Eigentlich wusste Daniel Wiegand genau, worauf es ankommen würde. 2017, als Capital den Gründer des Flugtaxi-Start-ups Lilium in die Riege der Top 40 unter 40 aufnahm, sagte Wiegand im Interview über sein mutiges Unterfangen, ein komplett neues Fluggerät zu bauen: Es gehe darum, „viele weitere kleine Bausteine zu legen, dazu braucht es tolle Leute, gutes Engineering und zwei Füße auf dem Boden“.
Die Bodenhaftung, so scheint es, ist dem Lilium-Gründer irgendwann unterwegs verloren gegangen. Am Mittwoch hat sein inzwischen börsennotiertes Unternehmen bekannt gegeben, dass der 36-jährige Gründer den CEO-Posten an einen Industrieveteranen mit 30 Jahre Erfahrung bei Airbus abgeben und in den Verwaltungsrat wechseln wird.
In der offiziellen Mitteilung wird der Schritt damit begründet, dass der neue Chef Klaus Loewe die nächste Phase der Unternehmung Lilium „beschleunigen“ könne. In Wahrheit ist er aber auch ein Eingeständnis, dass es nicht rund läuft bei dem Münchner Hoffnungsträger, weil die Entwicklung nicht vorankommt wie geplant, weil Launchdaten verschoben werden müssen und der Aktienkurs kolossal eingebrochen ist. Das Vertrauen der Investoren ist mindestens angeknackst.
Woran das liegt? Es hat auch damit zu tun, dass Wiegand und Lilium seit Jahren ein Erwartungsmanagement betreiben, dass mit spektakulären Ankündigungen arbeitet, mit perfekt produzierten Videos, immer neuen Designs und Renderings eines Fliegers, der vor der Kulisse New Yorks zu schweben scheint, obwohl er in Wirklichkeit nicht über die Grenzen des Flughafens Oberpfaffenhofens hinaus gekommen ist. Da wurde schon detailliert ausgearbeitet, wie Lilium Mitte der 2020er-Jahre als Mobilitätsdienstleister und Betreiber von Flugrouten operieren würde, es wurde suggeriert, man würde die Reichweite, die Höchstgeschwindigkeit, ja selbst die Kosten, die Passagiere pro Flugkilometer einmal zahlen werden, schon jetzt exakt kennen.
Ein Stück weit gehört das natürlich dazu – wenn man als visionärer Gründer wahrgenommen werden will, der ein Produkt vermarktet, das es noch gibt, für einen Markt, der so noch nicht existiert. Aber man kann es eben auch übertreiben. Und das ist hier passiert.
Der Lilium-Jet soll erst 2025 auf den Markt kommen
Mit dem Börsengang via Spac im vergangenen Herbst wurde dieses Muster auf die Spitze getrieben. Anlegern wurden in der Börsenpräsentation vollmundige Ziele und ein steiles Wachstum in Aussicht gestellt, von 246 Mio. Dollar Umsatz 2024 auf 5,7 Mrd. Dollar Umsatz drei Jahre später.
Inzwischen steht aber schon fest, dass 2024 überhaupt kein Flugzeug auf den Markt kommen wird – der Start wurde auf das Jahr 2025 verschoben, die Information dazu in einem Blogbeitrag versteckt, wie die „Welt am Sonntag“ im April kritisierte: „Weder in dem Ende Februar veröffentlichten Aktionärsbrief noch bei einem Pressegespräch hatte das Management zuvor die Möglichkeit einer Verschiebung erkennen lassen.“
Wer hohe Erwartungen schürt, der wird daran gemessen, der muss irgendwann auch liefern. Sonst geht Vertrauen verloren – und das spiegelt in diesem Fall der Kurs der Lilium-Aktie wider: Von 10,78 Dollar kurz nach dem Listing im September 2021 ist er inzwischen auf 2,66 Dollar eingebrochen.
Vielleicht ging es nicht anders, möglicherweise war der Spac-Börsengang die einzige Möglichkeit, den immensen Kapitalbedarf der Unternehmung zu stillen. Aber er hat der Firma nicht gut getan und sie noch weiter entfernt von der Bodenhaftung, die Wiegand seinem Start-up einst empfohlen hat.
Bei Lilium ist jetzt eine Riege älterer Manager am Ruder, keiner der Gründer mischt mehr in der ersten Reihe mit. Auf diese Truppe kommt nun die große Aufgabe zu, das Vertrauen der Investoren zurückzugewinnen – und vor allem im Zeitplan einen Flieger an den Start zu bringen, der die hohen Erwartungen erfüllt. Ihnen mag die Vision oder der Drang der Gründer fehlen. Vielleicht braucht es jetzt aber etwas anderes: Erfahrung, Know-how – und Bodenhaftung.