Die Annexion der Krim im Jahr 2014 war für viele westliche Banken der Auslöser, ihre Geschäfte mit Russland drastisch zu reduzieren oder ganz einzustellen. Eine kleine Gruppe von europäischen Geldhäusern harrte aus und nutzte die Gelegenheit sogar zur Expansion. Das Top-Trio ist wohlbekannt: die Mailänder Unicredit, die Wiener Raiffeisen Bank International und die Société Générale aus Paris sind die größten westlichen Player in der Russischen Föderation. Sie alle sind dort seit vielen Jahren vertreten und verdienen dort Zinsmargen im Bereich von vier oder fünf Prozent – Werte von denen man in Westeuropa nur träumen kann.
Doch nachdem Präsident Wladimir Putin am frühen Donnerstag Ziele in der Ukraine militärisch angegriffen hat, sehen sich die lokalen Töchter der Banken zunehmend dem Risiko finanzieller Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt. US-Präsident Joe Biden und die Europäische Union haben “schwere” Sanktionen angekündigt, nachdem bereits Maßnahmen gegen zwei der größten russischen Finanzinstitute verhängt wurden. Die größte russische Bank Sberbank teilte am Donnerstag mit, gegen sie seien Sanktionen verhängt worden.

Der Rückzug der Deutsche Bank, der finnischen Nordea Bank und anderer erscheint so aus heutiger Sicht vorausschauend. Das Kreditengagement des größten deutschen Geldhauses in Russland belief sich 2012 noch auf 7,9 Mrd. Euro, schrumpfte aber bis Ende 2016 um fast 70 Prozent, nachdem die Bank ihre Wertpapierabteilung nach einem Geldwäscheskandal geschlossen hatte. Morgan Stanley gab seine russische Banklizenz 2019 zurück.
„Putin hat ein Zeichen gesetzt“, sagte Jon Corzine bereits vor dem russischen Angriff. Corzine leitete bis 1999 die Goldman Sachs Group, wurde dann US-Senator und leitet heute einen Hedgefonds. „Das wird es den meisten amerikanischen und westlichen Investoren für eine lange Zeit sehr schwer machen, dort bedeutende Geschäfte zu machen.“
Citigroup ist die Wall-Street-Bank mit der größten Präsenz in Russland. Ihre mit dem Land verbundenen Aktiva machen 5,5 Mrd. Dollar (4,9 Mrd. Euro) aus – gerade einmal 0,3 Prozent der Bilanzsumme der Gruppe und wesentlich kleiner als das Euro-Trio, wie Daten der Europäischen Bankenaufsichtsbehörde zeigen.

Was Russland attraktiv macht, sind die sich bietenden Gewinnmöglichkeiten insbesondere für europäische Kreditinstitute, deren Margen in der Niedrigzinsära weiter unter Druck geraten sind. Die Unicredit bekräftigte bei der Präsentation ihrer neuen Strategie im Dezember, Osteuropa mit Russland sei weiterhin ihre profitabelste Sparte. CEO Andrea Orcel, der rund 4000 Mitarbeiter in Russland beschäftigt, prüfte die Übernahme der russischen Otkritie Bank, musste den Plan allerdings angesichts der Ukraine-Krise fallen lassen. Auch SocGen, die über ihre lokale Rosbank in Russland tätig ist, schätzt das hohe Wachstumspotenzial für das Retail- und Digital-Banking.
Am meisten auf Russland angewiesen ist die österreichische Raiffeisen. Laut Bloomberg Intelligence hat das Unternehmen dort Kredite in Höhe von 11,6 Mrd. Euro ausstehen, und damit elf Prozent ihres gesamten Kreditbuchs. Sie erwirtschaftet dort mehr als 30 Prozent ihres Vorsteuergewinns. Folgerichtig sind die Aktien der im genossenschaftlichen Sektor verwurzelten Bank diese Woche um 15 Prozent gefallen.
Bei Unicredit und SocGen machen die Kredite an Russland weniger als zwei Prozent ihrer Bücher aus, was das Risiko begrenzt. Die Europäische Zentralbank hat den Kreditgebern inzwischen nahegelegt, sich auf die Auswirkungen der Krise vorzubereiten. Sie räumt aber ein, dass das Privatkundengeschäft der europäischen Banken in der Regel auf lokale Finanzierungen zurückgreift, was sie weniger anfällig für grenzüberschreitende Vergeltungsmaßnahmen macht.
Die Aufseher der Notenbank arbeiten mit den von ihnen beaufsichtigten Banken an der Einschätzung von Risiken für Liquidität, Kreditbücher, Handels- und Devisenpositionen sowie ihrer Fähigkeit, den Geschäftsbetrieb aufrechtzuerhalten, heißt es. In einigen Fällen sei man täglich in Kontakt.
Im Moment nehmen die Banker die erste Welle der neuen Sanktionen noch gelassen. Ein leitender Banker, der nicht genannt werden wollte, berichtet von einem Anstieg der Einlagen, da russische Kunden ihre Gelder von staatlichen Banken abziehen.
Die SocGen erklärte, dass sie „innerhalb des bestehenden Aufsichtsrahmens weiterhin normal operiert“. Die Unicredit prüft die neuen Sanktionen. „Wir haben eine Reihe von aufeinanderfolgenden Iterationen von Sanktionen und Höhen und Tiefen durchgemacht“, sagte Orcel letzten Monat.
Raiffeisen-CEO Johann Strobl äußerte sich auf der Bilanzpressekonferenz seiner Bank im Februar noch gelassener: „Wir haben im Laufe der Jahre leider ziemlich viel Erfahrung im Umgang mit Sanktionen gesammelt.“
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