen Aufsichtsmechanismus zur Überwachung der wichtigsten Banken im Euroraum und dem einheitlichen Abwicklungsmechanismus, der ausfallende Banken mit minimalen Kosten für Steuerzahler und Wirtschaft abwickeln soll.

Im Gespräch war bisher auch ein europäisches Einlagensicherungssystem, in das alle europäischen Banken zur Sicherung ihrer Einlagen im Krisenfall gemeinsam einzahlen. Schon 2015 legte die EU-Kommission dazu einen Vorschlag vor.

Bislang gibt es aber auch hier keine Einigung auf Seiten der EU-Mitgliedsstaaten. Einer der stärksten Gegner der Maßnahme ist die Bundesregierung. Der Grund: Das Einlagerungssystem bedeutet eine Vergemeinschaftung finanzieller Risiken. Indem auch die Banken ehemaliger Euro-Krisenländer wie Griechenland und Italien darin einzahlen, seien diese Risiken deutlich zu hoch.

Viele andere EU-Länder und auch einige Ökonomen unterstützen das Vorhaben allerdings – und erhöhen damit den Druck auf die „Nein“-Sager im Europäischen Rat. Mit einer zeitnahen Lösung ist trotzdem nicht zu rechnen: Denn selbst bei Einstimmigkeit würde es nach Schätzungen mehrere Jahre dauern, bis der Einlagensicherungsfonds die geplante Größe von 43 Milliarden Euro erreicht.

Vollendung der Kapitalmarktunion

Zumindest in diesem Punkt ist von der Leyen die Unterstützung der Bundesregierung sicher. Denn innerhalb der Eurozone herrscht ein breiter Konsens über das Binnenmarktprojekt.

Die Europäische Kommission hatte die Agenda zur Kapitalmarktunion 2015 gestartet. Sie soll es Unternehmen erleichtern, sich die nötigen Finanzmittel durch Anlagen und Aktienmärkte zu beschaffen – auch über nationale Grenzen hinweg. Bislang greifen viele EU-Unternehmen auf die Kredite nationaler Banken zurück.

Von der Leyen will das Projekt um einen privat-öffentlichen Investitionsfonds erweitern. Er soll kleinen und mittelständischen Unternehmen Investitionen anbieten – erst aus EU-Geldern und später von privaten Investoren.

Allerdings kommt die Kapitalmarktunion schon jetzt nur schleppend voran. Bislang hat das Europaparlament nur drei der 13 Vorhaben angenommen. Oft stockt der Prozess wegen der ausstehenden Stellungnahme eines der EU-Organe.

Einen weiteren Grund für die langsame Entwicklung sehen einige in den Nachwehen der Eurokrise . Diese habe zuletzt die Schaffung eines einheitlichen Kapitalmarkts verhindert. Solange die Krise in einigen Staaten noch nachwirkt, könnte das Projekt weiterhin nur langsam vorangehen.

Europaweite CO2-Begrenzung

In Sachen CO2-Begrenzung hat die neue Kommissionspräsidentin bisher die konkretesten Forderungen gemacht: Bis 2050 will sie ein klimaneutrales Europa, bis 2030 eine geplante Verringerung des CO2-Ausstoßes um 50 bis 55 Prozent. Beide Ziele wolle sie in den ersten 100 Tage im Amt als „Green Deal“ für Europa vorstellen.

Durch die Einführung einer CO2-Grenzabgabe will sie außerdem „gleiche Spielregeln“ für alle Unternehmen schaffen und die Verlagerung von CO2-Emissionen innerhalb der EU vermeiden. Für Fluggesellschaften will sie die kostenlosen Emissionszertifikate reduzieren und auch der Schifffahrtsverkehr soll demnächst am Zertifikathandel teilnehmen.

Im Europäischen Rat war ein „klimaneutrales Europa“ bis 2050 erst im Juni gescheitert. Polen, Tschechien und Ungarn hatten sich gegen den Vorstoß gestellt, weil sie in ihrer Energieversorgung vor allem auf Kohle, Öl und Gas setzen.

Ähnlich war es 2018 als EU-Kommissar Cañete die Verringerung des CO2-Ausstoßes von 40 auf 45 Prozent bis 2030 anheben wollte. Nach deutlicher Kritik allen voran von der Bundesregierung und der deutschen Wirtschaft, legte Cañete das Vorhaben sogar gar nicht erst zum Beschluss vor.

Begrenzter Handlungsspielraum als Kommissionspräsidentin

Die Betrachtung der einzelnen Punkte zeigt: In vielen Ambitionen knüpft von der Leyen an die Ziele der bisherigen EU-Kommission an. Ähnlich wie ihr Vorgänger Juncker ist sie dabei in ihrem Handlungsspielraum begrenzt. Denn ihre Vorschläge sind grundsätzlich von der Zustimmung des Europäischen Rates und des Europaparlaments abhängig.

Gerade letzteres könnte dabei eine besondere Herausforderung darstellen: Angesichts der tiefen Gegensätze zwischen den verschiedenen politischen Lagern, gilt die Kammer schon jetzt als sehr gespalten. Die mehrheitliche Zustimmung für Gesetzvorschlage wird damit zunehmend schwierig.

Gleichzeitig könnte von der Leyen als CDU-Politikerin den Widerstand der zwei zentralen Vetospieler bisheriger Kommissionsziele – der Bundesregierung und der Konservativen – abschwächen, so die Mehrheit der Prognosen. Ob ihr Einfluss auf das eigene Lager letztlich wirklich so groß ist, bleibt jedoch abzuwarten.

Mehr zum Thema

Neueste Artikel