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Finanzpolitik Wie die Bundesregierung deutschen Start-ups Börsenflügel verleihen will

Börsengang von Airbnb an der Nasdaq im Jahr 2020: Der IPO der Online-Buchungsplattform soll als Vorbild für deutsche Start-up-Gründer dienen
Börsengang von Airbnb an der Nasdaq im Jahr 2020: Der IPO der Online-Buchungsplattform soll als Vorbild für deutsche Start-up-Gründer dienen
© IMAG / UPI Photo
Mit dem Zukunftsfinanzierungsgesetz soll Deutschland als attraktiver Finanzstandort für Gründerinnen und Gründer gestärkt und Start-ups der Weg an den Kapitalmarkt erleichtert werden. Ein erfreulicher Schritt, dem aber noch weitere folgen sollten

Schon seit geraumer Zeit erreichen den Finanzstandort Deutschland Rufe nach der Lockerung von Regelungen, die Start-ups und andere aufstrebende Unternehmen den Gang an die Börse und die Aufnahme von Eigenkapital erschweren. Im Quervergleich zu anderen Ländern schrecken die geltenden Rahmenbedingungen hiesige Wachstumsunternehmen mitunter davon ab, sich über den öffentlichen Kapitalmarkt zu finanzieren. Hierdurch entgehen diesen Unternehmen und ihren Investoren die Vorteile eines Börsengangs zur Kapitalaufnahme für die Finanzierung von Innovationen und weiteren Wachstums.

Um den Finanzstandort Deutschland zu stärken und im internationalen Wettbewerb konkurrenzfähiger zu machen, hatte sich die Bundesregierung im Koalitionsvertrag das Ziel gesetzt, bestehende Hürden für aufstrebende kleine und mittelständische Unternehmen zu beseitigen. Der Mitte August vom Bundeskabinett beschlossene Entwurf des sogenannten Zukunftsfinanzierungsgesetzes umfasst eine Reihe von Maßnahmen zur Modernisierung und Verbesserung der Rahmenbedingungen. Dazu zählt etwa die Flexibilisierung von Kapitalerhöhungen, wonach Unternehmen künftig durch die Platzierung neuer Aktien bei bestimmten Investoren doppelt so viel frisches Kapital einwerben können wie bisher möglich.

Besonders praxisrelevant für Start-ups ist die geplante Anpassung steuerlicher Regelungen zu Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen. Derzeit müssen Mitarbeitende, die als Teil ihrer Vergütung eine Unternehmensbeteiligung erhalten, den hieraus erwachsenden Vorteil nach zwölf Jahren oder bei einem Arbeitgeberwechsel versteuern – obwohl sie zu diesem Zeitpunkt möglicherweise noch keine liquiden Zuflüsse aus diesen Beteiligungen gewinnen konnten (sogenannte dry income-Besteuerung). Nach dem Vorschlag sollen hierfür 20 Jahre zur Verfügung stehen oder eine vorzeitige Besteuerung gar ganz entfallen, wenn der Arbeitgeber für die anfallende Lohnsteuer freiwillig haftet.

Daneben richtet die Bundesregierung ihre Aufmerksamkeit auf Neuregelungen, die deutschen Unternehmen zukünftig den Zugang zu den Kapitalmärkten erleichtern sollen. Mit diesem Vorhaben schließt sich Deutschland den Bemühungen auf europäischer Ebene an. Denn auch die Europäische Kommission hat vor, die Kapitalmärkte in Europa insgesamt attraktiver zu gestalten. Sie hat Ende vergangenen Jahres den Entwurf des sogenannten Listing Act verabschiedet, um perspektivisch auch kleineren Unternehmen den Gang an die europäischen Kapitalmärkte zu erleichtern.

Comeback der Mehrstimmrechtsaktien

Wenn Gründer über einen Gang an die Börse nachdenken, schreckt nicht selten die Vorstellung ab, dass sie auf diese Weise Kontrolle über ihr Unternehmen einbüßen oder sogar ganz verlieren können. Diese Sorge beruht zum einen auf den verschärften Transparenz- und Berichtspflichten am Kapitalmarkt und auf der besonderen Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit und von Aktionären, die ein Unternehmen anfällig für stärkeren Druck von außen und auch für Übernahmen machen kann. Zum anderen führen die Aufnahme von Eigenkapital und die Erweiterung der Investorenbasis durch eine Börsennotierung und mögliche weitere Kapitalerhöhungen zwangsläufig dazu, dass das Stimmgewicht und damit automatisch auch der Einfluss von Gründern verwässert wird. Besonders relevant für deutsche Start-ups ist daher der Vorstoß der Bundesregierung, zukünftig die Ausgabe von Aktien mit Mehrstimmrechten zu ermöglichen.

Kurz gesagt verleihen diese Aktien ein Stimmgewicht, das von der kapitalmäßigen Beteiligung am Unternehmen entkoppelt ist. Ein Beispiel veranschaulicht dies: Ist beispielsweise eine Aktie mit zehn Stimmrechten ausgestattet, erlaubt eine Beteiligung von fünf Prozent einen Stimmanteil von beinahe 35 Prozent, wenn die übrigen Aktionäre Aktien mit einfachem Stimmrecht halten. Mit Mehrstimmrechtsaktien sollen insbesondere Gründer ihren unternehmerischen Einfluss trotz Kapitalaufnahmen bewahren können. Diese Ausgestaltungen sind in Deutschland seit den späten 1990er-Jahren verboten und widersprechen auch dem bislang anerkannten Grundsatz „one share – one vote“. Daher beäugen institutionelle Investoren und Aktionärsschützer die nun geplante Wiedereinführung von Mehrstimmrechten durchaus mit Skepsis.

