Lee Hsien Loong, Premierminister des Stadtstaates Singapur, hat so etwas wie Charisma. Klar, deutlich und eindringlich sind seine Video-Botschaften, mit denen sich der Sohn des Staatsgründers Lee Kuan Yew an die sechs Millionen Bewohner Singapurs richtete. In seiner letzten Ansprache lobte er die Bürger: Die strikten Maßnahmen wie Kontaktsperren, Masken und Social Distancing hätten die Zahlen der einheimischen Ansteckungen unter Kontrolle gebracht.
Ganz anders aber sieht es in den Wanderarbeiter-Quartieren der Stadt aus. Dort leben rund 200.000 Gastarbeiter vor allem aus Ländern wie Indien, Bangladesch und Pakistan. In einer der reichsten Städte der Welt teilen sich bis zu 18 Personen ein Zimmer. Die engen Quartiere entwickelten sich zu einem Brandherd. Mittlerweile ist die Zahl der Covid-19-Infektionen in dem Stadtstaat auf knapp 12.000 angestiegen.
Dabei galt Singapur bis Patient 826 als vorbildlich. Als das Zentrum der Infektionen noch in der chinesischen Provinz Hubei lag, hatte Singapur bereits Einreisesperren für Ausländer verhängt. Für einheimische Rückkehrer galten strenge Quarantäne-Vorschriften. Um alle Infektionen nachverfolgen zu können, setzten die Behörden zudem auf eine App. So konnte Singapur das öffentliche Leben und vor allem die Wirtschaft relativ unbehelligt weiterlaufen lassen.
Doch mit dem Fall 826 aus einem Wanderarbeiterquartier änderte sich das. Jetzt gelten auch hier strenge Ausgangssperren, Schulen und die meisten Büros sind geschlossen. Der Fall Singapur zeigt auch, dass sich schnelles Handeln und rigorose Nachverfolgung der Infektionen zwar lohnen, es die eine Lösung für die Bekämpfung der Pandemie aber nicht gibt.
Zweite Welle in Hongkong
Beispiel Hongkong: Die chinesische Sonderverwaltungszone ähnelt in vielerlei Hinsicht Singapur, eine dicht besiedelte Fläche mit hoher Wirtschaftsleistung und einer engen Anbindung an Festland-China. Dort gelang es über dieselben Maßnahmen - Grenzschließung, Tracking und Quarantäne - die Zahl der Infektionen bis Mitte März niedrig zu halten. Als dann viele Hongkonger aus Großbritannien und den USA nach Hause flogen, kam es zu einer „zweiten Welle“ . Innerhalb weniger Tage stiegen die Infektionen von 140 auf über 1000 an. Die Regierung reagierte mit der Schließung aller Bars und führte in Restaurants einen Sicherheitsabstand ein. Mit Erfolg: Mittlerweile zählt Hongkong an den meisten Tagen keine Neuinfektionen. Man denkt bereits wieder über Lockerungen nach.
Als weiteres asiatisches Musterbeispiel im Umgang mit der Corona-Krise gilt ausgerechnet ein Land, das nicht einmal einen Sitz in der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat: Taiwan, die Insel mit 24 Millionen Einwohnern, hat derzeit gerade einmal 430 Corona-Fälle. Auf Druck Pekings verlor das Land 2016 sogar seinen Beobachter-Status bei der WHO. Die Insel war 2003 stark von der SARS-Epidemie betroffen und hat aus den Erfahrungen gelernt. Damals starben 73 Menschen. Seitdem gibt es zum Beispiel Temperatur-Scanner an den Flughäfen - und ein Krisenzentrum, das im Bedarfsfall aktiviert wird.
Dieses reagierte extrem schnell . Als China am 31. Dezember die WHO über eine unbekannte Lungenkrankheit informierte, begann man in Taiwan umgehend, Einreisende aus der Provinz Wuhan zu befragen und zu untersuchen. Das Krisenzentrum erstellte zudem eine Liste von 124 Punkten, die dabei helfen sollten, das Virus einzudämmen, darunter Grenz- und Schulschließungen.
