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Kolumne Schlägt Italien den griechischen Weg ein?

Italiens Regierungschef Conte flankiert von Wirtschaftsminister Di Maio (l.) und Innenminister Salvini (r.)
Italiens Regierungschef Conte flankiert von Wirtschaftsminister Di Maio (l.) und Innenminister Salvini (r.)
© dpa
Italien ist hochverschuldet und wenn die neue Regierung ihre Pläne umsetzt, steigt die Verschuldung weiter an. Carsten Klude über einen Kurs, der spätestens bei der nächsten Wirtschaftskrise zum Problem für die ganze Eurozone wird

Seit dem Sommer 2015, als die Mitgliedschaft Griechenlands in der Eurozone auf dem Spiel stand, ist die Eurokrise nach und nach aus den Schlagzeilen verschwunden. Dies lag zum einen an der Europäischen Zentralbank, deren Geldpolitik dafür gesorgt hat, dass sich alle Länder der Eurozone in den vergangenen Jahren zu noch nie dagewesenen Niedrigzinsen refinanzieren konnten. Zum anderen profitierten die Länder der Europäischen Währungsunion von der Erholung der Weltwirtschaft, die der Eurozone im vergangenen Jahr das stärkste Wirtschaftswachstum seit dem Jahr 2007 bescherte. Doch die wenigsten Volkswirtschaften haben diese Gelegenheit genutzt, um sich mit Reformen besser für die Zukunft aufzustellen und sich für wieder schwierigere Zeiten zu wappnen. Dies spielte für die Kapitalmärkte lange Zeit keine Rolle, erst die Politik hat diese Ruhe zuletzt unsanft beendet.

Wie schon im Jahr 2015, als in Griechenland die links-populistische Syriza-Partei unter der Führung von Alexis Tsipras die Parlamentswahlen gewann, steht wegen des Regierungsprogramms der neuen italienischen Koalition die Zukunft der Eurozone erneut zur Debatte. Auslöser der Turbulenzen sind die Pläne der Fünf-Sterne-Bewegung (M5S) und der Lega, die das Land mit einer sehr expansiven Fiskalpolitik wieder auf Wachstumskurs bringen wollen. Nachdem sich die M5S vor der Wahl von ihren eurokritischen Standpunkten zunehmend distanziert hatte, wähnten sich die Kapitalmärkte auch nach der Wahl in Sicherheit, da ein Regierungsbündnis der beiden populistischen Parteien undenkbar erschien. Doch nachdem keine andere Koalition zustande kam, haben sich beide Parteien auf ein Zusammengehen verständigt.

Mit ihrem Entwurf eines Regierungsprogramms platze dann eine Bombe, die die Kapitalmärkte heftig erschreckte: Eine der Forderungen, ein Schuldenerlass durch die EZB in Höhe von 250 Mrd. Euro, wurde zwar schnell wieder fallengelassen, doch auch die anderen Punkte haben es in sich. Die Lega will ihre Wähler mit einer sogenannten Flat Tax beglücken, bei der der Steuersatz für die Einkommensteuer unter dem derzeitigen Eingangssatz von 23 Prozent liegen soll. Schätzungen zufolge dürfte dies zu Einnahmeausfällen für den italienischen Staat zwischen 50 und 80 Mrd. Euro führen, je nach tatsächlich beschlossenem Steuersatz.

Politik auf Pump

Die M5S, die vor allem in Süditalien großen Zuspruch findet, hat mit Blick auf ihre Wähler eine Art „Bürgereinkommen“ im Programm, bei dem es sich aber nicht um ein bedingungsloses Grundeinkommen handelt, sondern um eine italienische Variante von Hartz IV. Die Kosten hierfür dürften sich auf knapp 20 Mrd. Euro belaufen. Beide Parteien wollen zudem die von der Monti-Regierung im Jahr 2011 beschlossene Rentenreform rückgängig machen und das Renteneintrittsalter wieder absenken. Die damit verbundenen Kosten betragen knapp 10 Mrd. Euro. Und zudem soll die für nächstes Jahr geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer außer Kraft gesetzt werden. Auch das würde zu Steuermindereinnahmen von rund 10 Mrd. Euro führen. Diese Pläne entsprechen im Grunde weitgehend dem, was auch die griechische Syriza-Partei 2015 ihren Wählern versprochen hat. Geschichte scheint sich also doch zu wiederholen.

