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Kommentar Merkel und die Kunst des Scheiterns

Der Schlüsselsatz der Kanzlerin zur Euro-Krise hat seit Montag eine neue Bedeutung. Von Christian Schütte
Bundeskanzlerin Merkel ist zu weiteren Verhandlungen mit Griechenland bereit - Foto: dpa
Bundeskanzlerin Merkel ist zu weiteren Verhandlungen mit Griechenland bereit - Foto: dpa

"Wenn der Euro scheitert, dann scheitert Europa". Angela Merkel hat diesen Satz - vielleicht ihren berühmtesten - gestern noch einmal wiederholt. So ausdrücklich und demonstrativ, dass sie sicher sein konnte, dass auch wirklich jeder hinhörte. Aber wenn man dann genau hinhörte, dann hat sie ihn eigentlich nur wiederholt, um ihm eine inhaltlich völlig neue Wendung zu geben.

Bislang musste jeder Merkel so verstehen, dass ein Zerbrechen des Währungsklubs in jedem Fall verhindert werden muss, dass also auch ein "Grexit" niemals in Kauf genommen werden darf. (Was den Griechen natürlich eine recht starke Verhandlungsposition vermittelte.)

Gestern nun, bei Merkels gemeinsamem Auftritt mit dem SPD-Chef und Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel, hörte sich das auf einmal ganz anders an: Ein "Scheitern des Euro" drohe dann, wenn dessen konstituierende Prinzipien nicht mehr eingehalten würden, die Bedingungen für eine verlässliche Zusammenarbeit nicht mehr gegeben seien, so wiederholten es die Kanzlerin und ihr Vizekanzler in verschiedenen Formulierungen. Was im Klartext heißt: Auch und gerade ein "Grexit" kann erforderlich sein, um ein "Scheitern des Euro" zu verhindern und Europa zu stärken.

Den Kurs verändert und dabei gleichzeitig Prinzipientreue vorgeführt - das ist professionelles rhetorisches Handwerk. Es ist müßig, die Regierung dafür zu schelten, denn sie hat sich damit nur auf die neuen Realitäten seit dem Wochenende eingestellt. Eine Frontbegradigung kann man es nennen. Eine Korrektur, mit der unhaltbar gewordene Positionen geräumt und zugleich neue Handlungsspielräume eröffnet werden.

Das ist zweifellos vernünftig. Den Taschenspielertrick, das Wort "scheitern" einfach umzudeuten, muss man trotzdem benennen.

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