Irgendwann so vor zwei Wochen habe ich den Punkt erreicht, an dem es mir reichte. Es war nach einer der zu vielen Eurogruppen-Meetings in Brüssel oder nach einem der unsäglichen Auftritte des Narzissten Yanis Varoufakis oder nachdem die Syriza-Idioten mal wieder ihre bizarren Komplottvorwürfe gen Berlin geschleudert hatten. Ich weiß es nicht mehr, wahrscheinlich kam alles zusammen. Auf jeden Fall dachte ich: Es reicht. Schmeißt sie raus! Sie wollen es nicht anders. Die Griechen brauchen den Euro dringender als der Euro die Griechen. Jeder ist seines eigenen Unglückes Schmied.
Ich glaube, nicht nur mir ist es nach einem halben Jahr absurdes Theater so gegangen. Viele Leute, mit denen ich in diesen Tagen gesprochen habe, sind vom Pro- ins Kontra-Lager gewechselt. Aus Empörung. Aus Überdruss. Aus Ermattung.
Dann, in der Woche des Brüsseler Showdowns, stieß ich in Brüssel auf einen von denen, die wir gern „Eurokraten“ nennen. Er glaubt an die EU, er begleitet sie seit Jahren. Nicht unkritisch, aber wohlwollend. Er nimmt das, was in Brüssel passiert, ernst. Und persönlich. Diesmal war es anders: Das Ganze gehe ihm einfach zu lang, hat er mir gesagt und hinzugefügt. „Ich bin emotional draußen.“ Es komme nun eben, wie es komme. Man hat ihm angesehen, dass ihn das selbst verwundert. Mich hat es erschreckt. Irgendwie hatte ich mich drauf verlassen, dass auch wenn ich genug davon habe, diese Leute für ein Happy End sorgen.
Erst die Partei, dann das Land
Es ist anders gekommen. Am vergangenen Samstag haben 18 Finanzminister der Eurogruppe dem 19. gesagt: „Piss off“. Würde man die Schuldfrage vor Gericht verhandeln, bekämen die 18 bestimmt Recht. Das letzte Manöver der Syriza-Regierung ist an Zynismus und Skrupellosigkeit nicht zu übertreffen. Der Zocker Alexis Tsipras würdigt das demokratische Instrument des Referendums herab, indem er es zu einem Chip macht, den er auf den Spieltisch schleudern will. Für ihn gilt ohne jede kreative Ambiguität: Erst die Partei, dann das Land. Syriza hat seit der Wahl drei Stufen der Entwicklung durchlaufen: Von der Hybris zum Dilettantismus zur Verantwortungslosigkeit. Nur das Regieren hat sie dabei vergessen.
Den Preis zahlen erst einmal die Griechen.
Am 5. Juli sollen sie in einer perversen Abstimmung entscheiden, ob sie dem Hilfsprogramm der Eurogruppe zustimmen. Praktisch heißt das: Um im Euro zu bleiben, müssten sie „ja“ ankreuzen: „Ja“, kürzt meine Rente. „Ja“, verteuert meine Einkäufe. „Ja“, macht mir mein Leben vorerst noch schwerer. Mal ehrlich, wie würden Sie in der Wahlkabine abstimmen? Fürs große Ganze statt fürs kleine Konkrete? Das ist zu viel verlangt.
Die Griechen haben gedacht, durch Europa kommt man im Eurorail-Schlafwagen. Ich dachte das auch. Dass im Gepäckfach nicht nur Rechte, sondern auch Pflichten liegen, haben wir alle erst im Zuge der Eurokrise gemerkt, als der Koffer runterkrachte. Heute mutet die Idee einer Währungsunion mit eines Tages rund 30 Staaten verwegen, wenn nicht unmöglich an. Aber andererseits: Die Ukraine-Krise hat brutal gezeigt, dass Europa als Friedensprojekt seine Zukunft erst noch vor und keineswegs hinter sich hat. Ich habe oft an Europa, der EU, dem Euro gezweifelt. Aber eines weiß ich: Die Idee ist zu gut, um sie an Herrn Tsipras scheitern zu lassen.
Sie sollen ihren Schuldenschnitt bekommen
Keine Panik: Ein Grexit bedeutet nicht, dass die EU morgen auseinander fliegt oder der Euro kollabiert. Aber er beschädigt die Idee des gemeinsamen Europas. Und die EU wird ohne diese Idee nicht auskommen, jedenfalls nicht auf absehbare Zeit. Als reiner Interessenverbund, in dem die Teilnehmer kalkulieren, ob sich die Mitgliedschaft rechnet, wird sie nicht überleben.
