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EU-Gipfel Warum die EU ihren Streit ums Geld rasch beilegen muss

Kommissionschefin von der Leyen, Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron werden sich beim EU-Gipfel erstmals seit dem Corona-Shutdown wieder in Brüssel treffen
Kommissionschefin von der Leyen, Kanzlerin Merkel und Frankreichs Präsident Macron werden sich beim EU-Gipfel erstmals seit dem Corona-Shutdown wieder in Brüssel treffen
© Belga / IMAGO
Beim EU-Gipfel am Freitag wird wieder um viel Geld gerungen: Es geht um die Haushaltsplanung und den 750-Mrd.-Euro-Wiederaufbaufonds. EU-Experte Grégory Claeys über die Konfliktlinien und den schwindenden Einfluss der Achse Paris-Berlin

Grégory Claeys arbeitet seit 2014 für die Brüsseler Denkfabrik Bruegel. Seit April 2020 ist er dort Senior Fellow. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf internationaler Makroökonomie und internationalen Finanzen, Zentralbanken und European governance

Capital: Wie hat die EU die europäische Wirtschaft bisher in der Krise unterstützt?

GRÉGORY CLAEYS: Eine der wichtigsten Reaktionen war das Notfallkaufprogramm PEPP das die Europäische Zentralbank ins Leben gerufen hat, um sicherzustellen, dass alle Mitgliedstaaten an den Finanzmärkten Zugang zu Krediten mit guten Konditionen erhalten. Die Europäische Kommission hat zudem einen befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen aufgesetzt, damit Staaten ihre Unternehmen in der Krise finanziell besser unterstützen können. Ein weiterer Punkt ist die Ausweichklausel für den Stabilitäts- und Wachstumspakt, die es den Mitgliedsstaaten erleichtert, sich zu verschulden und öffentliche Ausgaben zu tätigen. Und der Europäische Rat hat den Mitgliedstaaten Zugang zu Krediten aus dem Europäischen Stabilitätsmechanismus für gesundheitspolitische Ausgaben eröffnet.

Hat die EU damit schnell genug reagiert?

Verglichen mit der letzten Krise waren die Institutionen der EU diesmal viel schneller. Ein Beispiel ist die EZB. In der Finanzkrise hat es mehrere Jahre gedauert, bis sie angemessen auf die wirtschatlichen Entwicklungen reagiert hat. Erst in 2012 hat der damalige EZB-Chef Mario Draghi ein klares Zeichen gesetzt, indem er die Währungsunion und den Euro für unumstößlich erklärt hat . Diesmal hat die EZB dagegen binnen einer Woche das Notfallkaufprogramm aufgelegt. Auch die Europäische Kommission hat sich besser geschlagen, wobei man bedenken muss, dass sie über ein verhältnismäßig kleines Budget verfügt.

Trotzdem gibt es Kritik, die EU habe gesundheitspolitisch nicht schnell genug reagiert.

Wenn die EU dafür kritisiert wird, dass sie nicht schnell genug handelt, dann zeilt das meistens auf die Kooperation der Mitgliedstaaten. Zum Beginn der Krise konnte man zum Beispiel hitzige Debatten zwischen den Staatschefs im Europäischen Rat verfolgen. Bei den rein europäischen Institutionen wie der EZB oder der Kommission muss man anerkennen, dass sie gute Arbeit geleistet haben.

Im nächsten Schritt geht es um den 750-Mrd. Euro umfassenden Wiederaufbaufonds. Warum ist er nach all den Hilfsprogrammen noch notwendig?

Dabei muss man sich zuerst einmal ansehen, wie unterschiedlich die einzelnen Mitgliedstaaten betroffen sind. Einerseits hat das mit der Ausbreitung des Coronavirus zu tun. Andererseits spielt auch die wirtschaftliche Infrastruktur eine Rolle, weil manche Länder zum Beispiel stärker vom Tourismus abhängig sind als andere. Angesichts dieser Umstände ist es wichtig, dass der Wiederaufbaufonds wie eine gemeinsame Versicherung wirkt. So kann man die finanziellen Lasten auf viele Schultern verteilen, anstatt die am stärksten betroffenen Länder alleinzulassen. Geschieht das nicht, besteht das Risiko, dass die fiskalpolitischen Reaktionen der Länder für sich nicht ausreichen. Das hätte wiederum negative Folgen für den EU-Binnenmarkt. Aus politischer Sicht ist es außerdem wichtig Geschlossenheit zu signalisieren. Zu zeigen, dass die EU handlungsfähig ist und die Mittel hat, auf eine solche Krise zu reagieren, ist nicht nur für die Mitgliedstaaten, sondern auch für die Märkte ein entscheidendes Signal.

Trotzdem überwiegt in den aktuellen Diskussionen eher die Uneinigkeit. Welche Hürden stehen einer Einigung im Weg?

Es wird viel diskutiert, aber wenn erst einmal eine Einigung erzielt worden ist, dann wird sie ein Symbol für Geschlossenheit sein. Deshalb ist es wichtig so schnell wie möglich – am besten noch im Sommer – einen Kompromiss zu finden. Davor müssen allerdings einige Hürden genommen werden. Die größte ist die Tatsache, dass die Diskussion um den Wiederaufbaufonds an die Diskussion um den nächsten EU-Haushalt geknüpft ist. Es ist ja kein Geheimnis, dass die Diskussion zwischen den Mitgliedstaaten über die neue mittelfristige Haushaltsplanung schon weit vor dem Ausbruch der Corona-Krise kompliziert war. Nun wird sie zusätzlich erschwert. Natürlich aber war die Verknüpfung von Wiederaufbaufonds und EU-Haushalt allein aus rechtlicher Perspektive wichtig.