Rechnet man alles zusammen, kommt man auf Gesamtkosten in einer Größenordnung von 90 bis 120 Mrd. Euro; dies entspricht einem Anteil von fünf bis sieben Prozent der italienischen Wirtschaftsleistung. Bislang sahen die Pläne für dieses und nächstes Jahr ein Haushaltsdefizit von knapp zwei Prozent vor, ohne Einsparungen an anderer Stelle könnte das Defizit somit auf Werte von sieben bis neun Prozent in die Höhe schnellen. Dass bei einer Schuldenquote von 130 Prozent des BIP die zukünftige Schuldentragfähigkeit Italiens infrage steht, liegt auf der Hand.

Hierzu reichen ein paar einfache Überlegungen aus: Die Schuldenquote eines Landes wird durch das Verhältnis des Haushaltssaldos in Relation zu seiner nominalen Wachstumsrate bestimmt. Dies lässt sich anhand der Maastricht-Kriterien verdeutlichen. Bei einem Haushaltsdefizit von drei Prozent und einem nominalen Wirtschaftswachstum von fünf Prozent ergibt sich im Gleichgewicht eine Schuldenquote von 60 Prozent. Italien hat aber nicht nur das Problem einer hohen Verschuldung, sondern auch das eines geringen Wachstums, das in den vergangenen Jahren nominal nur bei etwa zwei Prozent lag. Um die Schuldenquote von 130 Prozent stabil zu halten, kann sich Italien bei einem derart geringen Wachstum nur ein Defizit von 2,6 Prozent leisten. Bei einem deutlich höheren Defizit wäre Italien auf dem Weg, Japan als Nation mit der höchsten Staatsschuldenquote (2017: 240 Prozent) abzulösen. Bei einem Defizit von sieben Prozent und einem unveränderten Wachstum von zwei Prozent würde die Schuldenquote in Richtung 350 Prozent ansteigen. Eine solche Entwicklung ließe sich nur dann verhindern, wenn sich das Wachstum in Italien in den nächsten Jahren auf mehr als fünf Prozent beschleunigen würde. Doch wer will daran schon glauben?

Der Euro trägt nicht die Schuld an Italiens Problemen

Wie konnte Italien überhaupt in diese schwierige Situation geraten? Wie vor drei Jahren in Griechenland gibt es auch jetzt in Italien Stimmen, die „dem Euro“ im Allgemeinen oder Deutschland im Speziellen die Schuld an der Misere geben. Häufig wird dabei aber übersehen, dass der Euro nach der deutschen Wiedervereinigung und im Zuge des europäischen Einigungsprozesses dafür sorgen sollte, eine mögliche wirtschaftliche Dominanz Deutschlands in Europa zu verhindern. Zudem haben die deutschen Steuerzahler in den letzten Jahren zur Überwindung der Schuldenkrise fast 22 Mrd. Euro in den Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) eingezahlt sowie für knapp 170 Mrd. Euro Garantien übernommen. Für die Europäische Finanzstabilisierungsfazilität (EFSF) garantiert Deutschland mit mehr als 200 Mrd. Euro. Hinzu kommen Target2-Forderungen in Höhe von mehr als 900 Mrd. Euro. Deutschland ein Interesse am wirtschaftlichen Niedergang anderer Länder innerhalb der Eurozone vorzuwerfen, ist daher mehr als abwegig.

Die Probleme Italiens haben auch nicht erst mit der deutschen Wiedervereinigung oder der Einführung des Euro begonnen. Blickt man auf die vergangenen 60 Jahre zurück, stellt man fest, dass Italiens Schulden nicht immer so hoch waren. In den 1960er-Jahren betrug die Staatsschuldenquote rund 30 Prozent, Anfang der 1980er lag sie noch bei gut 50 Prozent. Doch im Laufe der dann folgenden 15 Jahre zwischen 1981 und 1995 begann ein wahrer Schuldenexzess, von dem sich das Land nie wieder erholt hat. In diesem Zeitraum betrug das durchschnittliche jährliche Haushaltsdefizit mehr als zehn Prozent und die Schuldenquote stieg bis auf knapp 120 Prozent an. Indikatoren zur Wettbewerbsfähigkeit deuten nicht darauf hin, dass Italien in diesen Jahren weniger wettbewerbsfähig war als andere europäische Länder. Im Gegenteil, die realen Exporte wuchsen in Italien stärker als in den meisten anderen europäischen Volkswirtschaften, wobei dies durch die regelmäßigen Abwertungen der italienischen Lira begünstigt wurde. Der starke Anstieg der Schuldenquote dürfte vielmehr auf den hohen Anteil der Schattenwirtschaft und ein ungenügend ausgebautes Steuersystem zurückzuführen sein. Auch dies sind Symptome die später in Griechenland zur Schuldenkrise geführt haben.