Am 12. Januar bereits entsandte Taipeh eine Ärzte-Delegation nach Wuhan, um sich aus erster Hand zu informieren. „Wir sahen nichts, was sie uns nicht sehen lassen wollten“, sagte Regierungssprecher Kolas Yotaka. „Aber unsere Experten wussten, dass die Situation nicht gerade optimistisch ist.“ Die Beziehungen zwischen Taiwan und der Volksrepublik sind angespannt, da Peking Taiwan als abtrünnige Provinz betrachtet.
Kurz darauf begann man, die Krankenhäuser auf mögliche Fälle und Tests vorzubereiten. Das geschah, bevor am 21. Januar in Taiwan der erste Corona-Fall gemeldet wurde. Fünf Tage später unterband man alle Flüge aus Wuhan. Die Ausfuhr von Schutzmasken wurde gestoppt, deren Produktion mit Hilfe des Militärs ausgeweitet und der Preis staatlich festgesetzt. Ende Januar hatte die Regierung 44 Millionen Atemschutzmasken auf Lager. Am 6. Februar wurden alle hereinkommenden Flüge aus Festland-China gestrichen.
Ähnlich wie auf dem Festland bedient sich Taiwan modernster Technik. Reisende können einen QR-Code am Flughafen scannen und dann ihre Reisehistorie auf einer App eingeben - die Daten werden direkt an das Gesundheitsministerium übermittelt. Taiwan hat zudem eine flächendeckende Krankenversicherung, so dass jeder Bewohner sich im Krankenhaus kostenlos testen lassen kann.
Allerdings schreckt der demokratische Rechtsstaat nicht vor drakonischen Strafen zurück: Ein Mann aus Wuhan, der seine Symptome nicht meldete und einen Nachtclub besuchte, wurde zu einer Geldstrafe von 10.000 US-Dollar verurteilt.
Wie glaubwürdig sind die Zahlen?
Als weiteres Erfolgsmodell in Asien wird derzeit auch Vietnam gehandelt. Das Nachbarland zu China reagierte bereits am 11. Januar mit strengeren Einreisekontrollen. Als die Zahl der Infektionen noch im zweistelligen Bereich lag, rief die Regierung in Hanoi den Epidemie-Fall aus. Über Hanoi und Ho-Chi-Minh-City wurden Ausgangssperren verhängt, Rückreisende mussten sich umgehend in staatliche Quarantäne-Einrichtungen begeben. 175.000 Tests hat das 80-Millionen-Einwohner-Land bisher durchgeführt. Das ist wesentlich mehr als seine Nachbarn in der Region. Bis heute zählt das Land nur 270 Fälle.
Wie glaubwürdig solche Zahlen sind, ist eine andere Frage. Das politische System Vietnams ähnelt dem Chinas in vielerlei Hinsicht. Eine freie Presse, die die Zahlen der Regierung überprüfen könnte, existiert nicht. Das autoritär regierte Thailand zählt derzeit knapp 3000 Corona-Fälle. Auch das ist unwahrscheinlich angesichts der Tatsache, dass noch Mitte März tausende Chinesen ungehindert nach Thailand einreisen konnten. Bangkok wollte lange nicht auf das zahlungskräftige Klientel verzichten und reagierte erst, als die WHO offiziell die Krankheit zur Pandemie erklärte. Angesichts der Masse der chinesischen Urlauber scheint die Zahl unglaubwürdig niedrig. Dass es an den chinesischen Zahlen große Zweifel gibt, ist nichts Neues.
Dies weist auf ein grundsätzliches Problem hin: Niedrige Covid-19-Fallzahlen bedeuten in Ländern ohne flächendeckende Krankenversicherung, fehlender demokratischer Kontrolle und freier Presse zunächst einmal nicht allzu viel.
Gemein haben alle Erfolgsmodelle, dass sowohl Regierung als auch Bevölkerung schnell reagiert haben: Einreise-Kontrollen, das Tragen von Atemschutzmasken und Tracking von Infizierten konnten in den meisten Ländern einen massiven Ausbruch verhindern – Maßnahmen, bei denen westliche Ländern zu lange zögerten oder es noch heute tun. Die Beispiele Hongkong und Singapur zeigen allerdings auch, wie fragil eine Abschottungs-Strategie ist. Damit lässt sich das Virus für eine begrenzte Zeit aussperren, aus der Welt verschwindet es damit aber nicht.
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