Der Wettlauf gegen die Zeit und den neuen Feind der Menschheit hat begonnen. Bis einer oder mehrere Impfstoffe gegen Covid-19 großflächig auf den Markt kommen, kann es wegen der hohen Zulassungshürden bis zu 18 Monate dauern. Amerikas Chef-Immunologe und Trump-Berater Anthony Fauci hält es jedoch für möglich, früher zu großflächigen Impfungen zu kommen als erwartet. Wenn das Virus sich weit genug während der Sommer- und Herbstmonate verbreite, könnten größere Studien womöglich etwas früher abgeschlossen werden, als in den 12 bis 18 Monaten, die er bislang vorausgesagt hatte.
Die erste Erprobung eines Impfstoffs startete nur 60 Tage, nachdem China die genetischen Informationen des Virus zur Verfügung gestellt hatte. „Eine unglaubliche Leistung“, wie der Chef der Weltgesundheitsorganisation (WHO) Tedros Adhanom Ghebreyesus sagte.
Inzwischen sind weltweit mehr als 40 Projekte zur Entwicklung von Wirkstoffen, die Menschen gegen das hochansteckende Coronavirus SARS-CoV-2 immunisieren sollen, angelaufen. Pharmafirmen und Biotech-Unternehmen kooperieren stellenweise sogar mit Wettbewerbern und mit wissenschaftlichen Instituten über Landesgrenzen hinweg. Die WHO führt eine „Shortlist“ und koordiniert die Fortschritte in einem „Solidarity Trial“.
Drei Testserien mit menschlichen Probanden
Die ersten drei klinischen Erprobungen am Menschen haben in den USA und China begonnen. Andere sollen in den nächsten Wochen und Monaten folgen. Sechs Etappen muss jedes Impfstoffprojekt durchlaufen, von der Analyse des Virus über das Design, die Erprobung an Tieren auf Wirkung und Verträglichkeit, die Erprobung an Freiwilligen in klinischen Studien, bis hin zur sicheren Zulassung und schließlich der Massenproduktion.
Mehrere dieser Projekte werden von der internationalen Impfinitiative CEPI, einer öffentlich-privaten Partnerschaft, finanziell unterstützt. Daran beteiligt sich auch die Bundesregierung. CEPI hat sechs Firmen mit der Entwicklung eines Serums beauftragt. Die Bill und Melinda Gates-Stiftung unterstützt, oder hoffen – wie in Europa – auf Hilfen aus den Forschungstöpfen der EU. Bill Gates hat angekündigt, die Stiftung wolle sieben der Erfolg versprechendsten Impfansätze Fabriken finanzieren.
In der Geschichte der Virenbekämpfung schafft es normalerweise nur jeder zehnte experimentelle Wirkstoff durch alle Stufen der Zulassung. Je mehr Forscher daran teilnehmen, desto höher sind die Chancen auf eine gute Trefferquote. Die Welt braucht mehr als einen Impfstoff. Und gerade jüngere Biotech-Firmen, die seit Jahren vor sich hinforschen, erhoffen sich jetzt einen Durchbruch mit neuen DNA-basierten Technologien, die schnell in vielen Injektionsdosen produziert werden zu könnten.
Dies sind einige der Pharma- und Biotechnologiefirmen im Rennen um einen Impfstoff gegen Covid-19:
Diese Firmen erforschen einen Corona-Impfstoff
Das US-Biotechunternehmen Moderna von Stefane Bancel (im Bild links im Weißen Haus) ist am weitesten fortgeschritten. Bereits Mitte März wurden in Seattle die ersten Probanden mit dem Impfstoffkandidaten mRNA-1273 behandelt. Dabei arbeitet Moderna mit – auch finanzieller –Unterstützung des Forschungsinstituts NIAID, das dem US-Gesundheitsministerium untersteht. 45 gesunde Erwachsene zwischen 18 und 55 Jahren nehmen an der Studie teil. Sie werden im Abstand von 28 Tagen mit einem RNA-basierten Impfstoff injiziert. Der Versuch findet am Kaiser Permanente Washington Health Research Institute (KPWHRI) statt. Das Team der Nasdaq-gelisteten Moderna greift auf Forschungserfahrung für ein ähnliches Coronavirus zurück und konnte daher rasch einen Wirkstoffkandidaten identifizieren.
Inovio Pharmaceuticals Inc. haben im April erste klinische Phase-1-Tests an 40 gesunden Freiwilligen begonnen. Das Unternehmen erhielt im Januar einen Zuschuss von 9 Mio. Dollar von CEPI zur vorklinischen und klinischen Entwicklung des Wirkstoffkandidaten gegen Covid-19 in den USA. In Kooperation mit der Pekinger Advaccine Biotechnolgogy Co. soll auch in China damit getestet werden. Das Unternehmen aus Plymouth Meeting (Philadelphia) wird auch von der Bill und Melinda Gates-Stiftung gefördert, damit Impfeinheiten für die Verabreichung über die Haut bis Ende 2020 in großer Zahl hergestellt werden könnten.