Die stetig zunehmende Verschuldung führte aufgrund der zusätzlich steigenden Zinsen zu einer dramatischen Verschärfung der Schuldensituation in den Folgejahren. Zeitweise musste das Land weit mehr als zehn Prozent Zinsen zahlen, um sich an den Kapitalmärkten refinanzieren zu können. Anfang der 1990er-Jahre zahlte Italien mehr als 100 Mrd. Euro allein für Zinsen, dies entsprach mehr als 40 Prozent der Steuereinnahmen oder rund zehn Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung. Wer sich heute darüber beklagt, „Geisel“ des Kapitalmarktes zu sein, hätte damals vermutlich gleich die Kapitulation erklärt.

Italien hat sich nicht von der Finanzkrise erholt

Dass die Situation damals nicht eskalierte, lag an zwei Dingen. Zum einen waren die folgenden italienischen Regierungen deutlich weniger spendabel. Die Ausgabendisziplin hatte vermutlich vor allem etwas mit dem Ziel zu tun, von Beginn an zu den Mitgliedsländern der Europäischen Währungsunion zu gehören. Die hohen Haushaltsdefizite wurden nach und nach zurückgeführt und lagen zwischen 1997 und dem Jahr 2000 bei maximal drei Prozent. Zum anderen gingen die Zinsen deutlich zurück, so dass sich der italienische Staat (wie auch alle anderen Länder der Eurozone) wesentlich günstiger refinanzieren konnten. Bis zum Ausbruch der Finanzkrise sanken die jährlichen Zinszahlungen auf rund 65 Mrd. Euro (rund vier Prozent des BIP oder 15 Prozent der Steuereinnahmen). Das gute Wirtschaften der Regierungen in Rom zeigte sich anhand von hohen Primärüberschüssen, die Werte von drei bis fünf Prozent des BIP erreichten. Als Primärsaldo wird dabei die Differenz zwischen Staatseinnahmen und -ausgaben bezeichnet, ohne die Berücksichtigung der Zinszahlungen. Die Schuldenquote sank von daher bis zum Jahr 2007 auf knapp 100 Prozent.

Diese positive Entwicklung fand jedoch mit der Finanzkrise ein jähes Ende. Das Wachstum brach ein, damit auch die Steuereinnahmen, und gleichzeitig mussten wieder höhere Zinsen bezahlt werden. Während sich die meisten Volkswirtschaften in der Eurozone nach dem Jahr 2009 wirtschaftlich erholten, blieb diese Entwicklung in Italien weitgehend aus. Nun machten sich die Kehrseite der Sparpolitik und des starken Euro bemerkbar. Die zunehmende Konkurrenz aus den Schwellenländern, eine Fokussierung auf zu kleine Unternehmen, bürokratische Hemmnisse, ein ineffizientes Rechtssystem und höhere Steuern führten zu einer deutlichen Verschlechterung der Wettbewerbsfähigkeit, die auch nicht mehr über die Möglichkeit der Abwertung einer eigenen Währung ausgeglichen werden konnte.

Bis zum Jahr 2008 war die deutsche Wirtschaft diejenige unter den Euro-Ländern, die am wenigsten wettbewerbsfähig war. Doch dank der Reformen der Agenda 2010 und einer jahrelangen Lohnzurückhaltung verbesserte sich die Situation in Deutschland deutlich. Die „rote Laterne“ der am schwächsten wachsenden Volkswirtschaft wechselte seitdem nach Italien. Eine Flat Tax und ein Bürgereinkommen werden an der zu geringen Wettbewerbsfähigkeit der italienischen Wirtschaft nichts Wesentliches ändern. Um international bestehen zu können, braucht das Land Reformen, niedrigere Sozialkosten und vor allem Innovationen. Doch weder der Staat noch die Unternehmen haben in den vergangenen Jahren ihre Investitionen nennenswert erhöht, weil Letztere kaum neue Kredite von den Banken erhalten. Fakt ist, dass das Land in einer Abwärtsspirale steckt, aus der es so gut wie kein Entrinnen gibt.

Ein zweites Griechenland?

