Eigentlich müsste CDU-Mann Boris Rhein Nancy Faeser eine Dankeskarte schreiben. Denn die Bundesinnenministerin, die den hessischen Ministerpräsidenten ablösen wollte, hat sich als eine seiner größten Wahlhelferinnen entpuppt. 72.000 Menschen in Hessen, die beim letzten Mal ihr Kreuz bei der SPD gemacht hatten, wanderten laut Umfragen diesmal zur CDU, mehr als zu jeder anderen Partei.
Die 53-jährige Sozialdemokratin ist seit Sonntag das Gesicht der Niederlage ihrer Partei, ja, der ganzen Ampel. Der Kanzler machte die bis dahin weitgehend unbekannte hessische SPD-Vorsitzende 2021 zur Bundesinnenministerin, um sie für die Hessen-Wahl bekannt zu machen. Wenn Faeser nun mit historisch schlechtem Ergebnis lädiert nach Berlin zurückkehrt, ist das auch eine Niederlage für den Bundeskanzler.
Dass es seinen Koalitionspartnern nicht besser geht? Ist nur ein schwacher Trost. Die Grünen büßten sowohl in Hessen als auch in Bayern Stimmen ein. Die FDP flog in Bayern aus dem Landtag und musste in Hessen am Sonntagabend um ihren Verbleib zittern.
Beide stecken in einem besonderen Dilemma.
Ein Weiter-so führt in den Abgrund
Wie sie es machen, sie machen es falsch – so die Botschaft der Landtagswahlen. In Hessen reagieren die Grünen geschmeidig und geräuscharm mit den Konservativen. In Bayern forderten sie den konservativen Ministerpräsidenten heraus. Genützt hat es in beiden Fällen nichts.
Die FDP startete als kooperativer Ampelpartner von SPD und Grünen. Nachdem sie mit diesem Kurs mehrere Landtagswahlen verlor, wandelte sie sich zu einer innerkoalitionären Opposition. Ob beim Heizungsgesetz oder bei der Kindergrundsicherung, die FDP hielt dagegen. Es hat sich für sie nicht ausgezahlt.
„Wenn alle Parteien der Ampel verlieren, liegt da eine Botschaft nach Berlin drin“, räumte SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert am Wahlabend in der ARD ein. Nur welche?
Wohl vor allem die, dass ein „Weiter-so“ in den politischen Abgrund führt. Der ständige Streit der Ampel, katastrophal kommunizierte Gesetzesvorhaben und ein mangelndes Gespür für das, was die Menschen umtreibt, haben einen Höhenflug der AfD ausgelöst.
Die Regierung verliert das Vertrauen der Menschen
Die Stimmung ist mies, obwohl die Regierung viele ihrer Versprechen aus dem Koalitionsvertrag umgesetzt hat und die wirtschaftliche Lage trotz Inflation und Energiekrise nicht so schlimm ist, wie sie sein könnte. Es nützt nichts. Die Regierung verliert immer mehr das Vertrauen der Menschen, sie könne die Probleme des Landes lösen. 53 Prozent der Befragten in Hessen und Bayern sagten laut Umfragen, die Landtagswahlen seien „eine gute Gelegenheit, der Ampel einen Denkzettel zu verpassen“.
Die Opposition jubelt. „Selten hat eine Bundesregierung eine so umfassende Klatsche bekommen wie die Parteien der Ampel heute“, schrieb der CDU-Politiker Jens Spahn auf dem Kurznachrichtendienst X, ehemals Twitter: „Die Scholz-Politik hat keine Mehrheit in Deutschland“. Das mag nach Parteigetöse klingen, ist aber rein rechnerisch zutreffend. In den derzeitigen Sonntagsfragen kommen SPD, Grüne und FDP auf keine Mehrheit mehr.
Auch bei den Koalitionären ist inzwischen Nachdenklichkeit ausgebrochen. „Grausame Zahlen in Bayern+Hessen“, postete der SPD-Abgeordnete Ralf Stegner am Sonntagabend auf X. Die Parteien der Ampel würden „für öffentliche Streiterei abgestraft“, so seine Analyse. Er empfiehlt den eigenen Leuten: „Regieren in extrem schwieriger Zeit verlangt vernünftige Politik - die gibt es - aber eben auch professionelle Außendarstellung+Kommunikation.“
Mit besserer PR allein dürfte es kaum getan sein, womöglich wird sie auch nie kommen. Nötig ist eigentlich eine andere Migrationspolitik. Aber schon kündigt das Auswärtige Amt an, dass die Seenotrettung vor Italiens Küste selbstverständlich weiter finanziert wird. Und dies nur einen Tag, nachdem der Kanzler in einem Vier-Augen-Gespräch mit Italiens Premierministerin Giorgia Meloni am Rande eines EU-Treffens in Granada hatte anklingen lassen, dass er die Kritik an der deutschen Finanzierung verstehen könne und man einen gemeinsamen Weg finden werde.
Auch um andere Themen wird sich die Ampel weiter streiten. Um Entlastungen, um die Wirtschaft, um Waffenlieferungen. Die Liste an Möglichkeiten ist lang.
Wo ist die Demut?
Gefragt wäre nun eine sichtbar starke Führung. Ein Zeichen von Scholz, dass er die Warnsignale aus Bayern und Hessen verstanden hat. Ein bisschen Demut, ein Sorry, ein: Wir wollen besser werden, auch ich persönlich. Doch Scholz wird bei Druck von außen nicht nur besonders störrisch. Er ist auch überzeugt, dass der bisherige Kurs der Ampel der Richtige ist, von Abzügen in der B-Note wie bei der Kommunikation des Heizungsgesetzes vielleicht einmal abgesehen. Der Kanzler ist sich sicher, dass das Festhalten an der bisherigen Strategie am Ende bewähren wird. So wie damals, 2021, als er entgegen aller Prognosen Kanzler wurde.
Doch die Landtagswahlen im kommenden Jahr in Ostdeutschland könnten zur Lehre werden, dass er diesmal irrt.
Der Kommentar ist zuerst bei stern.de erschienen