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Masken-Deals Masken-Lieferanten fordern 425 Mio. Euro vom Bund

Um den enormen Bedarf an Atemschutzmasken zu decken, führte Lufthansa sogenannte Prachterflüge durch. Dabei handelt es sich um Passagiermaschinen, in denen ausschließlich Luftfracht transportiert wird. In diesem Fall Atemschutzmasken
Um den enormen Bedarf an Atemschutzmasken zu decken, führte Lufthansa sogenannte Prachterflüge durch. Dabei handelt es sich um Passagiermaschinen, in denen ausschließlich Luftfracht transportiert wird. In diesem Fall Atemschutzmasken
© IMAGO / Mario Aurich
Noch immer streitet sich das Gesundheitsministerium mit zahlreichen Firmen, die im Frühjahr 2020 Schutzmasken geliefert haben. Am Landgericht Bonn sind aktuell noch 90 Klagen anhängig. Bis heute sitzt der Bund auf mehr als zwei Milliarden Masken

Fast zwei Jahre ist es her, dass in der Bundesregierung ein Notstand ausbrach: Das Coronavirus breitete sich auch in Europa aus, doch in Deutschland fehlte es überall an Schutzmasken. Auf dem Weltmarkt tobte schon ab Februar 2020 ein Kampf um Schutzausrüstung. Die Preise schossen durch die Decke.

Einige der Deals, mit denen die Bundesregierung unter dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in dieser Notlage Masken eilig und auf teils chaotische Weise bei seriösen und weniger seriösen Lieferanten orderte, beschäftigen den Bund noch bis heute – auch vor Gericht. Allein aus einem vereinfachten Einkaufsverfahren resultieren mit Stand Ende Januar 2022 noch 90 Klagen gegen das Gesundheitsministerium, die der heutige Minister Karl Lauterbach (SPD) von seinem Vorgänger geerbt hat. Dabei geht es um Schutzausrüstung mit einem Auftragsvolumen von 425 Mio. Euro, wie aus der Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linksfraktion hervorgeht. Die Antworten liegen Capital vor, die Zahlen zum Stand der Klagen sind die ersten seit dem Antritt der neuen Bundesregierung.

Die 90 Klagen, die Ende Januar vor dem zuständigen Landgericht Bonn anhängig waren, beziehen sich auf das sogenannte Open-House-Verfahren. Dabei handelte es sich um ein beschleunigtes Ausschreibungsverfahren, das der damalige Minister Spahn wählte, um möglichst schnell an Masken zu kommen: Alle Firmen, die Schutzmasken bis zu einem bestimmten Datum liefern konnten, erhielten automatisch einen Zuschlag – für selbst für damalige Verhältnisse üppige 4,50 Euro je FFP2-Maske. Schon nach wenigen Tagen zeichnete sich allerdings ab, dass der Bund ein Vielfaches mehr Masken abnehmen musste als vorgesehen.

Seither klagen zahlreiche Lieferanten: Sie werfen dem Bund vor, dass er sich im Nachhinein aus den Verträgen herauswinden wolle – etwa indem er auf vermeintliche Qualitätsmängel bei den gelieferten Schutzmasken verweise. Zu den Klägern in Bonn zählt etwa auch Walter Kohl, der Sohn des früheren Bundeskanzlers.

Berg an Klagen wird nur langsam kleiner

Die neuen Zahlen des Ministeriums belegen, dass der Berg an Klagen von Maskenlieferanten aus dem Open-House-Verfahren nur langsam kleiner wird. Im Oktober 2021 war die Zahl am zuständigen Bonner Landgericht mit 107 beziffert worden. Seither wurden nur 17 abgeschlossen. Nach eigenen Angaben hat das Gesundheitsressort seit 2020 rund 30 Vergleiche mit Lieferanten abgeschlossen. In einigen Fällen waren im vergangenen Jahr auch vorläufige Entscheidungen zugunsten der klagenden Firmen ausgefallen. 

Insgesamt hatte die Bundesregierung nach Angaben des Bundesrechnungshofes im Frühjahr 2020 über verschiedene Beschaffungskanäle Verträge über fast sechs Milliarden Masken abgeschlossen. Das Vertragsvolumen summierte sich auf 5,8 Mrd. Euro. Schon Anfang Juni 2020 stoppte die Bundesregierung den Einkauf, weil die Lager vollliefen. Später rügte der Bundesrechnungshof die „massive Überbeschaffung“ sowie die Einkaufspreise, die trotz der damaligen Notlage am Markt teils überteuert gewesen seien.

Wie die Bundesregierung jetzt in ihrer Antwort auf die Kleine Anfrage mitteilte, verfügt der Bund aktuell immer noch über einen Bestand an OP- und FFP2-Masken von rund 2,3 Milliarden Stück. Diese sollen für einen sechsmonatigen Bedarf reichen. Allein für die Lagerung der Masken an 17 Standorten der Logistikfirmen Fiege, DB Schenker und DHL fielen bis Ende 2022 Kosten von rund 73 Mio. Euro an. Aktuell plant die Bundesregierung den Aufbau einer „Nationalen Reserve Gesundheitsschutz“, deren Konzept aber noch nicht fertig ist. Dabei rechnet sie mit einem Jahresbedarf von etwa vier Milliarden Masken.

