Gert G. Wagner[nbsp]ist Universitätsprofessor für Volkswirtschaftslehre, Vorstandsmitglied des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin), Max Planck Fellow am MPI für Bildungsforschung. Er war 2011 bis 2013 sachverständiges Mitglied der Enquete Kommission „Wachstum, Wohlstand, Lebensqualität“ des Deutschen Bundestages. Laut dem FAZ-Ranking der in der Politikberatung einflussreichsten deutschen Ökonomen liegt er auf Platz 10 der Ökonomen, auf die gehört wird
Es ist offenkundig: Die Fraktionen des Bundestages tun sich schwer zu einer Koalition zu finden. Wenn es zu einer Großen Koalition kommt, wird es keine Liebesheirat sein. Und es wird lange dauern bis der Koalitionsvertrag steht. Doch ist das keineswegs ein Zeichen für die an den Stammtischen immer wieder beklagte Entscheidungsschwäche der Politik und auch nicht unbedingt ein fauler Kompromiss. Im Gegenteil: Wenn drei Parteien, die teilweise große Unterschiede in den politischen Zielen trennen, zusammen eine Regierung bilden, dann besteht auch die Chance für die eine oder andere grundlegende Entscheidung.
CDU, CSU und FDP hatten die Regierungsbildung 2009 sehr rasch durchgezogen, da die Beteiligten glaubten, dass sie zusammenpassen. Vieles wurde nicht im Detail geklärt. Ständiger Streit und eine dürftige Bilanz waren das Ergebnis, für das die FDP einen sehr hohen Preis gezahlt hat. Bemerkenswertes wurde nicht zustande gebracht. Das Handling der Euro-Krise steht dabei auf einem ganz anderen Blatt.
Mindestlohn wird kommen
Jetzt warten in der Sozial- und Wirtschaftspolitik einige grundlegende Entscheidungen auf die künftigen Koalitionäre. Diese sollten in Ruhe ausverhandelt werden, da sie nicht zuletzt auch die Chance bieten, dass jeder Regierungspartner von Maximalpositionen auf einem Themenfeld abrückt, um in einer anderen strittigen Frage gut dazustehen.
Wenn es zu einer großen Koalition kommen soll, muss ein Mindestlohn-Gesetz kommen. Darüber wird ständig geredet - im wesentlichen geht es nur noch darum, in welcher Weise und in welcher Höhe der Mindestlohn festgesetzt wird. Dazu will ich hier keine Vorschläge machen. Eine solche Entscheidung ist Sache der Politik. Ob man will oder nicht.
Höheres Renteneintrittsalter
Eng mit dem Mindestlohn verbunden ist politisch wie materiell eine andere politische Frage, die im Moment – zumindest öffentlich – nicht im Mittelpinkt steht: die Alterssicherung. Auch hier geht es um eine Mindestsicherung, deren Höhe und Ausgestaltung im Detail festgelegt werden müssen. Bei dieser Gelegenheit könnte die Chance ergriffen werden, die höhere Altersgrenze ein für allemal politisch festzuschreiben und den Einstieg in weitere Anhebungen zu öffnen. Aufgrund der Alterung der Bevölkerung ist ein höheres Rentenzugangsalter – nach allem, was man weiß – das beste Mittel, das Rentenniveau nicht immer weiter absinken zu lassen und die Erwerbstätigen nicht zu stark zu belasten. Und schließlich gibt es zunehmend ältere Beschäftige, die gerne länger arbeiten, da ihnen ihre Tätigkeit mehr Spaß macht als ein frühes Rentnerdasein.
Das eigentliche Problem sind die älteren Erwerbstätigen, die aus gesundheitlichen Gründen oder aufgrund einer veralteten Qualifikation nicht mehr in ordentlichen Jobs arbeiten können. Denen muss gezielt geholfen werden. Aber eine für alle geltende niedrige Altersgrenze ist dazu nicht notwendig. Unfreiwillige Frührentner, also kranken Menschen, können eine höhere Rente erhalten als das jetzt der Fall ist. Wenn es eine Mindestrente gibt, wird das auch helfen. Damit das Rentenzugangsalter steigt, muss mit der Weiterqualifikation Älterer ernst gemacht werden. Hier ein vernünftiges Gesetzes-Paket zu schnüren braucht Zeit. Zugleich kann es notwendige Kompromisse in einer Koalition erleichtern.
Hoffentlich ziehen die Koalitionsverhandlungen sich lange hin. Am Ende kann dann eine Regierung herauskommen, die etwas bewegen kann.
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