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Corona Lauterbach-Anwälte gehen auf Distanz zu Spahns Maskendeals

Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): Nach Niederlagen vor Gericht bemüht sich sein Ministerium in den Maskenverfahren aus der Corona-Krise um Schadensbegrenzung
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD): Nach Niederlagen vor Gericht bemüht sich sein Ministerium in den Maskenverfahren aus der Corona-Krise um Schadensbegrenzung
© Bernd von Jutrczenka/dpa/picture alliance
Jahrelang hat das Gesundheitsministerium den Maskeneinkauf in der Corona-Krise verteidigt. Jetzt erklärt es plötzlich vor Gericht, es habe teils überteuert eingekauft und gegen Preisvorschriften verstoßen. Ziel der Kehrtwende: Schadensbegrenzung

Das Bundesgesundheitsministerium hat erstmals vor Gericht angegeben, dass es zu Beginn der Coronakrise Masken zu überteuerten Preisen eingekauft habe. Nach Informationen von Capital erklärten seine Anwälte Ende Dezember in Prozessen vor dem Kölner Oberlandesgericht, in einem speziellen Bestellverfahren im Frühjahr 2020 unter dem damaligen Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) habe es einen Verstoß gegen Preisvorschriften für öffentliche Aufträge gegeben. Der Fixpreis von 4,50 Euro netto je FFP2-Maske, den das Ministerium einer Vielzahl von Lieferanten gewährt hatte, habe den „zulässigen Höchstpreis“ deutlich überstiegen. 

Eine Preisverordnung für öffentlichen Aufträgen schreibt vor, dass für marktgängige Leistungen verkehrsübliche Preise vereinbart werden müssten. Verstöße gegen diese „Verordnung PR Nr 30/53 über die Preise bei öffentlichen Aufträgen“ werden nach dem Wirtschaftsstrafgesetz als Ordnungswidrigkeiten behandelt.

Die Argumentation des Gesundheitsministeriums in aktuellen Gerichtsunterlagen, wonach der im Frühjahr 2020 angebotene Preis zwar die angespannte Marktlage in der Pandemie spiegele, aber aus heutiger Sicht gegen „zwingende Preisvorschriften“ verstoße, steht im Widerspruch zu seinen bisherigen Angaben. Bis zuletzt hatte das Ministerium – auch unter dem heutigen Minister Karl Lauterbach (SPD) – stets betont, die hohen Preise in einigen Verträgen seien allein der chaotischen Marktlage und dem Maskenmangel zu Beginn der Pandemie geschuldet und damit marktüblich gewesen. Im Frühjahr 2020 hatte der Bund für rund 5,9 Mrd. Euro mehr als fünf Milliarden Masken eingekauft.

Corona-Krise beschäftigt Gerichte seit langem

Im Oktober 2020 hatte das damals noch von Spahn geführte Ministerium im Bundestag ausdrücklich bestritten, dass es mit den 4,50 Euro pro Maske in dem sogenannten Open-House-Bestellverfahren gegen Preisvorschriften verstoßen habe. Zudem versicherte es seinerzeit in einer Antwort auf eine Anfrage der FDP-Fraktion, es habe die Preise im Nachhinein überprüft und Ende April 2020 in insgesamt 74 Preisstichproben einen durchschnittlichen Marktpreis von 6,35 Euro netto pro Maske ermittelt. Der Marktpreis habe folglich „deutlich über dem festgesetzten Preis im Open-House-Verfahren“ gelegen, betonte es. Daher erschienen die 4,50 Euro der Bundesregierung „auch in der Rückschau als angemessen“. 

Auf Fragen von Capital, wie es jetzt zu der Kehrtwende kam, wie sich der Widerspruch zu seinen früheren Aussagen gegenüber dem Parlament erklären lässt und welche Konsequenzen der Verstoß gegen Preisrecht hat, teilte das Gesundheitsministerium (BMG) in knapper Form mit: „Der Vortrag des BMG vor dem OLG Köln hat ausschließlich zivilprozessuale Gründe, er stellt die Schlüssigkeit der Klage in Frage.“ Die Preisrechtsverordnung „wird, wie andere Fragestellungen auch, im Rahmen der möglichen Prozessstrategien thematisiert“, erklärte ein Sprecher.

