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Kolumne Plädoyer für ein neues Gleichgewicht

Ein bloßes Zurück zur Vorkrisenzeit darf es nicht geben. Mit Impulsen für eine umweltfreundliche Nachfrage ist eine Neuorientierung der Wirtschaft möglich. Von Robert Skidelsky

Robert Skidelsky ist Mitglied des britischen Oberhauses und emeritierter Professor für politische Ökonomie an der Warwick University

Wir wissen alle, wie die globale Wirtschaftskrise begann. Die Banken vergaben im Übermaß Kredite auf dem Immobilienmarkt. Dann platzte in den Vereinigten Staaten die Immobilienblase, wodurch wiederum Banken scheiterten, weil das Bankgeschäft international geworden war und die Großbanken im Besitz fauler Kredite der jeweils anderen waren. Die Bankenpleiten führten zu einer Kreditklemme. Die Kreditvergabe wurde eingeschränkt und die Wirtschaft begann zu schrumpfen.

Daher wurden Banken und Volkswirtschaften von den Staaten gerettet, was zu einer Staatsschuldenkrise führte. Nachdem alles auf Schuldenabbau ausgerichtet war, setzte in den Ökonomien keine Erholung ein. Große Teile der Welt - vor allem Europa, aber auch die etwas weniger kränkelnden USA - stecken in einer Semi-Rezession fest.

Wie können wir dieser Krise nun entkommen? Die bekannte Debatte dreht sich um Austerität und Konjunkturbelebung. Die Verfechter der Austerität glauben, dass nur ausgeglichene Staatshaushalte und sinkende Staatsschulden das Anlegervertrauen wiederherstellen. Die Keynesianer sind der Ansicht, dass die Ökonomien in Europa sowie die amerikanische Wirtschaft ohne umfangreiche Schritte zur Ankurbelung der Konjunktur – eine bewusste zeitweilige Erhöhung des Defizits – noch jahrelang in der Rezession stecken werden.

Impulse sind notwendig

Ich gehöre zu denjenigen, die meinen, dass es konjunkturpolitischer Anreize bedarf, um eine Erholung herbeizuführen. Ich glaube nicht, dass man dieses Ziel mit Geldpolitik erreichen kann, auch wenn sie sich noch so unorthodox gestaltet. Das Vertrauen ist zu schwach, um Geschäftsbanken in die Lage zu versetzen, Kredite in jenem Ausmaß zu schaffen, das nötig wäre, um zu Vollbeschäftigung und einem Wachstumstrend auf Vorkrisenniveau zurückzukehren. Dies ungeachtet dessen, wie viele hunderte Milliarden welcher Währung auch immer die Zentralbanken in die Banken pumpen. Wir müssen immer wieder feststellen, dass die Zentralbanken Kredite nicht einfach in dem von ihnen gewünschten Ausmaß schaffen können!

Ebenso wie Paul Krugman, Martin Wolf und andere würde ich daher nicht versuchen, die Haushaltsdefizite zu senken, sondern sie vielmehr auszuweiten. Dafür plädiere ich aus dem altmodischen keynesianischen Grund, dass wir unter einem Mangel an gesamtwirtschaftlicher Nachfrage leiden, der Multiplikator positiv ist und die wirksamste Möglichkeit zur Senkung von Privat- und Staatsschulden innerhalb von ein oder zwei Jahren darin besteht, jetzt Maßnahmen zu ergreifen, die das Wachstum des Nationaleinkommens anschieben.

Doch die Auseinandersetzung zwischen Austeritätsverfechtern und Keynesianern über die Herbeiführung einer nachhaltigen Erholung überschneidet sich mit einer anderen Fragestellung. Einfach ausgedrückt: Welche Ökonomie wollen wir nach der Erholung? An diesem Punkt wird aus Ökonomie politische Ökonomie.

Wer meint, in der Ökonomie vor der Krise war bis auf die verrückte Kreditvergabe der Banken alles in Ordnung, ist auch überzeugt, dass Bankenreformen reichen, um zukünftige Krisen zu vermeiden. Die neue Zauberformel für die Reform lautet „makroprudentielle Regulierung“ der Geschäftsbanken durch die Zentralbank. Manche würden noch weitergehen und die Banken entweder verstaatlichen oder abwickeln. Doch auch ihr Reformhorizont ist in ähnlicher Weise auf den Bankensektor beschränkt und man fragt nur selten, warum das Gebaren der Banken überhaupt so schlecht war.

