Wer folgt Jean-Claude Juncker an die Spitze der Europäischen Kommission? Eigentlich sollte die Sache klar sein: Seit 2014 stellen die Fraktionen des Europäischen Parlaments vor der Europawahl einen Spitzenkandidaten auf. Die Kandidatin oder der Kandidat, dessen Fraktion die meisten Sitze erringt, wählt das Europäische Parlament dann zum Kommissionpräsidenten – nach der aktuellen Wahl hätte also Manfred Weber von der EVP die größten Chancen. Doch dieses Vorgehen ist keinesfalls bindend – denn eigentlich haben die Staats- und Regierungschefs der EU-Länder das offizielle Vorschlagsrecht für das Amt. Und das wollen sie sich nicht aus der Hand nehmen lassen.
2019 ist ein Jahr der Veränderungen
Im Oktober wird zudem ein weiterer Spitzenposten frei: Nach acht Jahren endet Mario Draghis Amtszeit als Präsident der Europäischen Zentralbank. Wer sein Nachfolger wird, steht noch nicht fest – doch auch für dieses Amt hegen die Deutschen Ambitionen. Dass beide Ämter – EU-Kommissionspräsident und EZB-Präsident – an Deutschland gehen, gilt allerdings als unwahrscheinlich. Wir zeigen, welche Kandidaten für die jeweiligen Spitzenposten in Frage kommen:
Das sind die Anwärter auf wichtige EU-Posten
Weber ist CSU-Mitglied und seit 2014 Fraktionsvorsitzender der EVP-Fraktion im Europaparlament, der die Unionsparteien angehören. Als Spitzenkandidat der stärksten Fraktion hätte Weber als Kommissionspräsident eigentlich die besten Chancen. Doch jetzt muss er um den Posten bangen. Zwar ist die EVP stärkste Kraft geworden, aber sie stellt nicht einmal ein Viertel der Abgeordneten. Außerdem gibt es unter den Staats- und Regierungschefs Vorbehalte gegen Weber. Vor allem Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hat andere Pläne.
Der Niederländer gehört der sozialdemokratischen Partei der Arbeit an und ist seit 2014 EU-Kommissar für Bessere Rechtssetzung, interinstitutionelle Beziehungen, Rechtsstaatlichkeit und Grundrechtecharta. Als Spitzenkandidat für die sozialdemokratische Fraktion im EU-Parlament (SPE) hat er zwar die Chance EU-Kommissionpräsident zu werden – aber die Sozialdemokraten verfügen über noch weniger Sitze im EU-Parlament. Ob sich die Staats- und Regierungschefs trotzdem für Timmermans aussprechen, wird sich zeigen.
Die Dänin gehörte zum Team der sieben Spitzenkandidaten, die die liberale Fraktion ALDE in den Europawahlkampf schickte. Einen Namen hat sich Vestager in den vergangenen fünf Jahren als knallharte EU-Wettbewerbskommissarin gemacht, unter anderem weil sie Milliarden-Bußgelder gegen Google verhängte. Dass sie noch einmal als Kommissarin berufen wird, ist unwahrscheinlich, da ihre sozialliberale Partei nicht mehr Teil der dänischen Regierung ist. Als Präsidentin der Kommission käme sie allerdings infrage, da dieses Amt von den Staats- und Regierungschefs aller EU-Länder vorgeschlagen wird. Vestager hat bereits öffentlich Interesse am Amt der Kommissionspräsidentin bekundet. Sie wäre die erste Frau in dieser Position.
Auch die Europäische Zentralbank braucht einen neuen Präsidenten. Wer im Oktober die Nachfolge von Mario Draghi antreten wird, ist noch offen. Aus Deutschland ist Bundesbank-Chef Jens Weidmann im Gespräch. Sollte mit Manfred Weber ein Deutscher Kommissionpräsident werden, sieht es für Weidmann allerdings schlecht aus. Dass gleich zwei wichtige EU-Ämter von Deutschen besetzt werden, gilt als unwahrscheinlich.
Der Franzose ist Präsident der Banque de France und gilt ebenfalls als Anwärter auf die Nachfolge Draghis. Er setzt sich für eine langsame Normalisierung der europäischen Geldpolitik ein und möchte den europäischen Geldhäusern grenzüberschreitende Fusionen erleichtern.
Ein weiterer Franzose im Rennen um die EZB-Präsidentschaft: Benoit Coeure ist seit 2011 Direktoriumsmitglied der Europäischen Zentralbank und hat die Draghi-EZB maßgeblich mitgestaltet. Der studierte Wirtschaftswissenschaftler sorgte 2015 für Furore, als bekannt wurde, dass er Insiderinformationen an Hedgefonds weitergegeben hatte.
Auch ihm werden gute Chancen auf den Chefsessel eingeräumt: Olli Rehn ist der Präsident der finnischen Notenbank und vertritt das Land im EZB-Rat. Die europäische Politik kennt Rehn gut, er war zwischen 2004 und 2014 zunächst EU-Erweiterungskommissar und anschließend Währungskommissar. Die Geldpolitik der EZB hält Rehn für reformbedürftig, wie er bereits Anfang des Jahres öffentlich äußerte.