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Ifo-Studie Neustart: Wer am schnellsten aus der Corona-Krise kommt

Stadtansicht Esslingen am Neckar. Aufgrund der Corona-Krise sind Straßencafes und Biergärten bis auf weiteres geschlossen.
Stadtansicht Esslingen am Neckar. Aufgrund der Corona-Krise sind Straßencafes und Biergärten bis auf weiteres geschlossen.
© Arnulf Hettrich / IMAGO
Von null auf hundert - so einen Neustart nach dem Ende des Shutdowns in Deutschlands werden nur die wenigsten Unternehmen schaffen. Das Ifo-Institut hat untersucht, welche Branchen am schnellsten wieder hochfahren können und welche länger brauchen

Es werde eine ganze Weile dauern, bis die Wirtschaft wieder hochfahren könne, warnt Klaus Wohlrabe vom Ifo-Institut. Wohl setzten die Autobauer ein wichtiges Signal, wenn sie ihre Produktion wieder hochfahren. „Aber man kann die Dominosteine nicht von jetzt auf gleich wieder aufstellen“, sagt Wohlrabe. Laut einer Befragung der Münchner Ökonomen haben 44 Prozent der Unternehmen in Industrie und Handel mit Lieferproblemen bei wichtigen Vorprodukten zu kämpfen. Insgesamt rechne die Wirtschaft mit vier Monaten Einschränkungen des öffentlichen Lebens.

Am schnellsten könnten die Branchen Handel, Gastronomie und andere Dienstleister wieder Luft bekommen, wenn Kontaktbeschränkungen schrittweise gelockert würden, sagt Wohlrabe, der beim Ifo-Institut Leiter für Unternehmensbefragungen ist. Aber es sei zugleich eine starke Zurückhaltung der Konsumenten zu erwarten, die Reiseveranstaltern nach der Öffnung noch lange keine Buchungen bescheren oder Geschäften nicht unbedingt den alten Kundenstamm wiederbringen würden.

Im verarbeitenden Gewerbe sei das Hochfahren noch anspruchsvoller: In Lieferketten fehlen weiter Vorprodukte aus China, die in diesen Wochen hätten eintreffen sollen. Und auch wenn die Nachfrage wieder steige, so sei der grenzüberschreitende Warenverkehr in Europa noch empfindlich gestört, um eine Fertigung reibungslos wieder hochfahren zu können. Im April berichteten laut Wohlrabe vier von zehn Industriebetrieben von Lieferengpässen, 53 Prozent im Handel.

Dabei ist die Frage, in welchem Maß die deutsche Wirtschaft wegen der Corona-Krise überhaupt stillsteht, gar nicht so leicht zu beantworten. Als einen Anhaltspunkt nennt der Ökonom den Anteil der Betriebe, die ihre Produktion gestoppt oder Werke ganz und in Teilen geschlossen haben. Im verarbeitenden Gewerbe sind das laut Ifo-Analyse etwa 21 Prozent, im Dienstleistungssektor 10 Prozent, im Handel 23 Prozent und im Bau 12 Prozent. Selbst Volkswagen habe nicht alle Werke angehalten.

Nicht nur Autobauer hart getroffen

Durchforscht man die Unternehmerschaft, die wegen horrender Umsatzausfälle die Bremse gezogen und Beschäftigte in Kurzarbeit geschickt haben, so trifft das im verarbeitenden Gewerbe nicht nur die Autobauer besonders hart. Angeführt wird die traurige Liga von Herstellern von Lederwaren mit einem Anteil von 98 Prozent, gefolgt von Fabrikanten von Kleidung (96 Prozent), Textilien (82 Prozent) und Möbeln (80 Prozent). In der Kfz-Branche fahren 94 Prozent der Hersteller von Kraftwagen und Teilen gerade Kurzarbeit.

Während gesamtwirtschaftlich bereits jedes zweite Unternehmen den Kurzarbeit-Joker zieht, fahren im verarbeitenden Sektor überdurchschnittlich auch die Hersteller von Getränken, das Druckereigeschäft, Betriebe der Metallerzeugung (73) und des Metallbaus (62) sowie Hersteller elektrischer Ausrüstungen (55) mit reduzierter Belegschaft. Weniger straff zogen etwa die Nahrungs- und Futtermittelindustrie (21), die Chemieindustrie (30) oder der Maschinenbau (48) die Notbremse.

