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Lieferengpässe Kommt es durch die Kälte erneut zu einem Gasmangel?

Frierende Frau
Wird die Wohnung noch richtig warm?
© photothek / IMAGO
Bei den aktuellen Temperaturen stellen viele Menschen die Heizung wieder hoch. Das wirkt sich auch auf die Gasreserven aus. Aber es gibt noch ein weiteres Problem

Vor allem Süddeutschland versinkt im Schnee. Im Bayerischen Wald wurden in der Nacht minus 24 Grad gemessen, in den Münchner Außenbezirken minus 18 Grad, etwa am Flughafen. So kalt war es dort im gesamten vergangenen Winter nicht, und die Kälte hält vorerst an. Besteht neben der akuten Glatteisgefahr nun auch wieder das Risiko eines Gasmangels? Sowohl Meteorologen als auch Speicherbetreiber geben vorerst Entwarnung - aber nur, wenn die Verbraucher weiter fleißig sparen. Auch ein weiteres Risiko ist nicht gebannt.

„Die tiefen Temperaturen in den letzten Tagen haben zu einem deutlichen Anstieg der täglichen Gasverbräuche in Deutschland geführt“, berichtet Sebastian Heinermann auf ntv.de-Anfrage. Der Geschäftsführer der Initiative Energien Speichern (INES), ein Zusammenschluss von Betreibern deutscher Gas- und Wasserstoffspeicher, erklärt, an den betroffenen Tagen habe Deutschland kaum noch Gas exportiert. Auch der Import aus anderen Ländern ging demnach deutlich zurück, weil deren Verbrauch ebenfalls stieg. Deutschland bezieht den Großteil seiner Gasimporte inzwischen aus Norwegen, den Niederlanden und Belgien.

Um die hohe Nachfrage zu stillen, wurden laut Heinermann große Mengen aus Deutschlands Gasspeichern entnommen; am 30. November deckten diese bereits fast die Hälfte des Verbrauchs. Die Kunden sparten jedoch weiterhin, und der November sei relativ mild gewesen. Für den Rest des Winters blicken die Speicher-Betreiber deshalb optimistisch auf die Gasversorgung.

Ein sehr kalter Winter würde den Gasverbrauch so stark ansteigen lassen, dass laut der Bundesnetzagentur ein Mangel drohen würde. Trotz der arktischen Kälte ist dieses Risiko derzeit nicht groß, wie ntv-Meteorologe Björn Alexander erklärt. Zwar könnte der Dezember Langfristprognosen zufolge etwas zu kalt im Vergleich zum langjährigen Mittelwert werden. Allerdings dürfte der Februar eher zu mild werden. Beim Januar gehen die Vorhersagen auseinander, doch „in Summe erwartet uns demnach ein eher zu milder Winter“, sagt Björn Alexander. Auch wenn dieser „durchaus Potenzial für eiskalte Abschnitte“ habe, vor allem im Dezember und Januar.

Gasverbrauch ist kritisch

Die Bundesnetzagentur bewertet die Temperaturprognose aktuell als kritisch, weil das Thermometer Werte deutlich unter dem Durchschnitt der vergangenen fünf Jahre anzeigt. Selbst temperaturbereinigt stuft die Behörde den Gasverbrauch als kritisch ein. Denn im Vergleich zu den Jahren vor dem Ukraine-Krieg werden weniger als zehn Prozent eingespart. Eine stabile Lage sehen die Experten erst bei temperaturbereinigten Einsparungen von mehr als 20 Prozent. Angesichts der gut gefüllten Speicher gilt die Gasversorgung trotzdem noch als stabil.

Neben den nötigen Einsparungen der Verbraucher bleibt jedoch ein weiteres Gefahrenpotenzial: der Ausfall von Lieferungen, sowohl nach Deutschland als auch in andere Länder. Deutschland müsste Südosteuropa mitversorgen, falls Russland seine verbleibenden Lieferungen dorthin stoppen würde.

RWE-Chef Markus Krebber warnt aktuell vor solchen Lieferengpässen. Um auf Ausfälle von Pipelines oder Importterminals vorbereitet zu sein, müsse Europa seine Importkapazitäten erhöhen, fordert der Kraftwerksbetreiber in der „Financial Times“. Für Deutschland hatte er bereits zuvor vor Versorgungsrisiken gewarnt. Deutschland fehle es an notwendigen Reserven, sagte Krebber der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“.

LNG-Überkapazitäten für den Notfall

Besonders problematisch wäre ein längerfristiger Ausfall der wichtigen Erdgaslieferungen aus Norwegen, etwa durch einen Sabotageakt gegen Pipelines, so der Chef des größten deutschen Stromerzeugers. „Dann hätten wir wieder viel höhere Gaspreise und wahrscheinlich auch Knappheitsprobleme in der Versorgung.“ Denn die reine Speichermenge genügt lediglich für gut zwei Wintermonate, daneben seien konstante Lieferungen nötig. RWE speichert und handelt auch mit Gas.

Zumindest für dieses Jahr teilt Gasmarkt-Experte Sebastian Gulbis die Einschätzung des RWE-Chefs, dass mehr LNG-Kapazitäten wünschenswert wären. „Aktuell reichen sie nicht für die Kompensation von russischem Gas“, stellt der Partner beim Energieberatungsunternehmen Enervis im Gespräch mit ntv.de klar. Allerdings seien bis 2026 weitere Importmöglichkeiten für Flüssiggas geplant, sowohl in Polen, Belgien und den Niederlanden als auch in Deutschland. „Aktuell ist die Versorgung auf Kante genäht, aber das wird sich Richtung 2026 entspannen“, prognostiziert Gulbis.

„Wohnung nicht auf 23 Grad heizen“

Dann müsse geprüft werden, wie nachhaltig die Kunden sparen und inwiefern weitere Importkapazitäten notwendig seien. Eine gewisse Überkapazität hält auch der Marktexperte für nötig, um für einen Lieferausfall gewappnet zu sein. Gulbis empfiehlt, den Ausfall der größten Infrastruktur einzukalkulieren. In Deutschland wären das die Pipelines, die norwegisches Gas nach Deutschland leiten.

Das kurzfristige Einsparpotenzial hält er in der Industrie für ausgeschöpft. Dass der Gasverbrauch zuletzt im Vergleich zum Vorjahr stieg, führt der Marktexperte nicht nur auf die niedrigeren Temperaturen zurück, sondern auch auf die aktuell vergleichsweise günstigen Tarife. Er befürchtet, dass Verbraucher das Risiko eines Gasmangels aus dem Blick verloren haben, und rät zur Sparsamkeit: „Bevor es doch noch zu Zwangsabschaltungen kommt, sollten wir unsere Wohnungen nicht auf 23 Grad heizen.“

Zuerst erschienen bei ntv.de

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