Blick über den Atlantik

Mit der vorgeschlagenen Wiedereinführung von Mehrstimmrechtsaktien reagiert die Bundesregierung auch auf die Praxis bei Börsengängen insbesondere in den USA. Dort erlebten die sogenannten „dual class stock structures“ in der jüngeren Vergangenheit einen bemerkenswerten Aufschwung, obwohl die Unternehmen in der Folge verstärkt in den Fokus von kritischen Aktionären und Verbänden geraten. Eine beachtliche Anzahl von Gründern, insbesondere von Technologieunternehmen, wagte den Schritt auf das US-Börsenparkett und sicherte ihren unternehmerischen Einfluss mithilfe dieser Strukturen ab. Prominente Beispiele sind Airbnb, Alphabet, Meta und Pinterest, aber auch europäische Unternehmen wie Spotify.

Um den Spagat zwischen einer höheren Attraktivität deutscher Börsennotierungen und den hiesigen Grundsätzen des Anlegerschutzes zu gewährleisten, werden Mehrstimmrechte in Deutschland voraussichtlich strengeren Spielregeln unterliegen als in den USA. Sie können beispielsweise nur mit Zustimmung sämtlicher Aktionäre eingeführt werden und dürfen höchstens das Zehnfache des Stimmgewichts einer einfachen Aktie gewähren. Wenn ein Gründer seine Mehrstimmrechtsaktien verkauft, sollen mit diesem Verkauf auch die Mehrstimmrechte erlöschen; sie sind also nicht auf andere Investoren übertragbar. Zudem sollen Mehrstimmrechte nicht unbegrenzt bestehen – nach Ablauf eines Zeitraums von höchstens zehn Jahren nach dem Börsengang sollen sie ebenfalls erlöschen.

Auch wenn diese geplanten Rahmenbedingungen für deutsche Mehrstimmrechtsaktien einengend wirken, orientieren sie sich vergleichsweise nah an der praktischen Ausgestaltung bei Wachstumsunternehmen in den USA. Ob sich viele junge Unternehmen in Deutschland dazu entschließen, von diesen neuen Möglichkeiten Gebrauch zu machen, bleibt abzuwarten.

SPAC „made in Germany“

Eine weitere wesentliche Gesetzesänderung, die im Zusammenhang mit Börsengängen relevant werden könnte, ist die Einführung der deutschen Variante des sogenannten Special Purpose Acquisition Vehicle (kurz: SPAC). Diese bereits an der Börse gelisteten Mantelgesellschaften suchen nach vielversprechenden Börsenkandidaten, um sie sodann zu übernehmen und auf diese Weise an den öffentlichen Kapitalmarkt zu führen. Während die Einführung rechtlicher Rahmenbedingungen für SPACs in Deutschland grundsätzlich begrüßt werden kann, scheint dieses Vorhaben in Anbetracht der abflauenden SPAC-Aktivität dem Markt hinterherzuhinken. So gab es in Europa nach acht Übernahmen deutscher Unternehmen durch europäische oder US-amerikanische SPACs im Jahr 2021 im vergangenen Jahr nur vier solcher Transaktionen und in diesem Jahr erst zwei.

Zusätzlich zur Einführung der deutschen SPACs widmet sich das Zukunftsfinanzierungsgesetz auch dem herkömmlichen Börsengang: So soll die Mindestmarktkapitalisierung, die Unternehmen bei einer herkömmlichen Handelszulassung vorweisen müssen, von derzeit 1,25 Millionen Euro auf 1 Million Euro gesenkt werden. Wie in den USA soll es Unternehmen außerdem ermöglicht werden, eigenständig, ohne die Begleitung durch eine Bank, an die Börse zu gehen. Hierzu sollen Unternehmen den Antrag auf Handelszulassung in weniger streng regulierten Börsensegmenten zukünftig selbst stellen und somit Kosten einsparen können. Angesichts der weiteren Herausforderungen und Anstrengungen, die ein Börsengang für Wachstumsunternehmen mit sich bringt, stellen diese beiden Änderungen allerdings eher oberflächliche Anpassungen dar.

Das Gesetz sollte nicht der letzte Akt sein

Das vorgeschlagene Zukunftsfinanzierungsgesetz ist ein begrüßenswerter Schritt in die richtige Richtung. Die Bundesregierung hat besonders aussichtsreiche Unternehmensneugründungen im Blick und möchte die strukturellen Wettbewerbsnachteile des deutschen Kapitalmarktes im internationalen Vergleich jedenfalls schrittweise abbauen. Und auch inhaltlich wird der Vorschlag dazu beitragen, den Finanzstandort Deutschland zumindest in regulatorischer Hinsicht als attraktive Option für deutsche und europäische Erfolgsunternehmen zu etablieren. Positiv ist auch, dass die Europäische Kommission parallel das gesamteuropäische Ökosystem für Start-ups mit verbesserten einheitlichen Rahmenbedingungen stärken möchte.

Gleichwohl bleibt weiterhin viel zu tun, um auch über das Zukunftsfinanzierungsgesetz hinaus ein Umfeld zu schaffen, in dem hiesige Wachstumsunternehmen mit Blick auf die Verfügbarkeit von Kapital und Talenten, die Förderung von Innovationen oder flexiblere regulatorische Anforderungen auf Augenhöhe mit ihren Counterparts vor allem in den USA agieren können.

Lars Meyer ist Rechtsanwalt und Experte für M&A insbesondere in den Bereichen Technologie und Life Sciences bei der Kanzlei Freshfields Bruckhaus Deringer.

Daniel von Bülow ist Rechtsanwalt für Experte für Kapitalmarktrecht mit dem Schwerpunkt Börsengänge und Eigenkapitalmaßnahmen bei Freshfields Bruckhaus Deringer.

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