Aus der Antwort an die Linksfraktion geht allerdings hervor, dass ein Großteil der eingelagerten 2,3 Milliarden medizinischen Masken nur noch in näherer Zukunft genutzt werden kann. Demnach verfügt gut die Hälfte der 330 Millionen FFP2-Masken über ein Verfallsdatum 2022 oder 2023. Bei den OP-Masken verfallen etwas mehr als die Hälfte der gelagerten zwei Milliarden Stück in diesem oder im nächsten Jahr.

Mehr als 800 Millionen Masken unbrauchbar

Wie das Gesundheitsministerium weiter ausführt, wurde seit Beginn der Pandemie ein nicht unerheblicher Teil der gelieferten Masken aus dem Verkehr gezogen, weil sie „Qualitätsprüfungen“ nicht bestanden hätten. Dabei handele es sich um rund 570 Millionen FFP2- und FFP3-Masken sowie um 270 Millionen OP-Masken, die für die Auslieferung gesperrt wurden. Unter den beanstandeten Lieferungen dürften sich auch solche befinden, die aktuell noch Gegenstand der 90 Klagen am Landgericht Bonn sind. In der Vergangenheit hatte das Gesundheitsministerium zudem auch Teillieferungen der Schweizer Firma Emix moniert, die im Frühjahr 2020 zum Großlieferant für den Bund aufgestiegen war – nicht zuletzt dank politischer Kontakte zu dem damaligen Minister Spahn. In der Folge hatte das Gesundheitsministerium angegeben, es liefen auch mit Emix Rechtsstreitigkeiten wegen Qualitätsmängeln eines Teils der gelieferten Masken. Auf Fragen zu Details verweigerte das Ministerium unter Spahn allerdings stets unter Verweis auf Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse und laufende Verfahren die Antwort.

Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn
Der frühere Gesundheitsminister Jens Spahn
© IMAGO / IPON

Um das Beschaffungschaos in der Frühphase der Pandemie in den Griff zu bekommen, hatte Spahn im April 2020 auch die Beratungsfirma EY ins Haus geholt. Zunächst erfolgte die Beauftragung freihändig, später erhielt EY nach Ausschreibungen Folgeaufträge. Nach den neuesten Angaben des Gesundheitsressorts flossen bislang für die Unterstützung des Bundes bei der Maskenbeschaffung von April 2020 bis Januar 2022 insgesamt 36,8 Mio. Euro an EY. Diese Ausgaben zählen zu den sogenannten Annexkosten beim Einkauf von Schutzausrüstung – neben den 73 Mio. Euro für die Lagerung sowie 2,9 Mio. Euro, die der Bund bislang für externe Rechtsberatung im Zusammenhang mit den Klagen von Lieferanten ausgegeben hat, unter anderem an den EY-Ableger EY Law.

Für EY könnte das Masken-Mandat für den Bund noch länger gute Erlöse bringen. Nach Angaben des Gesundheitsministeriums sind seitens der Beratungsfirma aktuell immer noch 44 Vollzeitäquivalente für das Ministerium tätig. Das Ressort geht davon aus, dass es auch nach Ende des laufenden Vertrages mit EY im Mai einen externen Dienstleister benötigt, der die Beamten bei der Abwicklung von Beschaffungsvorgängen für medizinische Verbrauchs- und Versorgungsgütern unterstützt. Derzeit werde eine Folgeausschreibung „geprüft und vorbereitet“, schreibt Lauterbachs Ministerium in seiner Antwort.

Der Ruf der Beratungsfirma EY hat durch den Wirecard-Skandal gelitten. Bei den Maskendeals ist das Unternehmen trotzdem an Bord
Der Ruf der Beratungsfirma EY hat durch den Wirecard-Skandal gelitten. Bei den Maskendeals ist das Unternehmen trotzdem an Bord
© IMAGO / Michael Gstettenbauer

Dass der Bund auch zwei Jahre nach Beginn der Corona-Krise bei der Abwicklung von Aufträgen für Schutzausrüstung auf Beratungsfirmen wie EY angewiesen ist, stößt bei der Linksfraktion auf scharfe Kritik. „Jens Spahn hat Karl Lauterbach mit dem Maskenchaos ein schmutziges und teures Erbe hinterlassen“, sagte ihr finanzpolitischer Sprecher Christian Görke. Das Open-House-Verfahren sei ein „Chaosverfahren“ gewesen, aus dem bis heute ein „warmer Geldregen für EY“ resultiere. Görke verwies darauf, dass die Beratungsfirma dank der Großaufträge des Gesundheitsministeriums zum führenden Berater der Bundesregierung in der Corona-Krise aufgestiegen sei, obwohl sie sich im Wirecard-Skandal „bis auf die Knochen blamiert habe“. Ministerien dürften zudem „keine Daueraufträge an Beraterarmeen vergeben und so zur Goldgrube für Berater werden“.

Mit Blick auf die noch laufenden Klagen von Maskenlieferanten sagte der Finanzpolitiker: „Ich erwarte, dass Herr Lauterbach im Ministerium durchfegt und für lückenlose Aufklärung sorgt.“ Dies betreffe auch die Beschwerden von jenen Lieferanten, die im Frühjahr 2020 ihre Ware nicht fristgerecht liefern konnten, weil es bei dem zentralen Logistikdienstleister des Bundes Fiege keine ausreichenden Kapazitäten gab – was der Bund in manchen Fällen als Grund anführte, um von Verträgen zurückzutreten. „Das Maskenchaos von Jens Spahn war teuer und hat kostbares Vertrauen in den Staat verspielt“, sagte Görke.

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