Gastgewerbe fast komplett in Kurzarbeit

Im Dienstleistungssektor, der immerhin etwa die Hälfte der gesamtwirtschaftlichen Wertschöpfung ausmacht, verharren vor allem die Gastronomie und Beherbergungsbranche auf äußerster Sparflamme. Zu fast hundert Prozent versuchen diese Betriebe, mit teils drastisch weniger Arbeitskraft durch den Stillstand zu kommen – dicht gefolgt von der Reisebranche (Luftfahrt, Reisebüros und Reiseveranstalter), wo die Betriebe zu 90 Prozent heruntergefahren sind.

Unter den Firmen der Kreativbranche, dem künstlerischen Bereich und dem Unterhaltungssektor retten sich acht von zehn mit dem Gang zur Arbeitsagentur, von den Sportbetrieben – wie Bäder, Golfclubs, Fitness-Studios, Freizeit- und Vergnügungsparks – sind es ebenfalls 81 Prozent. Überdurchschnittlich greifen sogar Dienstleister wie Rundfunkveranstalter (65 Prozent) und das Verlagswesen (63 Prozent) zum Rettungsanker Kurzarbeit, weil Werbeeinnahmen wegbrechen. Vergleichsweise wenig kurzgearbeitet wird bei Unternehmensberatern (39 Prozent), Finanz- und Versicherungsdienstleistern (14-20 Prozent) und im Gesundheitswesen (14 Prozent).

Erstmals seit der Finanzkrise haben Dienstleister in der Corona-Krise auch wieder entlassen – nicht zuletzt im Gastgewerbe. Jeder Fünfte von ihnen hat laut der Ifo-Befragung Kündigungen ausgesprochen. Im verarbeitenden Gewerbe bauten 19 Prozent der Betriebe Stellen ab – Beschäftigte wurden gekündigt oder Arbeitsverträge nicht verlängert; im Handel waren es bis April 14 Prozent. Selbst im Bau und im Handel, zuletzt die Konjunkturstützen der deutschen Wirtschaft, stürzt laut Ifo das Beschäftigungsklima ab.

„Sozialer Konsum“ am härtesten getroffen

Am folgenschwersten wird der gesellschaftliche Stillstand nach Einschätzung von Wohlrabe die Branchen treffen, die selbst bei einem Abklingen der Krise nicht mit Nachholeffekten rechnen können. „Sie werden nicht zweimal so häufig zum Frisör gehen oder in den Urlaub fahren“, sagt er. Während die Industrie schrittweise wieder aufholen könne, und klassische Konsumgüter absehbar stärker gekauft würden, seien es die Dienstleister mit hohem Kundenkontakt, die den größten Schaden hätten – wie eben Gastronomie und Beherbergung sowie Konzert- und Messebetriebe –, wenn sie sich je nach Länge und Strenge des Lockdowns überhaupt über Wasser halten könnten.

Auch für langlebige Konsumgüter wie Autos gibt es indes Hinweise, dass sie in einer abklingenden Krise nicht sofort wieder reißenden Absatz finden werden. „Die Menschen werden sparsamer sein und vorsichtiger in ihren Ausgaben und generell Geld dem Konsumkreislauf entziehen“, sagt Wohlrabe. Die Frage des Kaufverhaltens stelle sich auch im Einzelhandel: Es sei gut möglich, dass viele Verbraucher, die im Lockdown auf E-Commerce umgeschwenkt seien, nicht wieder zu ihren stationären Händlern zurückkehrten. Unter Einzelhändlern überbrücken 62 Prozent, unter Großhändlern 49 Prozent die Durststrecke mit Kurzarbeit.

Generell erweist sich das Baugewerbe am krisenfestesten. Auch dort fuhr im April jedoch mehr als jeder dritte Betrieb Kurzarbeit. Und es mache sich ein gewisser Pessimismus bemerkbar, dass künftige Aufträge ausblieben, sagt der Leiter der Ifo-Umfragen. „Die Auftragsbücher waren voll und werden abgearbeitet, aber viele Unternehmen sind erst einmal mit dem Überleben beschäftigt und werden Investitionen in neue Gebäude zurückstellen.“

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