Bald zum Einhorn werden, das wünschen sich alle jungen Tech-Unternehmen. Jedes Mal werden sie neu bewertet, wenn sie Kapital einsammeln. Letzteres klappte im ersten Halbjahr in Deutschland schon recht gut. Start-ups haben 2,4 Mrd. Euro von Risikokapitalgebern ergattert, wie die Unternehmensberatung EY jüngst bekannt gab. Deutschlandweit stieg die Zahl der Investitionen gegenüber der Vorjahresperiode damit um fast drei Prozent – auf 272. Das Dealvolumen stieg gegenüber der Vorperiode um rund 43 Prozent oder 720 Mio. Euro an und erreichte mit gut 2,4 Mrd. Euro den zweithöchsten Halbjahreswert seit 2014.
Dass digitale Geschäftsmodelle die Schwelle von 1 Mrd. Dollar Unternehmenswert nehmen, ist hierzulande aber immer noch ein seltenes Ereignis. Nachdem Delivery Hero und die Rocket Internet-Zöglinge Hellofresh und Home24 ihr Heil an der Börse suchten, blieben unter den weltweit mehr als 240 Einhörnern in Deutschland ganze fünf. Nun stößt mit der Hamburger Modeplattform About You ein Neues dazu.
Zum Symbol des fulminanten Aufstiegs von Internetfirmen prägte – wer sonst – Silicon Valley das Fabeltier. Seit 2015 hat sich der Begriff fest im Start-up- und Venture-Capital-Umfeld etabliert: als Sinnbild für Kraft und schnelles Wachstum. Es soll auch suggerieren, dass es sich um eine sehr seltene Spezies von Unternehmen handelt. Das sind die deutschen Einhörner:
unicorns

Die Hamburger Otto-Tochter About You ist der jüngste Neuzugang im deutschen Club der „Unicorns“. Die Beteiligungsholding eines dänischen Modekonzerns stieg im Juli als neuer Investor ein – im Rahmen einer Kapitalerhöhung von rund 300 Mio. US-Dollar und auf Basis einer Unternehmensbewertung von über 1 Mrd. US-Dollar, teilte das Unternehmen mit. Damit ist das schnell wachsende Fashion-Tech-Start-Up das erste Unicorn aus Hamburg. Der Deal bestätigt den Trend des EY-Start-up-Barometers, wonach E-Commerce-Unternehmen im laufenden Jahr am meisten frisches Geld einsammeln konnten. FinTechs folgen auf Platz zwei, gefolgt von neuen Technologien. 975 Mio. Euro flossen im ersten Halbjahr 2018 in den Onlinehandel, der mit Abstand den größten Zustrom und nun den dritten Top-Deal des Jahres nach Autos und Möbeln verbuchen kann.
Die Altgesellschafter der Fashion-Plattform, German Media Pool und Seven Ventures, sowie die Gründer Tarek Müller, Sebastian Betz und Hannes Wiese haben ihr Kapital ebenfalls aufgestockt. Die Otto Group hält weiterhin die größten Anteile. Für das Geschäftsjahr 2018/19 strebt About You eine Umsatzsteigerung von 283 Mio. Euro auf bis zu 480 Mio. Euro an.

Den größten Deal sammelte in diesem Jahr bislang das Berliner Start-up Auto 1 ein. Mit einer Finanzierungssume von 460 Mio. Euro hält es seit Januar den Spitzenplatz. Ein Investor aus Japan machte Auto1 zum zweitwertvollsten in Europa (3,5 Mrd. $). Im Trend verzeichnet Deutschland inzwischen einen Anstieg von umfangreicheren Deals, die 10 Mio. Euro übersteigen: von 36 im ersten Halbjahr 2017 auf 45 in 2018. Das Konzept der Auto1 Group ist simpel: Sie bewertet und kauft Gebrauchtwagen und verkauft sie zu einem höheren Preis weiter an Autohändler.
Mit diesem Geschäftsmodell hat sich das Unternehmen innerhalb weniger Jahre zu einer Milliarden-Bewertung gemausert. Auto1 finanziert sich nach eigenen Angaben durch eine Handelsmarge. Die Firma nutze Eigenkapital für den Autokauf und lagere sie bis zum Weitervekauf an Händler. Damit verkürze sich der durchschnittliche Verkaufsprozess von etwa 90 auf 10 Tage.