Warum?

Weil das Geld, das sich die EU an den Finanzmärkten für den Wiederaufbaufonds leihen will, größtenteils im Rahmen des EU-Haushalts vergeben wird. Für die demokratische Legitimation ist es gut, diese Aufgabe der EU zu überlassen. Denn sie untersteht der Rechtsprechung des Europäischen Parlaments, ist dem Europäischen Gerichtshof rechenschaftspflichtig und wird vom Europäischen Rechnungshof kontrolliert, falls Probleme auftreten sollten. Trotzdem ist aber auch richtig: Indem wir die Frage der makroökonomischen Stabilisierung in den EU-Haushalt aufnehmen, weiten wir die Diskussion auf noch mehr Verhandlungspunkte aus.

Was werden denn die Hauptstreitpunkte auf dem Gipfel am Wochenende sein?

Die zwei größten Streitpunkte sind die Verteilung der Gelder in Form von Zuschüssen und Krediten und die Kontrolle des Wiederaufbaufonds. Die Ländergruppe um die Niederlande, die sogenannten „sparsamen Vier”, sind gegen Zuschüsse. Allerdings sind Kredite in der aktuellen Situation einfach nicht sehr zielführend, wenn man bedenkt, dass sich Länder dank der EZB schon jetzt zu günstigen Konditionen Geld an den Finanzmärkten leihen können. Was die Länder stattdessen brauchen ist eine Versicherung, dass sie die finanziellen Lasten dieser Krise nicht alleine tragen. Außerdem wollen die „sparsamen Vier“ mehr Mitsprache bei der Verteilung der Kredite und Zuschüsse. Der aktuelle Vorschlag sieht dagegen vor, dass die EU-Kommission die Gelder gewährt – es sei denn, es gibt in Einzelfällen eine qualifizierte Mehrheit dagegen.

Welchen Einfluss hat Deutschland auf die Verhandlungen bei dem Gipfel?

Deutschland spielt eine wichtige Rolle. Der gemeinsame Vorstoß mit Frankreich war ein Wendepunkt , der der EU-Kommission erst die jüngsten Schritte ermöglicht hat. Seitdem hat Bundeskanzlerin Merkel ihr Gewicht in die Waagschale geworfen, um eine Einigung zu erreichen. Die Tatsache, dass Deutschland seit Anfang Juli die Ratspräsidentschaft innehat, macht seine Rolle als Vermittler umso wichtiger. Aber obwohl die deutsch-französische Einigkeit bei wichtigen politischen Angelegenheiten innerhalb der EU wichtig ist, reicht sie jetzt nicht mehr aus, um voranzukommen. Dazu müssen alle Länder zustimmen.

Wie wahrscheinlich ist eine Einigung am Wochenende denn?

Das lässt sich vorher nie genau sagen. Im Prinzip ist das ein bisschen so wie eine Wettervorhersage. Manchmal gibt es ganz überraschend noch eine Einigung zu später Stunde. Manchmal müssen die Verhandlungen um einige Wochen vertagt werden. Trotzdem hoffe ich, dass die Mitgliedsstaaten so schnell wie möglich eine Lösung finden, denn es ist wichtig, dass die EU angesichts der Krise geschlossen handelt.

Welche Folgen hat es für die Wirtschaft, wenn es im Sommer keine Einigung gibt?

Das meiste Geld aus dem Wiederaufbaufonds wird ohnehin zwischen 2021 und 2024 verteilt, daher hat auch eine späte Einigung keine direkten Folgen. Noch können die Länder auch eigenständig Maßnahmen ergreifen. Wenn 2021 allerdings wieder die Haushaltsregeln greifen und die öffentlichen Schulden wachsen, könnte es schon schwieriger werden, die Wirtschaft auf nationaler Ebene zu unterstützen. Dann werden weitere finanzielle Impulse auf EU-Ebene hilfreich sein. Es ist daher gut, dann den Wiederaufbaufonds zu haben. In jedem Fall wird die wirtschaftliche Erholung nicht V-förmig sein, sondern schrittweise einsetzen. Frühestens Anfang 2022 werden wir das Vorkrisenniveau erreicht haben. Deshalb ist es notwendig, für diesen langen Zeitraum die finanzielle Unterstützung von Seiten der EU zu haben.

Was sollte letztendlich im finalen Entwurf für Wiederaufbaufonds und Haushalt stehen?

Was ein finaler Entwurf braucht, sind Zuschüsse anstelle von Krediten, um die Kosten der finanziellen Maßnahmen zu teilen. Ein weiterer Punkt ist die Frage, wofür das Geld ausgegeben wird. Bisher sind die Maßnahmen der Länder kurzfristig angelegt, um Unternehmen durch Kurzarbeit oder Garantien für Kredite auszuhelfen. Sobald die Wirtschaft aber wieder an Fahrt aufnimmt, werden Investitionen wichtig. Daher sollte es Zuschüsse für öffentliche Ausgaben in den Bereichen Umwelt und Digitalisierung geben.

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