Die Bilder von zugemüllten Stränden und verendeten Walen, aus deren Gedärmen Abfallberge quellen, zeigen Wirkung. Von den 350 Millionen Tonnen Kunststoff, die jährlich produziert werden, landen große Mengen in den Weltmeeren, weil es in vielen Ländern keine entsprechende Entsorgung und Aufbereitung gibt.
Um das Übel an der Wurzel zu packen, hat das EU-Parlament am Mittwoch beschlossen, dass Einwegprodukte aus Plastik in der EU verboten werden. In etwa zwei Jahren sollen demnach keine Plastikteller, Strohhalme und ähnliche Produkte aus Kunststoff, für die es bessere Alternativen gibt, mehr erhältlich sein. Herwart Wilms, Geschäftsführer des größten deutschen Entsorgungsunternehmens Remondis hält den Vorstoß für kontraproduktiv: „95 Prozent der Verschmutzung der Weltmeere durch Plastikabfall stammt aus zehn Flüssen in Asien und Afrika. Aus Deutschland kommt kein Gramm von diesen Kunststoffen in die Weltmeere.“ Gleichzeitig werde durch den Strohhalm-Bann Kunststoff als hocheffizientes Verpackungsmaterial diffamiert. Viele Alternativen wie Glas würden hingegen durch ein deutlich höheres Gewicht zu höherem Transportaufkommen und damit zu einer schlechteren Ökobilanz führen.

Der massive öffentliche Druck und schärfere Regulierung führt immerhin dazu, dass immer mehr Hersteller, Händler und Entsorger, sich um einen besseren Umgang mit Kunststoff bemühen wollen. Auch Remondis investiert dafür in diesem Jahr 300 Mio. Euro: Die geplante Übernahme des Dualen Systems Deutschlands (Grüner Punkt), dem bekanntesten Kunststoffsammelsystem, wird rund 150 Mio. Euro kosten. „Zusätzlich geben wir etwa die gleiche Summe für den Bau neuer Recyclinganlagen aus, in denen Kunststoff aus der gelben Tonne aufbereitet wird“, kündigt Remondis-Geschäftsführer Wilms im Capital-Interview an.
Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern gibt es in Deutschland längst ein mustergültiges Sammelsystem vor jeder Haustür. Dort stehen neben grauen, blauen und braunen Tonnen seit rund 30 Jahren auch gelbe Container oder Säcke. Und die Deutschen sind Meister darin, Joghurtbecher, Papier, Gemüseschalen und Weinflaschen vom restlichen Müll zu trennen. Die gelben Tonnen sind voll. Doch die anschließende Verwertung des Kunststoffmülls ist nicht sonderlich ambitioniert: Fast zwei Drittel der Plastikberge wurden bislang einfach nur in Müllverbrennungsanlagen verfeuert - und dabei bestenfalls in Strom oder Wärme umgewandelt.
Rein rechtlich hat das gereicht: Bis Ende vergangenen Jahres mussten laut Verpackungsverordnung nur 36 Prozent des Inhalts aus der gelben Tonne wiederverwertet werden. Daraus sind etwa Parkbänke produziert oder Transportpaletten gepresst worden. Dabei blieb es dann auch, da das Sortieren, Reinigen und Aufarbeiten aufwendig und teuer ist. Außerdem hält sich die Nachfrage nach solchen recycelten Produkten oder Materialien in Grenzen. „Ja, die gesetzlich vorgeschriebene Recyclingquote war zu niedrig“, räumt Remondis-Manager Wilms ein. Es gab bislang für die Industrie schlicht keinen Anreiz, mehr zu machen und innovativere Lösungen zu finden.
Druck durch höhere Recyclingquote
Das muss offenbar durch strengere Vorgaben forciert werden: Seit Anfang 2019 müssen Kunststoffe zu 58,5 Prozent recycelt werden, ab 2022 steigt die Quote auf 63 Prozent. „Das Ziel ist extrem ehrgeizig, aber wir glauben das wir das können“, so Wilms. „Wir brauchen diesen gesetzlichen Zwang, weil es ein Markt ist, der sich sonst nicht rechnet.“ Eine neue Kontrollbehörde soll zudem darüber wachen, dass sich künftig wirklich alle Hersteller und Händler an den Kosten für Entsorgung und Recycling beteiligen. Für große Handelsketten summieren sich die Lizenzgebühren für das duale System bereits jetzt auf hohe zweistellige Millionenbeträge, Tendenz steigend.
