Noch ist völlig unklar, wie sich Long Covid in den nächsten Jahren oder Jahrzehnten auf die Arbeitswelt auswirken wird. Aber die Vorzeichen sind alarmierend. Allein bei der AOK wurden von März 2020 bis Dezember 2023 rund 1,8 Prozent aller erwerbstätigen Versicherten mindestens einmal wegen Long Covid, Post Covid oder wegen des chronischen Fatigue-Syndroms CFS arbeitsunfähig geschrieben. Das waren 126.154 Personen.
Hinzu kommt die lange Dauer der Beschwerden nach einer akuten Corona-Infektion. Long-Covid-Betroffene fehlten laut dem Wissenschaftlichen Dienst der AOK (WIdO) im Schnitt je Krankschreibung 64,6 Tage bei der Arbeit – sehr lang verglichen mit anderen Erkrankungen. „Offenbar ist es in vielen Fällen eine Herausforderung, den Betroffenen wieder den Weg in den betrieblichen Alltag zu ebnen“, kommentiert WIdO-Geschäftsführer Helmut Schröder die Ergebnisse.
Noch kaum Erkenntnisse zu Long Covid
Tatsächlich gibt es auch fünf Jahre nach Ausbruch der Pandemie kaum gesicherte Erkenntnisse zur Rückkehr von Long-Covid-Patienten in den Berufsalltag. Auf Anfragen bei einzelnen Krankenkassen, Gewerkschaften oder dem Bundesarbeitsministerium konnten keine Ratschläge für Betroffene und deren Vorgesetzte geteilt werden. Bislang sei wenig über das Thema bekannt, räumt auch die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) ein. Dort läuft aktuell die Studie „Return to Work nach und mit Long Covid”. Mit ersten Erkenntnissen wird im Herbst 2025 gerechnet, die Studie soll im November 2026 abgeschlossen sein.
Dabei ist klar: Besonders bei Long Covid sind Vorgesetzte auf fundierte Anleitungen angewiesen. Denn noch ist wenig über dieses Krankheitsbild bekannt. Außerdem äußern sich die Langzeitfolgen einer Corona-Infektion sehr unterschiedlich. „Jeder Fall ist anders“, heißt es denn auch in dem Leitfaden für Vorgesetzte, den die Europäische Agentur für Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz (EU-OSHA) veröffentlicht hat.
Wer sich als Vorgesetzter auf offizielle Empfehlungen stützen möchte, wird vermutlich am besten bei der Organisation mit Sitz in Bilbao fündig. Ihr Leitfaden für Manager stammt zwar aus dem Jahr 2022. Die Empfehlungen seien aber weiterhin sehr gut geeignet, um bei der Reintegration von Erkrankten zu helfen, betont Elke Schneider, führende Arbeitsschutzexpertin bei EU-OSHA. Denn in dem Leitfaden gehe es nicht um die neuesten medizinischen Erkenntnisse, sondern um möglichst einfache Hilfestellungen, um Betroffene nicht zu überfordern und Arbeitgeber gut auf potenzielle Herausforderungen vorzubereiten.
Long Covid: Tipps für die Rückkehr
Die EU-Organisation empfiehlt Vorgesetzten ein Fünf-Schritte-Programm, um Menschen mit Long Covid erfolgreich zurück in den Beruf zu führen. Hier ein Auszug:
#1 Halten Sie den Kontakt, während der Arbeitnehmer krankgeschrieben ist
- Zeigen Sie, dass Sie an den Mitarbeiter denken; vereinbaren Sie die Form des Kontakts (Häufigkeit, telefonisch oder per E-Mail).
- Fragen Sie nicht, wann der Betroffene wieder arbeiten kann, sondern bieten Sie Ihre Hilfe und Unterstützung an, z.B. zu möglichen Programmen Ihres Unternehmens zur betrieblichen Wiedereingliederung.
