Capital: Herr Diederich, Sie sprechen sich gemeinsam mit Mistreitern aus der Wirtschaft und Wissenschaft in einem Papier von „Deutschlands Zukunftsweisen“ für mehr Nachhaltigkeit aus. Ziel ist es für „ein Wirtschaftswunder 2.0“ zu sorgen – was bedeutet das?
MICHAEL DIEDERICH: Egal, mit wem man sich im Moment unterhält: Die Nachhaltigkeit steht an erster Stelle. Sie ist das alles überlagernde Thema. Da stellt sich natürlich die Frage, wie eine Industrienation wie Deutschland mit dem Thema umgeht. Denn das betrifft jeden Industriezweig, jeden Sektor – auf allen Ebenen und in allen Größenordnungen.
Wie meinen Sie das?
Nehmen wir ein etwas sperriges Beispiel: das Lieferkettengesetz. Für ein Produkt muss sich ein Unternehmen die gesamte Lieferkette ansehen und sie auf Nachhaltigkeit abklopfen. Im Umkehrschluss bedeutet das aber auch, dass man sich mit der Frage befassen muss, wie ich eine Wertschöpfungskette, die Produktionsprozesse oder das Sourcing so umbaue, dass sie künftigen Ansprüchen an Nachhaltigkeit gerecht werden.
Und was hat das jetzt mit dem „Wirtschaftswunder 2.0“ zu tun?
Deutschland muss als Industrienation erkennen, dass sich aus Nachhaltigkeit Chancen für künftiges Wirtschaftswachstum ergeben, wenn wir Produktionsverfahren und -ketten neu und nach vorne gerichtet denken, wenn wir die Materialforschung neu aufstellen, wenn wir die Universitäten mit einbeziehen. Made in Germany war die vergangenen 30 Jahre sehr wichtig – noch wichtiger wäre, dass es so bleibt.
Kann Wachstum jemals grün sein?
Ich glaube schon. Einen Fokus werden wir da in Zukunft auf die Circular Economy legen müssen. Schauen Sie sich Covestro an: Das Unternehmen hat jetzt eine Milliarde Euro in die Frage investiert, wie man Plastik aus nachwachsenden Rohstoffen herstellen kann. Oder schauen Sie sich BMW an. Deren Plan ist es, die komplette Automobilflotte bis 2025 aus recyclebaren Materialien herzustellen. Diese beiden Beispiele zeigen: Das ist sicherlich ein anderes Wirtschaften, als wir das heute kennen. Aber es ist auch Wachstum.
Was sind denn Ihrer Meinung nach Stellschrauben, an denen wir als Gesellschaft drehen müssen?
Ich glaube, dass wir ein positives Narrativ brauchen. Ich erlebe das oft im Gespräch mit kleineren Unternehmen. Manchen fällt beim Thema Nachhaltigkeit als erstes die Administration ein – zusätzliche Kosten, niedrigere Gewinnmarge und damit einen Verlust der Wettbewerbsfähigkeit. So kann man das natürlich sehen. Sollte man aber nicht. Ich versuche das immer mit einem anderen Gebiet zu vergleichen: Wenn wir über die Digitalisierung sprechen, hat jeder bestimmte Leuchttürme im Kopf, das sind Unternehmen, die ihre Modelle komplett digitalisiert und umgebaut haben, die ihre Wertschöpfungsketten und Produktionsprozess erfolgreich digitalisiert haben. Also brauchen wir ein ähnliches Narrativ, wenn es um die Nachhaltigkeit geht: Das muss nicht zwangsläufig teuer sein, das bedeutet nicht unbedingt kostenintensive Administration, nicht den Verlust von Gewinnmargen oder Wettbewerbsfähigkeit.
Warum fehlen diese Leuchttürme?
Ich glaube, da draußen passiert schon sehr viel. Und viele Unternehmen haben schon damit begonnen, auf Nachhaltigkeit zu achten, bevor das überhaupt ein Thema war. Die sagen: Wir stehen als Familie oder als Shareholder dafür, dass wir nachhaltig agieren. Sie haben darauf geachtet, dass Produkte nicht durch Kinderarbeit hergestellt werden, dass bestimmte Chemikalien nicht eingesetzt wurden, in der Kleidungsindustrie etwa wie Baumwolle gepflückt worden ist. Jetzt kommt das Thema Klimaschutz hinzu.
Sie sagen, es ist schon viel passiert – trotzdem steigt der CO2-Ausstoß jedes Jahr. Wie ändern wir das?
Schauen wir uns an, was die EU mit ihrer Klimataxonomie vorhat – das weltweit erste System zur einheitlichen Klassifizierung nachhaltiger Wirtschaftsaktivitäten. Damit werden sich auch die Statuten institutioneller Investoren ändern, in welche Art von Unternehmen, die überhaupt noch investieren. Ob das die EU-Kommission in Brüssel, ob das die EZB oder die lokale Politik ist – es werden jetzt immer mehr Akzente gesetzt, es wird ein Rahmen dessen definiert, was man erreichen will. Die Unternehmer da draußen werden sich dann zwangsläufig fragen, was das für sie bedeutet. Und wenn ein nicht-nachhaltiges Unternehmen am Kapitalmarkt nicht mehr finanzierbar ist, wird es sich verändern müssen.
Gilt das auch für Banken, wie die Ihre?