Also geben wir Herrn Tsipras, was er haben will: den Schuldenschnitt.
Es ist ja nicht so, dass wir uns den nicht leisten könnten. Das Geld ist sowieso verloren. Die Weigerung, den Griechen die Schulden zu erlassen, hat mit der Sache selbst wenig zu tun. Sondern mit der Angst, dass sie zum alten Schlendrian zurückkehren. Mit der Sorge, einen Präzedenzfall zu schaffen. Mit Innenpolitik. Mit fehlendem Vertrauen.
Alle diese Gründe sind richtig und trotzdem falsch.
Gut, Tsipras wird erst einmal als Held dastehen und er wird im Glauben, nun endgültig am längeren Hebel zu sitzen, gegen Auflagen des Programms verstoßen. Sei's drum. Das hat sein Vorgänger auch getan – und wenn die Euro-Partner zu Samaras-Zeiten etwas großzügig gewesen wären, dann müssten sie sich heute vermutlich überhaupt nicht mit Syriza herumschlagen. Ob Griechenland nun ein oder zwei Prozent Primärüberschüss erzielt, ist ökonomisch doch völlig egal. Es ist eine pure Hilfskonstruktion, um Wohlverhalten zu erzwingen. Aber diese Konstruktion hat sich als untauglich erwiesen. Entscheidend ist, ob die Griechen den Kulturwandel wollen und schaffen: zu einer modernen verlässlichen Verwaltung, zu einem funktionierenden Steuersystem, einer innovativen Wirtschaft. Diese Veränderung lässt sich nicht mit Programmauflagen hinter der Kommastelle erzwingen. Die Chance dazu müssen sie und muss Europa bekommen.
PS: Syriza wird von selbst wieder verschwinden. Oder Europa wird die Rebellen im Laufe der Zeit sozialisieren.
Die Deutschen könnten sich durchsetzen
Dann ist da das Argument, dass sich Anti-Austeritäts-Parteien wie Podemos in Spanien von zu viel Milde den Griechen gegenüber ermutigt fühlen könnten. Ob das Hellas-Modell noch irgendjemand erstrebenswert erscheint, darf man allerdings bezweifeln. Ohnehin sind solche „Wehret-den-Anfängen“-Argumente immer sehr theoretisch und taugen wenig zur Lösung eines konkreten Falls. Entscheidend wird sein, dass Europa die Architektur eines Regelwerks für die Finanz- und Haushaltspolitik hinbekommt. Nicht, wie man mit dem Zwerg Griechenland umgeht.
Und schließlich die Innenpolitik. Ein Schuldenschnitt sei gar nicht nötig, argumentiert Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble. Schließlich sei die Zinsbelastung Griechenlands sehr niedrig. Das ist theoretisch richtig, praktisch aber völlig falsch. Einen Aufbruch oder auch nur die Rückkehr der Investoren wird es nicht geben, solange über den Griechen das Damoklesschwert der Überschuldung hängt.
Schäuble und Merkel verstecken sich hinter den europäischen Partnern und der Formel „18 gegen 1“. Ja, die Slowenen oder Bulgaren lehnen verständlicherweise Extrawürste für Athen ab. Aber jeder weiß, dass die Deutschen sich durchsetzen könnten, wenn sie wollten. Und genauso könnte Merkel sich im Bundestag durchsetzen, wenn sie das in vielen Jahren angesammelte politische Kapital dafür einsetzen würde. Sie muss es nur wollen.
Niemand außer Schäuble selbst weiß, wie weit sein Konfrontationskurs in den letzten Monaten von grundsätzlichen Erwägungen und wie weit von Ärger über das Auftreten der Griechen in Brüssel bestimmt war. In den vergangenen Wochen hatte man oft den Eindruck, dass es ihm auch darum geht, dem Kollegen Varoufakis eine Lektion zu erteilen.
Aber dafür steht zu viel auf dem Spiel. Und darum: Der Stärkere gibt besser nach.
Anmerkung der Redaktion: In einer früheren Version dieses Kommentars hieß es, dass Griechenland von einer "Gruppe durchgedrehter Autisten" regiert werde. Es war nicht unsere Absicht autistische Menschen herabzuwürdigen. Sollte dieser Eindruck enstanden sein, bitten wir um Entschuldigung. Wir haben die Formulierung geändert.