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Wirtschaftspolitik Neues Wachstumsgesetz: Eine letzte Chance für die Ampel

Auch Oppositionsführer Friedrich Merz ist gefragt, um die lahmende Wirtschaft wiederzubeleben
Auch Oppositionsführer Friedrich Merz ist gefragt, um die lahmende Wirtschaft wiederzubeleben
© dts Nachrichtenagentur / IMAGO
Die Wirtschaft braucht dringend Anschub aus Berlin – das „Wachstumschancengesetz“ bleibt meilenweit hinter dem zurück, was jetzt gebraucht wird. Für den nötigen Spielraum müssen sich alle bewegen, sogar Friedrich Merz 

Von Anfang an begleitete das „Wachstumschancengesetz“ der unangenehme Verdacht, dass hier jemand viel zu viel will. Das hatte einerseits mit dem beschwörenden Namen zu tun, was wahrscheinlich immer Unglück bringt und künftigen Politikern ewig eine Mahnung sein sollte. Andererseits mit seinem Urheber, einem Mann, der zwar tatsächlich viel will, sich aber viele seiner Möglichkeiten selbst nimmt. Und dann waren da noch die Umstände, die absehbar keinesfalls glücklich waren.   

So endet jedenfalls an diesem Freitag das „Wachstumschancengesetz“ – ja, als was eigentlich? Wahrscheinlich nur als weiteres Gesetz, das weder größere Chancen noch Wachstum bringt. Dafür aber eine „Steuertarifglättung“ für Landwirte, die zwar kaum jemand versteht und die auch nichts mit Wachstum zu tun hat, aber wenigstens die Zustimmung der Ministerpräsidenten von CDU und CSU sicherte. Und die viel darüber aussagt, was in den verbleibenden 18 Monaten bis zur nächsten regulären Bundestagswahl noch an Wachstum und Chance möglich sein wird.   

Nicht viel, leider.

Dabei sind Not und Bedarf an Erneuerung, an Mut und Aufbruch, an politischem Rückenwind, groß: Nach Einschätzung der Regierung wird die Wirtschaft in diesem Jahr real um 0,2 Prozent wachsen – manche Experten sagen auch eine fortgesetzte Rezession und einen lang anhaltenden Abschwung voraus.  

Reales BIP auf dem Niveau von 2019

Unter allen Umständen ist das ein Alarmsignal, das jede Regierung wachrütteln muss. In realen Preisen, also ohne Inflationseffekte, liegt Deutschlands Wirtschaftskraft heute auf dem Niveau von 2019, Löhne und Gehälter gar auf dem Niveau von 2016. Fünf verlorene Jahre, für viele Beschäftigte sogar eher acht. Und das, während die meisten Industrieländer in der Welt ordentlich bis sehr ordentlich wachsen.  

Woher also soll Wachstum kommen? Und hat dieses Land wirklich Zeit, weitere zwei Jahre mit Kleinklein zuzubringen? Das „Wachstumschancengesetz“ ist eine Warnung: Wenn Regierungskoalition und Opposition so weitermachen, werden die kommenden Wahlen für beide politischen Lager bitter. Und die Bildung einer nächsten Regierung noch mehr.  

In den kommenden Wochen wollen SPD, FDP und Grüne einen letzten Versuch starten, doch noch etwas Großes hinzubekommen. Ein Wachstumspaket soll her, mit Entlastungen für Unternehmen, weniger Bürokratie und mehr Planungssicherheit, vor allem bei den Energiepreisen. Der Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner hat dafür schon einen neuen Begriff gefunden: die „Wirtschaftswende“.  

Völlig unabhängig von jeder Parteipräferenz: Selbst wenn man nur einen ganz kleinen Sinn für die Stimmung im Land hat, muss man hoffen, dass der Versuch gelingt. Doch die Chancen stehen nicht gut. 