Im Moment sieht es fast so aus, als ob das Land den Weg Griechenlands gehen könnte. Die Bürger sind angesichts der Entwicklungen der letzten Jahre enttäuscht vom „Establishment“ und vertrauen auf neue Parteien und Politiker, die ihnen versprechen, dass alles besser wird. Leider sind diese Versprechungen in der Realität kaum umzusetzen. Zudem steht die angekündigte Ausgabenpolitik von Lega und M5S im Widerspruch zur italienischen Verfassung. So heißt es beispielsweise in den Artikeln 81 und 97: „Der Staat gewährleistet unter Berücksichtigung der negativen und der positiven Konjunkturphasen die Ausgeglichenheit von Einnahmen und Ausgaben im eigenen Haushalt. Die Verschuldung ist lediglich zur Konjunkturberuhigung sowie – nach durch die beiden Kammern mit absoluter Mehrheit der jeweiligen Mitglieder erteilter Ermächtigung – bei Eintreten außerordentlicher Ereignisse zulässig.“ „Die öffentlichen Verwaltungen gewährleisten im Einklang mit der Ordnung der Europäischen Union die Ausgeglichenheit der Haushalte und die Tragfähigkeit der öffentlichen Verschuldung.“

Ginge die neue italienische Regierung auf Konfrontationskurs zur EU, droht Italien dasselbe Schicksal wie Griechenland im Jahr 2015. Der Zugang zum Kapitalmarkt könnte verloren gehen, weil Anleger nicht mehr oder nur zu deutlich höheren Zinsen bereit sind, das Land zu finanzieren. Verliert Italien sein Investmentgrade-Rating, könnte die EZB die Staatsanleihen im Rahmen des QE-Programms nicht mehr kaufen. Hilfsprogramme, wie der ESM oder das OMT-Programm, sind an Reformzusagen und eine Fiskalpolitik geknüpft, die im genauen Gegensatz zu dem stehen, was Lega und M5S versprechen.

Wie soll man sich als Anleger nun verhalten? Im günstigsten Fall setzt sich die Vernunft durch und die Situation beruhigt sich wieder, weil die italienischen Politiker erkennen, dass sie ihre Forderungen nicht durchsetzen können. Bevor es so weit kommt, könnte sich die Situation aber zunächst noch weiter zuspitzen, weil M5S und Lega erstmal ausloten werden, wie weit sie gehen können. Schwenkt eine neue italienische Regierung dann doch auf eine EU-konforme Politik ein, werden sich die Aktienmärkte wieder erholen, da die wirtschaftlichen Rahmendaten nach wie vor günstig sind. Im Unterschied zu den früheren Krisenzeiten halten wir die Ansteckungsgefahren für andere Länder für eher gering. Zwar neigen Anleger in einer ersten Reaktion häufig dazu, undifferenziert alles über einen Kamm zu scheren, doch sehen wir beispielsweise Spanien, Portugal und Irland heute in einer wesentlich stabileren Situation als es 2011/2012 oder auch noch 2015 der Fall gewesen ist; dies gilt selbst für Griechenland. Von daher sollten sich die Renditeaufschläge für Anleihen aus diesen Ländern nach und nach wieder zurückbilden.

Italienische Aktien untergewichten

Die europäischen Aktienmärkte könnten dagegen zunächst einmal unter einer längeren Phase der Unsicherheit leiden bis wirklich klar ist, welchen Weg Italien gehen wird. Von daher empfehlen wir, die Quote für europäische Aktien etwas zu reduzieren bis mehr Klarheit herrscht. Insbesondere Banken und Versicherungen, die in größerem Umfang italienische Staatsanleihen halten, sollten im Moment untergewichtet werden. Dagegen kann unseres Erachtens nach an US-Aktien festgehalten werden. Nicht nur, dass der US-Dollar einen Schutz vor einer politisch bedingten Euro-Schwäche bietet, auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sehen in den USA unverändert günstig aus. Zudem sind zuletzt die Renditen und der Ölpreis etwas gesunken, was der US-Wirtschaft zusätzlichen Rückenwind geben dürfte. Und während die Italien-Krise die europäischen Banken potenziell weiter schwächt, profitieren die US-Banken von einer besseren Eigenkapitalausstattung und einer geringeren Regulierung.

Doch eines sollte nicht vergessen werden: Auch wenn sich die Situation wieder beruhigt, bleibt das grundsätzliche Problem einer zu hohen Verschuldung Italiens bestehen. Spätestens in der nächsten Wirtschaftskrise dürfte uns dieses Thema wieder einholen. Das bedeutet nicht, dass ein Austritt des Landes aus der Eurozone dann unumgänglich sein wird. Aber ohne einen partiellen Schuldenerlass und /oder die Inanspruchnahme von Mitteln aus dem ESM wird das Italien-Problem kaum zu lösen sein.

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