Natürlich! Und zwar in zwei Richtungen: einerseits haben wir uns selbst ambitionierte Nachhaltigkeitsziele gesetzt. Wir wollen bis Ende 2023 alle unsere internen Prozesse papierlos machen. Und wir haben schon große Erfolge erzielt unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren, um nur zwei Beispiele zu nennen. Zum anderen achten wir auch auf unser Portfolio: Wir bewerten die Unternehmen, denen wir Kredite geben, auch nach Kriterien der Nachhaltigkeit. Was wir allerdings nicht machen, ist, dass wir nicht mehr mit Unternehmen zusammenarbeiten, die heute noch nicht nachhaltig sind.
Warum nicht?
Weil wir uns eher die Frage stellen, wie wir ein solches Unternehmen durch die Transmission hin zu mehr Nachhaltigkeit und grünem Wachstum begleiten. Es geht darum, die Rahmenbedingungen für den Wandel zu schaffen.
Wie begleiten Sie Unternehmen auf dem Weg zu mehr Nachhaltigkeit?
Als Bank haben wir ein eigenes Team von Beratern im Markt, die bei allen Finanzierungsfragen genau diese Aspekte unter die Lupe nehmen. Wir haben da ein Instrument entwickelt, das sogenannte ESG-Branchenbarometer. Da geht es genau um die Fragen: Was ist eigentlich der Status Quo was die Nachhaltigkeit und den CO2-Ausstoß eines bestimmten Unternehmens einer bestimmten Branche anbelangt. Denn nur so können wir ein Verständnis dafür entwickeln, was zu tun ist und in welche Richtung wir gehen müssen. Die nächste Frage ist dann: Wie hat sich das Unternehmen im Jahr darauf verbessert?
Die Zukunftsweisen sind ein weiterer Zirkel, der Unternehmen und Politik zur Nachhaltigkeit beraten soll. Was ist der Unterschied zu anderen Gremien?
Ich verstehe mich nicht als Politikberater. Vielmehr möchte ich gemeinsam mit Gleichgesinnten Denkanstöße geben. Wir wollen unsere Erfahrungen aus der Praxis teilen. Die Gruppe ist interdisziplinär besetzt. Es sind Leute dabei, die aus der Industrie kommen, andere kommen aus der Wissenschaft. Und wir haben solche wie mich, die intermediär zwischen Kapitalmarkt und Investment angesiedelt sind. So, denke ich, können wir aus vielen verschiedenen Blickwinkeln sagen, was jetzt die relevanten Parameter sind, um diese Nation nach vorne zu bringen.
Mit Maja Göpel denkt mindestens ein Mitglied der Gruppe offen über eine „Wende zum Weniger“ nach. Ist Ihre Position des grünen Wachstums damit kompatibel?
Ich kann nicht für andere sprechen. Aber ich hatte in unseren Diskussionen nicht den Eindruck, dass wir so weit auseinander lagen. Was ich vermitteln will, ist, dass das Thema Nachhaltigkeit und eine Veränderung der Industriegesellschaft eben nicht mit Verzicht oder Verboten gleichzusetzen ist. Und ich sehe, dass es in sehr vielen Organisationen ein Umdenken gibt – nach all dem Wachstum und all der Umweltbelastung sehen viele inzwischen die Notwendigkeit, anders zu handeln.
Wie wird sich denn der Ausgang der Koalitionsverhandlungen auf die Initiative auswirken – gibt es ein Ergebnis, das Sie bevorzugen?
Ich denke, dass jede mögliche Koalition das Thema zum zentralen Baustein ihrer Politik machen wird, bei leicht unterschiedlichen Herangehensweisen natürlich. Wichtig ist doch etwas anderes.
Was denn?
Dass wir die Leute erreichen. Es ist leicht zu sagen, dass man sich für Nachhaltigkeit einsetzen will, wenn man zufälligerweise eben nicht der Eigentümer einer Gießerei ist. Dann müssen sie die Aufforderung nach mehr Umweltschutz nämlich in konkrete Frage übersetzen: Was heißt denn das jetzt? Was heißt das für mich, für meine Verantwortung, für meinen Produktionsprozess? Wo kriege ich CO2-freien Stahl her? Wie kann ich auch als energieintensives Unternehmen Teil der Veränderung sein? Wir sehen also, da ist viel im Raum, das bisher noch unbeantwortet ist.
Können die Zukunftsweisen da Antworten liefern?
Ich glaube jedenfalls, dass es wichtig, richtig und gut investierte Zeit ist, sich diesen Fragen zu stellen. Die einen Unternehmen werden sich da leichter tun als andere. Aber wenn man Maschinenbauer ist, eine Stahlgießerei betreibt, generell in der metallverarbeitenden Industrie ist: dann kann man nicht einfach von jetzt auf gleich seinen Betrieb umstellen.
Das heißt, wir stehen da gerade noch am Anfang?
Wie gesagt, es passiert schon viel. Aber wir müssen uns erst einmal auf eine gemeinsame Sprache einigen.
Das müssten Sie bitte erklären.
Was ist denn das Datengerüst, mit dem zum Beispiel wir als finanzierendes Institut beurteilen können, ob eine Gießerei heute nachhaltiger arbeitet als noch vor einigen Jahren? In Zukunft werden wir für jedes einzelne Engagement, für jedes einzelne Produkt, für jeden einzelnen Kunden definieren müssen, wie wir Verbesserungen messen. Wir müssen am Ende auch sagen können, dass wir als Bank mit den richtigen Unternehmen zusammengearbeitet haben.
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