Neuer Haushalt wird noch schwieriger als der letzte

Es fängt damit an, dass fast alle Beteiligten vorab immer irgendetwas ausschließen, was für ihre Klientel vermeintlich essenziell ist: Einschnitte bei den Ausgaben für Gesundheit, Rente und Soziales etwa, die die SPD ablehnt; größere Umbauten im Steuertarif, die auch eine Gegenfinanzierung enthalten könnten – also gezielte Steuererhöhungen, um damit die Steuern an anderer Stelle zu senken. Das aber schließt die FDP kategorisch aus. Oder die Aufnahme neuer Schulden für Investitionen und Entlastungen der Wirtschaft, was die Liberalen und zumindest die Parteiführung von CDU und CSU verweigern. Einzig die Grünen haben, um mal etwas Positives über die Partei zu sagen, für ein weiteres Wachstumspaket bisher nichts ausgeschlossen.  

Die Rechnung für so ein Wachstumsprogramm, das den Namen verdient, ist jedoch ganz einfach: Je mehr ausgeschlossen ist, desto weniger kommt rein. Wer hingegen etwas verändern will, braucht Spielräume und sollte sich nicht selbst einmauern.  

Nicht von ungefähr wird in Berlin inzwischen ein brisantes Szenario diskutiert: Lindner könnte die anstehenden Verhandlungen in der Koalition über den Bundeshaushalt 2025 und die „Wirtschaftswende“ auch dazu nutzen, elegant aus der Koalition auszusteigen. Nach dem Motto: Seht her, ich habe alles versucht, aber mit diesen Partnern ist nichts mehr möglich. Ein solcher Ausstieg wäre riskant, aber auch verlockend – immerhin könnte der FDP-Chef den Mut der Verzweiflung für sich reklamieren. Ob ihm das am Ende aber das politische Überleben sichert oder nicht doch viele feststellen würden, dass Lindners Liberale an der verfahrenen Lage nicht ganz unbeteiligt waren, ist offen.     

Die zweite wichtige Figur in diesem vielleicht letzten Versuch, in dieser Legislaturperiode etwas hinzubekommen, ist CDU-Chef Friedrich Merz. Mit seinem harten, aber geschickten Kurs hat er es geschafft, die Ampel-Koalition praktisch dauerhaft an den Rand des Zusammenbruchs zu drängen. Für den Oppositionsführer ist das eine komfortable Lage, er kann zunächst zusehen und abwarten, was SPD, FDP und Grüne alles nicht mehr hinbekommen.  

Allerdings riskiert Merz im Moment auch einiges: Je härter er blockiert, umso größer und schwieriger wird für ihn selbst die Aufgabe, wenn er in spätestens 18 Monaten das Kanzleramt übernehmen sollte – wonach es nach allen Umfragen ja aussieht. Auch ihm werden dann die Spielräume fehlen, die er für eine Wachstumspolitik braucht.  

Unternehmen fehlt Planungssicherheit

Das Kleinverhandeln des „Wachstumschancengesetz“ im Bundesrat durch die Ministerpräsidenten von CDU und CSU war jedenfalls kein Ausweis besonderer Weitsicht. Auch die Ankündigung, jedes Gesetz der heutigen Ampel nach einem Wahlsieg wieder rückgängig zu machen, schafft nicht gerade Vertrauen – es untergräbt vielmehr die Planungssicherheit, die jeder Unternehmer und jeder Bauherr heute braucht. Der Plan, das umstrittene „Bürgergeld“ umzubauen – das erste konkrete Vorhaben einer kommenden Regierung unter Führung eines Kanzlers Merz – klingt gut. Aber er ist in vielen Punkten unrealistisch und wird schon jetzt absehbar enttäuschen.  

Nein, auch Friedrich Merz braucht noch mehr Optionen und Spielräume, will er glaubwürdig als bessere Alternative antreten. Die Chancen standen für ihn noch nie so gut – doch auch für ihn hat die Arbeit gerade erst begonnen.  

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