Das Geschäft nimmt die Schwarz-Gruppe, zu der die Supermarktketten Lidl und Kaufland gehören, nun selbst in die Hand: Das Unternehmen hat vor einigen Monaten eine Entsorgungsfirma übernommen, investiert in Sortieranlagen und baut so ein eigenes duales System auf. Damit kommt Bewegung in den bislang eher trägen Markt, den sich acht Firmen teilen. Der Kölner Lizenzdienstleister Recycling Kontor Dual hat das Geschäft zu Ende März eingestellt und begründete das auch mit dem zunehmend harten Wettbewerbskampf gegen mächtige Anbieter wie die Schwarz-Gruppe und Remondis.
Das Bundeskartellamt untersucht die Markmechanismen derzeit intensiv, um über die umstrittene Übernahme des Dualen Systems Deutschland (DSD) durch Remondis zu entscheiden. Das im westfälischen Lünen beheimatete Abfallunternehmen ist mit einem Umsatz von 7,3 Mrd. Euro der mit Abstand größte deutsche Entsorgungskonzern vor der Berliner Alba-Gruppe. „In der breiten Öffentlichkeit herrscht die Meinung, wir wären ein Monopolist“, kommentiert Remondis-Manager Wilms die laufende Untersuchung. „Das sind wir in keinem Bereich der Wertschöpfungskette. Wir werden durch den Zukauf auch im dualen System mit einem Marktanteil von 30 Prozent keine marktbeherrschende Stellung bekommen.“ Er sei zuversichtlich, dass die Behörde die Übernahme bis zum 16. Mai genehmigen wird.
Um die neuen gesetzlichen Recyclingquoten zu erfüllen, muss künftig mehr Kunststoffabfall zu wiederverwendbaren Produkten aufbereitet werden. DSD betreibt bislang zwei eigene Kunststoffrecyclinganlagen. Darin werden etwa Verpackungen für den Reinigungsmittelhersteller Werner und Merz produziert. Der Hersteller der Ökomarke Frosch ist einer der Vorreiter in der Industrie, der auf Verpackungen aus komplett recycelten Kunststoffabfällen setzt. Für den Einsatz solcher so genannten Rezyklate gibt es keine gesetzliche Quote. Mittlerweile sehen sich aber immer mehr Händler und Hersteller wie Aldi Edeka, Rewe, Lidl, DM, Henkel und Beiersdorf - nicht zuletzt aus Imagegründen – gezwungen, die Zusammensetzung ihrer Kunststoffprodukte und –verpackungen zu verbessern und kenntlich zu machen.
Investition in Recyclinganlagen
Ist das der Auftakt zur Recycling-Revolution? „Da entsteht ein ganz neuer Markt“, ist zumindest Remondis-Manager Wilms sicher. „Wir müssen dafür jetzt in Anlagen, Technologie, Forschung und Entwicklung investieren.“ 150 Mio. Euro hat Remondis für neue Aufbereitungsanlagen vorgesehen, die Kunststoff aus Sortieranlagen für Leichtstoffverpackungen, für Elektro-Altgeräte und Gewerbeabfällen zu Rezyklaten weiterentwickelt. Vorbild ist dabei die effiziente Produktion von PET-Flaschen, bei der die Nachfrage nach den recycelten Flaschen so gestiegen ist, das der Preis für das Rezyklat höher ist als für den Primärrohstoff.
Nachholbedarf gibt es vor allem bei Verpackungen für Lebensmittel. Dafür ist das Material aus der gelben Tonne bislang nicht zugelassen. „In dem Bereich wird geforscht und entwickelt. Da wollen wir sehr bald rein,“ erklärt Wilms. So sollen etwa neue Verpackungen für Äpfel oder Fleisch entwickelt werden. Denn die bisher vielfach eingesetzten schwarzen Kunststoffteller werden von den Detektoren in den Sortieranlagen nicht erkannt.

Und beim Vorsortieren des Plastikmülls sollen auch die Verbraucher noch ein wenig Nachhilfe bekommen: „Wir versuchen den Bürger zu motivieren, noch sauberer zu trennen. Wir stellen fest, dass die Fehlwürfe steigen“, so Wilms. In die gelbe Tonne gehörten nur Leichtstoff-Verpackungen aus Kunststoffen, Verbundstoffen, Aluminium oder Weißblech. Das sind nicht nur Produkte, die mit dem grünen Punkt kennzeichnet sind. Darüber wollen die dualen System gemeinsam aufklären.Die Kampagne startet laut Wilms kommenden Monat zunächst in einem Testlauf in der nordrhein-westfälischen Kleinstadt Euskirchen. Falls die knapp 60.000 Einwohner danach tatsächlich weniger Restmüll in die gelbe Tonne werfen, wird die Aktion voraussichtlich bundesweit ausgerollt. Die Kosten würden dann insgesamt auf einen zweistelligen Millionen-Betrag beziffert.