Otto Bock Health-Care trägt seit 2017 den Status des Unicorns. Die Sparte des Medizintechnik-Konzerns umfasst die vier Geschäftsbereiche Prothetik, Orthetik, Human Mobility (manuelle und elektrische Rollstühle sowie Reha-Produkte) und Medical-Care. Das Duderstädter Unternehmen wird von Risikokapitalgebern mit 3,5 Mrd. US-Dollar bewertet und spielt damit in der Einhorn-Führungsliga Europas. Firmenchef Hans Georg Näder liebäugelt damit, das Kerngeschäft Healthcare des Marktführers in der technischen Orthopädie noch vor dem 100. Jubiläum 2019 an die Börse bringen. Die GmbH hat er bereits in eine Europa-AG (SE & Co. KgaA) umgewandelt. Die Branche profitiert von zwei Megatrends. In den Industrieländern werden die Menschen älter und Krankheiten mit orthopädischen Folgeschäden wie Schlaganfall, Diabetes, Arthrose und Osteoporose häufiger. In den Schwellenländern wächst mit steigender Wirtschaftskraft die Bereitschaft, für Gesundheit Geld auszugeben – und die Zahl der Verkehrs- und Arbeitsunfälle.

Der Versandhandel von Sex-Toys ist nur ein Teil der Nucom-Group, die zur „führenden europäischen Omnichannel-Plattform für Consumer-Services und Lifestyle-Brands“ heranwachsen will. Die Digital-Sparte von ProsiebenSat.1 (ehemals 7Commerce) wird mit 1,8 Mrd. Dollar bewertet. Zuletzt beteiligte sich der Finanzinvestor General Atlantic, der auch Miteigentümer von Flixbus ist und Beteiligungen an Unternehmen wie Uber, Airbnb und Delivery Hero hält.
In der Nucom Group bündelt der Medienkonzern seine zehn Beteiligungen an Startups wie Amorelie, dem Vergleichsportal Verivox oder den Dating-Plattformen Parship und Elitepartner. Die Digitalsparte des Konzerns, zu der die Nucom Group gehört, wuchs 2017 um ein Drittel und steuerte laut Reuters ein Viertel zum operativen Ergebnis der Mediengruppe bei.

Neue Therapiemöglichkeiten auf der Grundlage einer revolutionären Vakzinierung haben dem biopharmazeutischen Unicorn den Namen Curevac gegeben. Das Start-Up, das aus der akademischen Forschung entstand, wurde bei der letzten Kapitalrunde mit 1,6 Mrd. US-Dollar bewertet. Curevac gilt als größte Hoffnung der deutschen Biotech-Szene und möglicher Champion von morgen.
Das Geschäftsmodell geht auf die Erkenntnis zurück, dass das als sehr instabil geltende Biomolekül RNA als Therapeutikum und Impfstoff direkt in das Gewebe verabreicht werden kann. Daraus ergaben sich neue Dimensionen für Behandlung und Immunisierung. Die drei Gründer Ingmar Hoerr, Steve Pascolo und Florian von der Mülbe gründeten im Jahr 2000 zunächst ohne Investoren. Seitdem gingen unter anderem die dievini Hopp BioTech holding GmbH & Co., die Bill & Melinda Gates Stiftung und der Finanzinvestor Baillie Gifford Beteiligungen ein.

Ein Neuling am Unicorn-Himmel ist Celonis. Das Münchner Data-Unternehmen eroberte erst in diesem Jahr den Unicorn-Status und wird mit 1 Mrd. Dollar bewertet. Celonis ist das Vorzeigeunternehmen im Bereich Software & Analytics, der im ersten Halbjahr die meisten Finanzierungsrunden auf dem Risikokapitalmarkt anzog. Mit 74 realisierten Finanzierungen entspricht das laut dem EY-Barometer gut jeder vierten Runde insgesamt – rund 76 Prozent mehr als in der Vorjahresperiode.
Der Ansatz der Firma ist es, ein Unternehmen digital zu scannen und so zu bestimmen, wo es sich verbessern kann, etwa hinsichtlich von Supply Chain, Order Management oder Backoffice Prozessen. Mit der Intelligenz, die Millionen von tagtäglichen Kundenaktionen scannt, gewinnt Celonis detaillierte Einblicke in die Prozesse. Jedes Event – Siemens hat laut den Gründern etwa über eine Milliarde pro Tag – wird in die Datenbank aufgenommen und ausgewertet. Unternehmen sollen so intelligenter gemacht werden.