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Kolumne Siemens rutscht ins Führungschaos

Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
Capital-Kolumnist Bernd Ziesemer
© Martin Kress
Joe Kaeser reißt Siemens in einen gefährlichen Strudel. Und die Mitglieder des Aufsichtsrats erweisen sich wieder einmal als unfähig, den Vorstandsvorsitzenden zu stoppen

Der Aufsichtsratschef von Siemens, Jim Hagemann Snabe, ist auf dem besten Weg sich lächerlich zu machen. Vor einem halben Jahr ernannte der Däne Roland Busch zum Stellvertreter von Konzernchef Joe Kaeser – ließ aber in den Wochen danach zu, wie die Büchsenspanner Kaesers Zweifel an der Berufung streuten und Kaeser selbst über seine mögliche Vertragsverlängerung orakelte. Nun macht Snabe Busch zum Chef – aber seinen Job soll der erfahrene Siemens-Manager erst in einem Jahr antreten. Allerdings schon jetzt einige Chefaufgaben übernehmen, aber durchaus nicht alle.

Gleichzeitig drängt Kaeser auch noch die beiden designierten Spitzenmanager der verselbständigten Kraftwerkssparte aus dem Konzern – und übernimmt selbst den Aufsichtsratsvorsitz der neuen Siemens Energy, die im September an die Börse gehen soll. Und der Aufsichtsrat, in dem immerhin so erfahrene Manager wie die früheren Chefs von Bayer und Allianz sitzen, macht den ganzen Affenzirkus mit. Und das nur aus einem Grund: aus Angst vor Joe Kaeser.

Seit Monaten zeigt sich immer deutlicher, dass es Kaeser nur noch darum geht, ein Stück Macht im Konzern so lange wie irgend möglich zu behalten und sich gleichzeitig selbst ein Denkmal zu setzen. Deshalb widersetzte sich der amtierende Vorstandsvorsitzende auch den Plänen von Michael Sen und Klaus Patzak, bei der neuen Siemens Energy klar Schiff zu machen und die Altlasten aus der Ära Kaeser abzuschreiben.

Dass der designierte Konzernchef Sen und sein Finanzvorstand Patzak gleichzeitig gehen, spricht Bände. Beide waren lange Zeit so etwas wie die Lieblingskinder Kaesers im Konzern. Kaeser persönlich holte Sen aus dem Eon-Vorstand zu Siemens zurück, um ihn in die erste Reihe des Konzerns zu schieben. Auch Patzak kehrte auf Wunsch des amtierenden Vorstandsvorsitzenden zu Siemens zurück. Ein Mann, der viele Jahre direkt unter Kaeser Karriere gemacht hatte. An den Fähigkeiten der beiden kann es also nicht liegen, wenn sie nun mit ihrem früheren Förderer überquer liegen.

King Joe I oder König Lear II

Die beiden abgedrängten Männer reihen sich in eine lange Reihe von Managerinnen und Managern aus dem innersten Kreis um Kaeser ein, die auf den letzten Metern seiner Amtszeit die Gunst von König Joe verlieren. Man denke nur an seine Personalchefin Janina Kugel oder seine Chefstrategin Mariel von Schumann, die über viele Jahre als Favoritinnen des Vorstandsvorsitzenden galten, dann aber bei geringsten Widerworten das Feld räumen mussten.

Ein Aufsichtsrat, der solch ein Verhalten duldet, hat sein Sitzungsgeld nicht mehr verdient. Die Vorgänge bei Siemens sind beispiellos in der deutschen Industrie. Dass ein scheidender Vorstandschef am Ende beliebig und völlig ohne Rücksicht auf Verluste durchregiert, dafür gibt es so gut wie gar keine Beispiele in anderen Unternehmen. Man sollte nicht glauben, dass mit den Beschlüssen des Aufsichtsrats nun wenigstens alles klar ist bei Siemens. Im Gegenteil: Die faktische Doppelspitze Kaeser-Busch dürfte für viele weitere Querelen sorgen. Vielleicht geht Kaeser in die Geschichte des Konzerns nicht mit seinem Spitznamen King Joe I ein, sondern mit dem Namen König Lear II.

Bernd Ziesemer ist Capital-Kolumnist. Der Wirtschaftsjournalist war von 2002 bis 2010 Chefredakteur des Handelsblattes. Anschließend war er bis 2014 Geschäftsführer der Corporate-Publishing-Sparte des Verlags Hoffmann und Campe. Ziesemers Kolumne erscheint jeden Montag auf Capital.de . Hier können Sie ihm auf Twitter folgen .

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