Die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY (Ernst & Young) hat Dutzende Mitarbeiter entlassen, weil sie gleichzeitig an mehreren vom Unternehmen vorgeschriebenen Online-Kursen teilgenommen haben. Laut „Financial Times“ wurden die Kündigungen in der vergangenen Woche ausgesprochen. Die Teilnahme an parallelen Kursen sei bei einer internen Auswertung der Teilnahme an der „EY Ignite Learning Week“ im Mai aufgefallen.
EY bietet einmal im Jahr Fortbildungen an, die zu insgesamt 40 Pflichtkursen gehören, die die Beschäftigten jährlich absolvieren müssen. Dazu gehören Angebote wie „Wie stark ist Ihre digitale Marke im Markt?“ oder „Kommunikation mit KI. Eine Frage nach der anderen“.
EY wirft den Mitarbeitenden vor, betrogen zu haben und begründete die Entlassungen mit einem ethischen Verstoß. „Unsere Grundwerte Integrität und Ethik stehen bei allem, was wir tun, im Vordergrund“, teilte das Unternehmen der Zeitung mit. Die Mitarbeitenden reagierten mit Unverständnis.
Sie hätten versucht, an so vielen Kursen wie möglich teilzunehmen, sagten Betroffene der Zeitung. Die E-Mails des Unternehmens, in denen die Kurse beworben wurden, hätten sie dazu ermutigt. Alle Mitarbeiter arbeiteten mit drei Monitoren. Er habe „neue Ideen“ hören wollen, die er einbringen könne, um sich von seinen Kollegen „abzuheben“, erklärte einer der Gekündigten.
EY fördere eine „Kultur des Multitasking“, heißt es. Das tägliche Arbeitspensum übersteige die 45 Stunden pro Woche, zitiert die Zeitung einen Mitarbeiter. Ein anderer berichtet von Videotelefonaten, die gleichzeitig mit verschiedenen Kunden geführt wurden. Wenn gleichzeitige Schulungen „unethisch sind, dann ist das auch unethisch“.
Ab jetzt ein Kurs zur Zeit
Die entlassenen Mitarbeiter beklagen auch, dass es keine Vorwarnung gegeben habe. Laut FT gab es erst bei der Ankündigung eines Schulungsprogramms im August einen zusätzlichen Passus in der Einladung, die per Mail an die Mitarbeitenden verschickt wurde. Dort hieß es ausdrücklich: „Es wird erwartet, dass Sie diese Lernaktivität mit Integrität abschließen, einschließlich der Anwesenheit bei allen Inhalten und Interaktionen im Unterricht.“ Und: „Sie sollten während der Durchführung dieser Aktivität nicht an anderen Lerneinheiten teilnehmen.“
EY hatte sein umfassendes Schulungsprogramm nach einer Reihe von Betrugsfällen bei Mitarbeiterprüfungen eingeführt. In den Jahren 2017 und 2021 wurden Testantworten an Prüflinge weitergegeben. Die EY-Führung verschwieg dies den Aufsichtsbehörden. Auch bei den Konkurrenten Deloitte, KPMG und Pricewaterhouse Coopers (PwC), die zusammen mit EY die Big Four der Branche bilden, wurden solche Betrügereien öffentlich. EY zahlte dafür 2022 die höchste Strafe aller Zeiten. Die Aufsichtsbehörde kassierte 100 Millionen Dollar, weil sie die Verstöße nicht gemeldet hatte.
Der Beitrag ist zuerst bei ntv.de erschienen. Das Nachrichtenportal gehört wie Capital zu RTL Deutschland.