Versuch der Schadensbegrenzung

Hinter der neuen Argumentation, die die BMG-Anwälte nach mehr als vier Jahren Rechtsstreitigkeiten jetzt kurzfristig vorgebracht haben, steckt offenbar ein Versuch, den drohenden Schadensersatz für den Bund im gesamten Maskenkomplex zu drücken – indem sie den in seiner Ausschreibung selbst angebotenen Kaufpreis nun als nicht rechtskonform angreifen. Im Sommer 2024 hatte das Ministerium in zwei Prozessen in zweiter Instanz vor dem Oberlandesgericht Köln teure Pleiten einstecken müssen gegen Maskenlieferanten, die bis heute auf ihr Geld warten, weil der Bund einseitig von vielen Verträgen zurückgetreten war. Vergangene Woche unterlag es in einem weiteren Fall vor einem anderen OLG-Senat. 

In allen Fällen ließen die Kölner Richter keine Revision zu. Das Ministerium hofft aber darauf, dass der Bundesgerichtshof (BGH) die OLG-Urteile doch noch kippt. Auch vor dem BGH soll das Ministerium dem Vernehmen nach das neue Preisargument kürzlich in seinen Nichtzulassungsbeschwerden vorgebracht haben. Insgesamt summieren sich die noch rund 100 gerichtsanhängigen Open-House-Klagen auf 2,3 Mrd. Euro. 

Konkret nahmen die BMG-Anwälte der Kanzlei CMS Hasche Sigle jetzt in ihren kurz vor Jahresende und dem Abschluss der Prozesse eingereichten Schriftsätzen am Kölner Oberlandesgericht Bezug auf einen Bericht des Bundesrechnungshofes, den die Kläger vorgelegt hatten. Nach den Erkenntnissen der Rechnungsprüfer bezahlte der Bund im Frühjahr 2020 über sämtliche Einkaufswege – neben dem faktisch für alle Anbieter offenen Open-House-Verfahren gab es zahlreiche Direktverträge mit Einzellieferanten – im Schnitt 3,39 Euro netto je Maske. 

Im Vergleich dazu liege der Preis im Open-House-Verfahren um mehr als 30 Prozent höher, erklärten die Anwälte. Das Kalkül hinter dem Argument, dass der Open-House-Preis über dem zulässigen Höchstpreis gelegen habe: Im Fall eines endgültigen Scheiterns in den Prozessen müsste der Bund demnach nicht den vereinbarten Preis von 4,50 Euro je Maske als Schadensersatz bezahlen, sondern einen Preis, der deutlich darunter liegt.

Allerdings ließen die Kölner OLG-Richter diese neue Argumentation der Ministeriumsanwälte umgehend abblitzen. Die im Bericht des Rechnungshofes genannten Durchschnittspreise für den Maskeneinkauf des Bundes seien nicht aussagekräftig, stellten sie vergangene Woche fest. Es fehlten Vergleiche mit den Preisen, die die Bundesländer und die Privatwirtschaft bezahlt hatten. Zudem habe der Bund im Open-House-Verfahren gemäß seiner Ausschreibung mehr Leistungen verlangt als bei anderen Einkaufswegen, etwa die Lieferung der Masken nach Deutschland anstelle einer Übergabe in China. Ihr Fazit: Ein Verstoß gegen die Preisverordnung sei „nicht gegeben“, der damalige Preis also rechtskonform, heißt es in einem aktuellen OLG-Urteil zugunsten eines Lieferanten aus China, das Capital vorliegt. In der Sache verurteilte das Gericht das Ministerium zur Zahlung des vollen Kaufpreises zuzüglich Zinsen.

