Capital: Herr Schmidt, Robert Habeck scheint ein wenig auf den Kurs von Christian Lindner aufzuspringen, der sagt, dass die Unternehmensbesteuerung in Deutschland reformiert werden muss. Was haben Sie gedacht, als Sie davon gelesen haben?
TORSTEN SCHMIDT: Ehrlich gesagt war ich etwas überrascht. Aber es ist ein sehr sinnvoller Ansatz, weil er an die Struktur rangeht und größer gedacht ist.
Warum?
Eine Unternehmenssteuerreform bietet die Chance, verlässliche Rahmenbedingungen zu schaffen, gute Anreize für Investitionen zu geben – weg von dem Klein-Klein der vergangenen Jahre. Hier eine Subvention, da eine neue Regulierung – davon sollte die Bundesregierung wegkommen. Der Vorschlag klingt danach.
Sind wir im internationalen Steuerwettbewerb denn wirklich so abgeschlagen wie dargestellt? Deutschland hat doch andere Vorteile, die höhere Steuern rechtfertigen.
Das will ich gar nicht bestreiten. Man muss schon die staatlichen Einnahmen und Ausgaben zusammen betrachten. Aber da sehen wir dann, dass wichtige Investitionen in den vergangenen Jahren ausgeblieben sind. Wir haben nicht genügend in die klimaneutrale Transformation der Wirtschaft investiert. Da müssen wir nachbessern. Meiner Meinung nach nicht durch Subventionen, sondern durch Steueranreize, wie zum Beispiel einer stärkeren Besteuerung von CO2.
Christian Lindner schlägt eine simple Abschaffung des Soli vor, Robert Habeck will noch umfassender reformieren. Er will an die Steuersätze ran und bessere Abschreibungsmöglichkeiten schaffen. Was davon sollte aus Ihrer Sicht priorisiert werden?
Ich bin da hin- und hergerissen. Der Ansatz von Herrn Habeck ist eigentlich sehr gut. Gerade bei der Körperschaftssteuer ließe sich ansetzen, auch die Abschreibungsmöglichkeiten ließen sich verbessern. Das ist ja ohnehin alles im Wachstumschancengesetz vorgesehen.
Darauf weist auch Kanzler Olaf Scholz hin. Der sagt, frei übersetzt, wir brauchen keine Reform – wir haben das Wachstumschancengesetz.
Ja, und da sind auch richtige Ansätze drin. Das Problem ist: Das Wachstumschancengesetz ist vom Volumen her sehr klein. Von daher gibt es schon noch Spielraum bei den Unternehmenssteuern.
Und was ist mit Christian Lindners Vorschlag: eine Abschaffung des Solidaritätsbeitrags?
Gute Idee, die aber schon lange im Raum steht. Sie würde auch nicht so viel bringen wie eine breit angelegte Unternehmenssteuerreform.
„Nicht jede Subvention ist ökonomisch sinnvoll“
Es ist doch ungewöhnlich, dass Robert Habeck einen umfassenderen Entlastungsplan vorlegt als Christian Lindner.
Ja, das hat mich in der Tat auch überrascht. Christian Lindner hat pragmatisch einen Punkt, weil sich der Soli relativ schnell abschaffen ließe. Die umfassendere Steuerreform würde ich aber lieber sehen, wenngleich ich mich frage, wie die entstehenden Lücken gestopft werden sollen.
Ein wichtiger Punkt. Die FDP will beispielsweise an die Sozialausgaben ran. Sinnvoll?
Wo gespart werden soll, ist eine politische Frage, keine ökonomische. Auf der Einnahmeseite sehe ich noch Möglichkeiten, beispielsweise die CO2-Besteuerung zu verteuern. Das ist eine Win-Win-Situation. Unternehmen sparen Energie, der Staat nimmt mehr Geld ein und gleichzeitig sinkt der CO2-Ausstoß. Auf der Ausgabenseite haben wir immer gesagt, dass die Rente mit 63 ein Fehler war. Da muss man ran, glaube ich, auch wenn es schwerfällt. Und nicht jede Subvention ist ökonomisch sinnvoll. Da ist schon viel Klientelpolitik dabei, die sich zurückdrehen ließe.
Woran denken Sie?
Der Agrardiesel, die Pendlerpauschale. Es gibt eine Reihe von Maßnahmen, bei denen man aus klimapolitischer Perspektive sagen müsste: Die gehören abgeschafft. Das ist unpopulär, keine Frage. Aber damit könnten wir unsere Ausgabenseite verkleinern.
Zum Ideenkatalog gehört auch eine Reform der Schuldenbremse. Dafür hat sich vergangene Woche der Sachverständigenrat Wirtschaft ausgesprochen.
Mir ist wichtig, dass man die Schuldenbremse nicht sofort über Bord wirft. Aber eine Reform ist durchaus denkbar, und die Vorschläge gehen in die richtige Richtung. Ein bisschen mehr Spielraum kann sicher nicht schaden. Ob man dann die Werte übernimmt, die der Sachverständigenrat vorschlägt, darüber lässt sich trefflich streiten.
Die Bundesregierung mischt bei der grünen Transformation der Wirtschaft mächtig mit. Die einen sagen, dass sie dafür Milliardenbeträge braucht – wie jetzt bei der neuen Kraftwerksstrategie. Die anderen verweisen auf die Chancen von Ordnungspolitik – also einen guten Rahmen setzen und sich ansonsten zurückhalten. Das sei günstiger und anreizorientierter.
Grundsätzlich unterstütze ich Ordnungspolitik sehr. Viele übersehen aber, dass auch ein stabiler Rahmen Geld kostet. Ich glaube, die Kraftwerksstrategie ist genau so ein Fall. Energie ist Teil eines stabilen Rahmens. Wir haben jahrelang sehr stark den Energiemarkt reguliert. Die Folge war, dass Investitionen ausgeblieben sind. Und jetzt war es an der Zeit, das Geld in die Hand zu nehmen und zu sagen: Wir brauchen diese Kapazitäten. Auch das ist Ordnungspolitik.