Umverteilung von Wohlstand und Einkommen

Tatsächlich kann man die übermäßige Kreditvergabe der Banken als Symptom eines tieferliegenden Mangels in der Ökonomie betrachten. Der Ökonom Thomas Palley sieht darin eine Methode, die steigende Einkommensungleicheit zu kompensieren, wobei der Zugang zu billigen Krediten die defekte Wohlstandsgarantie der Sozialdemokratie ersetzt. Für eine Reform bedarf es daher einer Umverteilung von Wohlstand und Einkommen.

Umverteilungsmaßnahmen vertragen sich recht gut mit konjunkturpolitischen Anreizen, weil man kurzfristig eine Steigerung der Gesamtnachfrage (aufgrund der stärkeren Konsumneigung der Haushalte mit niedrigem Einkommen) und langfristig eine Minimierung der Abhängigkeit der Wirtschaft von der Schuldenfinanzierung erwarten kann. Der anfängliche Vertrauensverlust der Geschäftswelt aufgrund der höheren Besteuerung der Reichen würde durch die Aussicht auf einen höheren Gesamtverbrauch kompensiert werden.

Andere argumentieren, dass der Ausgleich in der Wirtschaft nicht nur von Reich zu Arm, sondern auch von Energieverschwendung in Richtung eines sparsamen Energieeinsatzes erfolgen sollte. Die Prämisse der grünen Wirtschaftsagenda lautet, dass wir die ökologischen Grenzen unseres gegenwärtigen Wachstumsmodells erreicht haben und dass wir neue Lebensentwürfe finden müssen, die den Bedarf an nicht erneuerbaren Energiequellen senken.

Konjunkturbelebung sollte also nicht nur auf die Ankurbelung der Nachfrage per se abzielen, sondern sich stattdessen auf die Impulse für eine umweltfreundliche Nachfrage konzentrieren. Die Grünen treten beispielsweise für kostenlosen öffentlichen Verkehr in großen Städten ein. Insgesamt, so ihr Argument, brauchen wir mehr nicht mehr Autos, sondern mehr Achtsamkeit, weswegen die finanziellen Mittel der Konjunkturbelebung in Gesundheit, Bildung und den Umweltschutz fließen sollten.

In Wahrheit zeitigt jede fiskalisch motivierte Politik zur Konjunkturbelebung mögliche reformistische Auswirkungen. Das ist auch der Grund, warum die Verfechter der Austerität so dagegen sind und diejenigen, die Konjunkturbelebung zwar theoretisch für sinnvoll halten, auf deren ausschließlicher Umsetzung im Bereich der Geldpolitik beharren.

Strukturmängel nicht wiederholen

Eine Neuausrichtung des wirtschaftlichen Gleichgewichts von Energieverschwendung in Richtung Energiesparsamkeit – und vom privaten zum staatlichen Verbrauch – könnte das Ziel der Wirtschaftspolitik verändern. Die Maximierung des BIP-Wachstums wäre nicht mehr oberste Priorität. Vielmehr sollte es etwas sein, das wir als „Glück“ oder „Wohlergehen“ oder ein „gutes Leben“ bezeichnen.

Radikal ausgedrückt ist festzustellen, dass die Wirtschaft vor der Krise nicht aufgrund vermeidbarer Bankenfehler zusammenbrach, sondern weil Geld zum einzigen Wertmaßstab geworden war. Wir sollten uns daher energisch um eine Erholung bemühen, aber nicht auf eine Art, die lediglich die Strukturmängel der Vergangenheit wiederholt.

Dani Rodrik formulierte es treffend: „Ginge es in der Volkswirtschaft ausschließlich um Profitmaximierung, könnten wir sie ebenso gut Betriebswirtschaft nennen. Die Volkswirtschaft ist aber eine gesellschaftliche Disziplin, und die Gesellschaft hat neben den Marktpreisen auch noch andere Kostenmaßstäbe.“

Aus dem Englischen von Helga Klinger-Groier

Copyright: Project Syndicate, 2013.
www.project-syndicate.org

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