Mandat von Sonderberaterin verlängert

Für Außenstehende mag es seltsam wirken, dass sich das Gesundheitsministerium nach mehreren Jahren des Prozessgeschehens in seinen jüngsten Schriftsätzen plötzlich selbst einen Rechtsverstoß beim Maskeneinkauf attestiert. Die neue Prozessstrategie passt allerdings zu seiner Reaktion auf die wegweisenden Niederlagen, die es im vergangenen Sommer vor dem Kölner OLG hinnehmen musste. 

Nach den Pleiten in Köln, bei denen den beiden Klägern in Summe mehr als 100 Mio. Euro Schadensersatz zugesprochen wurde, hatte Lauterbach im Juli eine Sonderbeauftragte für die Masken-Altlasten berufen. Im Auftrag des Ministers soll die frühere SPD-Justiz- und Verteidigungsstaatssekretärin Margaretha Sudhof nicht nur die Maskengeschäfte untersuchen, sondern auch die „Prozessführung“ in den laufenden Verfahren. Laut ihrem Vertrag als „sachverständige Beraterin“ soll Sudhof unter anderem prüfen, ob die Interessen des Bundes durch seine Anwälte aus diversen renommierten Großkanzleien bisher „sachgerecht und erfolgsorientiert“ vertreten worden sind – und wie „die haushalterischen Belastungen für den Bund reduziert“ werden können. 

In dem Vertrag, der Capital vorliegt, wird Sudhofs Gutachterauftrag dabei auf das besonders klageanfällige Open-House-Verfahren begrenzt. Ihren Abschlussbericht sollte sie der Hausleitung ursprünglich bis Ende Dezember 2024 vorlegen. Nach Angaben des Ministeriums wurde Sudhofs Mandat zwischenzeitlich bis Ende Februar verlängert – also bis kurz nach der Bundestagswahl.

Doch selbst wenn es bei der jüngsten Thematisierung eines Verstoßes gegen Preisvorschriften durch das Ministerium um Prozessstrategie und einen juristischen Kniff geht, ist diese neue Linie politisch nicht ohne Brisanz. Nachdem Lauterbach die Maskengeschäfte seines Vorgängers Spahn lange vor Gericht rundheraus verteidigen ließ und wichtige für die Maskenverträge verantwortliche Mitarbeiter im Amt beließ, geht er nun faktisch auf Distanz. Damit gibt Lauterbach nicht nur den Kritikern von Spahn, an dessen Image die teuren Maskengeschäfte in der Pandemie bis heute kratzen, wenige Wochen vor der Bundestagswahl neue Munition. Die neue Argumentation seiner Anwälte führt auch automatisch zu der Frage, wer konkret im Ministerium und unter seinen damaligen Beratern für den behaupteten Rechtsverstoß im Frühjahr 2020 verantwortlich gewesen sein soll. Spahn selbst hatte seinen Maskeneinkauf stets verteidigt, vergangenes Jahr aber allgemein erklärt, mit heutigem Wissen würde er ein Open-House-Verfahren nicht mehr empfehlen.

Verträge sogar über 5 Euro 

Darüber hinaus wirft die Aussage, man habe im Open-House-Verfahren unzulässig hohe Preise für die Masken bezahlt, auch ein Schlaglicht auf andere, ohnehin fragwürdige Maskendeals. So hatte das Ministerium auch noch nach dem vorzeitigen Stopp dieses Verfahrens wegen der großen Resonanz von Lieferanten sogar noch weitere, teils teurere Verträge mit ausgewählten Händlern abgeschlossen. 

Darunter befand sich Ende April 2020 auch ein Teilvertrag mit dem Schweizer Lieferanten Emix, der dank der Vermittlung der Tochter eines früheren CSU-Generalsekretärs über gute politische Kontakte bis hinauf zum damaligen Minister Spahn verfügte. Bei dem von Spahn persönlich abgesegneten letzten Deal mit Emix ging es um 100 Millionen Masken für je 5,40 Euro – was sogar noch über jenen 4,50 Euro lag, die das Ministerium heute als Verstoß gegen Preisvorschriften bewertet. Für diesen Deal interessierte sich zeitweise auch die Berliner Staatsanwaltschaft.

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