Tage der Euphorie in Magdeburg: Erst gewinnt der örtliche Handballverein SC Magdeburg die Champions League, dann macht die Bundesregierung auch noch den Weg frei für die riesige Chipfabrik des Intel-Konzerns am Südwestrand der Stadt an der Elbe. Es ist die größte Industrieansiedlung seit sehr langem in Deutschland und gleichzeitig Genugtuung und Hoffnungszeichen für eine Stadt, die einst eine bedeutende Industriemetropole war und über 30 Jahre darunter gelitten hat, dass sie es nicht mehr ist. Bei all dem historischen Wohlfgefühl, das nun die Region erfasst und Teile des Landes mit ihr, mag es für einen Moment lang vernachlässigbar erscheinen, dass der Durchbruch bei der Chipfabrik teuer erkauft ist (so wie übrigens auch das Handballspiel äußerst knapp ausging).
Fast 10 Mrd. Euro Subventionen hat die Bundesregierung am Montag Intel-Chef Pat Gelsinger zugesagt, sie legte damit noch einmal mehr als 3 Milliarden auf die ursprünglich vereinbarte Summe drauf. Rund 1 Mio. Euro Zuschuss vom Steuerzahler für jeden neu geschaffenen Arbeitsplatz – dieses Missverhältnis zeigt, in welche Subventionsfalle sich die Regierung begibt. Denn es ist zu befürchten, dass Magdeburg kein Einzelfall wird. Es sind schließlich weitere Chipfabriken geplant, von Infineon und TSMC in Dresden sowie von Wolfspeed und ZF im Saarland. Wenn sich die Erbauer bei weiteren Ansiedlungen ein Beispiel nehmen an Magdeburg, dann sitzt der Staat auf Dauer in die Klemme. Das gilt umso mehr, wenn auch andere strategisch wichtige Industrien – Autobatteriefabriken oder Komponenten für die Solarbranche – Subventionen einfordern.
Nun würden Olaf Scholz und Robert Habeck es weit von sich weisen, dass sie die knapp 10 Milliarden (nur) für die erhofften 10.000 Jobs in Magdeburg geben. Die Subvention hat vor allem geostrategische Gründe. In den vergangenen Jahren war die deutsche Industrie nahezu komplett abhängig von Chiplieferungen aus Asien. Die Engpässe, die dabei seit der Coronapandemie entstanden sind, haben die hiesige Wirtschaft womöglich mehr gekostet, als das Land jetzt für das Chipwerk in Magdeburg bezahlt. Wenn sich die Aggression Chinas gegenüber Taiwan verschärfen sollte und es gar zu einem Lieferstopp aus Taiwan käme, dann könnte eine heimische Chipproduktion eine Lebensversicherung sein.
Gute Gründe für eine Chipfabrik vor Ort
Überdies, so die Befürworter der Subvention, müssten sich Industriestandorte, die überleben wollen, auch Zugriff auf Hightechproduktion sichern. Auch das ist nicht ganz falsch. Die deutschen Autobauer zum Beispiel werden wahrscheinlich kaum die aktuelle umbaubedingte Krise überstehen, wenn sie nicht beim Chipdesign mitreden können. Und wenn sie nicht sicherstellen können, dass sie auf Dauer mit den entsprechenden Bauteilen versorgt werden. Das ist sicherlich einfacher, wenn die Fabrikation und die Entwicklung der Teile in der Nähe stattfinden. Die Autobauer haben das schon bei den Batteriezellen lernen müssen, bei denen sie lange geglaubt haben, dass sie diese auf Dauer billig von asiatischen Zulieferern beziehen können – bis sie nahezu im letzten Moment feststellten, dass sie beinahe den Anschluss verloren haben, weswegen sie jetzt mit viel Aufwand eine europäische Fertigung der Komponenten stützen.
Es gib somit gute Gründe, den Bau von Chipfabriken nicht dem Weltmarkt zu überlassen. Zumal, wie Branchenvertreter argumentierten, auch in Asien und den USA Milliardensubventionen für neue Ansiedlungen fließen. Deutschland hat seit langem große, vor allem ideologische Vorbehalte gegen staatliche Industriepolitik. Andererseits lehren die Jahre seit Coronapandemie und Ukrainekrieg, dass vieles ohne Industriepolitik nicht funktioniert: Impfstoffversorgung, Medikamentensicherheit, Energieumbau und auch die Sicherheit, dass die Technik dafür zur Verfügung steht. Neuerdings hat zudem US-Präsident Joe Biden mit seinem Milliardensubventionsprogramm Inflation Reduction Act einen globalen Wettbewerb um attraktive Zukunftsindustrien gestartet. Aus all diesen Gründen führt es wahrscheinlich nicht weit, wenn man die Milliarden für Magdeburg mit grundsätzlichen oder ideologischen Einwänden gegen staatliche Industriepolitik ablehnt. Es ist vielmehr wahrscheinlich nötig, dass Regierungen, auch die deutsche, heute offener dafür sind, neue Fabriken auch mit Steuerzahlergeld zu stützen.
Die Bundesregierung müsste sich nur der Gefahr bewusst werden, die darin liegt. Im globalen Subventionswettlauf um Industrieansiedlungen agiert sie ohne Plan, das hat sich in Magdeburg gezeigt. Regierungen machen sich erpressbar, wenn – wie im Fall Intel – einmal vereinbarte Investitionen infrage gestellt werden und davon abhängig gemacht werden, dass zusätzliches Steuergeld fließt. Dazu kommt, dass die Regierung ihre eigene Zerrissenheit in der Frage der Industriepolitik dadurch zu ketten versucht, dass sie das zusätzliche Geld nun aus einem Topf nimmt, der dafür nicht da ist. Finanzminister Christian Lindner wollte aus grundsätzlicher Subventionsskepsis kein weiteres Geld aus dem Bundeshaushalt geben. Also zapft Wirtschaftsminister Robert Habeck den Klima- und Transformationsfonds an, der für andere Zwecke geschaffen wurde.
Auf diese Weise gräbt sich die Regierung ihre eigene Subventionsfalle. Um zu verhindern, dass die Rufe nach Subventionen tatsächlich lauter werden und die Politik erpressbar bleibt, sollte sie zumindest für die Zukunft klare Regeln für eine subventionsgespeiste Industriepolitik aufstellen. Noch einmal sollte ein Subventionspoker wie in Magdeburg nicht passieren.