#2: Bereiten Sie die Rückkehr an den Arbeitsplatz vor
- Vereinbaren Sie ein Gespräch nach der Rückkehr zur Arbeit, in dem die nächsten Schritte geplant werden.
- Lassen Sie sich beraten, wie der Arbeitsplatz angepasst werden kann, möglicherweise in Zusammenarbeit mit dem behandelnden Arzt des Mitarbeiters und dem arbeitsmedizinischen Dienst oder Betriebsarzt Ihres Unternehmens.
- Informieren Sie die Kollegen und Vorgesetzten des betroffenen Mitarbeiters über Long Covid und mögliche Probleme bei der Rückkehr an die Arbeitsstätte.
#3 Führen Sie ein Gespräch, sobald der Arbeitnehmer wieder da ist
- Überlegen Sie vor dem Gespräch, welche Änderungen im Arbeitsumfeld und bei den Arbeitsaufgaben praktisch möglich sind, und bitten Sie den Arbeitnehmer, dies ebenfalls zu tun.
- Änderungen sind in diesen Bereichen denkbar: kognitiv (komplexe, schnelle, riskante Aufgaben), körperlich (z.B. langes Sitzes, repetitive Bewegungen), seelisch (emotionale Belastbarkeit, z.B. im Umgang mit gestressten Kunden).
- Sprechen Sie darüber, was an den ersten Tagen ansteht. Erstellen Sie einen realistischen und flexiblen Wiedereinstiegsplan, mit dem Sie und der Beschäftigte zufrieden sind.
#4 Bieten Sie in den ersten Tagen nach der Rückkehr Unterstützung an
- Begrüßen Sie den Arbeitnehmer am ersten Tag nach der Rückkehr persönlich. Stellen Sie sicher, dass er über neue Kollegen und neue Abläufe informiert wird.
- Erinnern Sie ihn an die vereinbarten Änderungen und prüfen Sie, ob sie gut funktionieren.
#5 Halten Sie Ihre Unterstützung aufrecht und überprüfen Sie regelmäßig den aktuellen Stand
- Vereinbaren Sie regelmäßige Gespräche, um zu sehen, was funktioniert und was angepasst werden sollte.
- Die Aufgaben des Betroffenen sollten schrittweise gesteigert werden, um Rückfälle zu vermeiden. Das kann in manchen Fällen nicht nur Wochen, sondern Monate dauern.
- Einige wenige Arbeitnehmer können womöglich nicht mehr voll auf ihre ursprüngliche Stelle zurückkehren – dann ist es an der Zeit, über andere Aufgaben oder eine Versetzung zu sprechen.
- Halten Sie die zusätzliche Arbeitsbelastung für die anderen Beschäftigten so gering wie möglich und sorgen Sie dafür, dass sie nicht zu lange andauert.
Arbeit mit Long Covid einfacher gestalten
Der Leitfaden gibt außerdem eine Reihe von Tipps, wie eine Arbeitsstelle für einen Long-Covid-Betroffenen modifiziert werden kann. „Einige der folgenden Punkte erscheinen vielleicht selbstverständlich, sollten aber formalisiert werden, damit sie auch wirklich berücksichtigt werden“, raten die Arbeitsschutzexperten. Diese Anregungen werden u.a. genannt:
- veränderte Arbeitszeiten (Beginn, Ende, Pausen, Schichtdienst),
- einzelne Urlaubstage in der Woche; Urlaub für Arzttermine,
- geringeres Arbeitspensum, keine knappen Fristen,
- vorübergehend andere Pflichten und Aufgaben,
- ein fester Ansprechpartner, an den sich der Mitarbeiter wenden kann („Buddy“-Prinzip),
- kein isoliertes Arbeiten, aber wenn möglich zum Teil Homeoffice,
- regelmäßig kontrollieren, ob sich die Krankheitssymptome verändern.
Die Agentur hat auch einen Leitfaden für Long-Covid-Betroffene publiziert.