Für die Staatsfirma Sinopharm wurden zwei Kandidaten für die klinische Phase-1-Erprobung freigegeben. Die Seren wurden vom Institut für Biologische Produkte unter der Führung von Sinopharm (China National Pharmaceutical Group) und dem Forschungsinstitut Sinovac in Peking entwickelt. Für die ersten Studien wurden 50.00 Dosen hergestellt. In der „Global Times“ wird suggeriert, es handele sich um die ersten Tests am Menschen. Tatsächlich hatten US-Forscher aber die Nase vorn. Und auch in China war die CanSino Biologics aus Tianjin schneller. Ihre Forscher kündigten an, in Kürze die Phase-2-Erprobung zu starten.
Das Mainzer Biotech-Unternehmen BioNTech hat seine Corona-Allianz mit Pfizer ausgeweitet. Bis Ende des Jahres wollen sie Kapazitäten für Millionen an Impfstoffdosen für den europäischen und den amerikanischen Markt aufbauen. Der US-Pharmariese beteiligt sich an BioNTech und stellt mehrere hundert Millionen Euro Investitionen für Entwicklung und Vermarktung außerhalb Chinas in Aussicht. Für die Volksrepublik hatte BioNTech zuvor eine Kooperation mit Fosun Pharma angekündigt. „Das ist eine weltweite Pandemie, die weltweite Anstrengungen erfordert“, sagte BioNTech-Vorstandschef Ugur Sahin. Der potenzielle RNA-basierte Corona-Impfstoff soll im April in ersten klinischen Studien erprobt werden.
Der Tübinger Rivale CureVac forscht seit Januar an einem Impfstoff gegen das Coroanvirus. Im Frühsommer, spätestens im Juli, soll eine klinische Studie mit rund 100 Personen starten. Erste Ergebnisse werden ein paar Wochen später erwartet. Sollten diese positiv sein, soll die nächste klinische Studie mit ein paar Tausend Versuchsteilnehmern folgen. Landesvater Winfried Kretschmann (Grüne) setzt darauf, dass ein Wirkstoff im Herbst verfügbar sein wird. Die an der Technologiebörse Nasdaq gelisteten Entwickler mit Hauptaktionär Dietmar Hopp waren kurzzeitig Ziel eines Übernahmeversuchs durch die US-Regierung. CureVac erhält Mittel aus der internationalen Impfinitiative Cepi, die sechs Firmen mit der Entwicklung eines Serums gegen das Coronavirus beauftragt hat, und von der EU-Kommission.
Der CEO der US-Firma Novavax, Stanley Erck, bei einem Treffen der Coronavirus Task Force, zu dem Präsident Donald Trump eingeladen hat. Die Firma aus dem Bundesstaat Maryland hat für Mitte Mai den Beginn einer Phase-1-Testreihe für einen SARS-CoV-2 Impfstoffkandidaten in Australien angekündigt. Es wäre die dritte Testreihe am Menschen. Novavax verhandelt mit CEPI um für mehr finanzielle Unterstützung nach einer ersten Zuwendung von 4 Mio. Dollar für vorklinische Studien mit Virusproteinen. Das Biotech-Unternehmen aus Gaithersburg erprobt seit Januar Kandidaten in Studien mit Tieren.
GeoVax hat bislang drei Wirkstoffkandidaten identifiziert, äußert sich derzeit aber nicht über Testphasen. Das Biotech-Unternehmen aus dem US-Bundesstaat Atlanta hat Erfahrung in der Entwicklung von Impfstoffen gegen das tödliche Ebola-Virus in Afrika, gegen das Zika-Virus 2015-16 und gegen HIV. Im Wettlauf um eine Immunisierung gegen Covid-19 kooperiert GeoVax mit dem chinesischen Partner BravoVax in der Stadt Wuhan, von wo das neuartige Virus seine Ausbreitung begann, und mit potenziellen Herstellern für die Massenfertigung.
GlaxoSmithKline (GSK) bringt seine Technologie für Impfstoffe in Projekte für einen SARS-CoV-2-Impfstoff ein und gab jüngst eine Kooperation mit dem Wettbewerber Sanofi bekannt. Gemeinsam wolle man innovative Technologien beider Konzerne gegen das Virus in Stellung bringen. Phase-2-Tests an Menschen soll demnach in der zweiten Jahreshälfte 2020 beginnen. GSK kooperiert auch mit dem chinesischen Impfstoff-Entwickler Clover Biopharmaceuticals, der ausgewählte gentechnisch hergestellte Covid-19-Proteine zur Verfügung stellt. Die hindern das Virus daran, in Zellen einzudringen.
Die Impfstoffdivision Sanofi Pasteur kooperiert mit der staatlichen amerikanischen Organisation BARDA (Biomedical Advanced Research and Development Authority), um mit Hilfe der unternehmenseigenen Technologieplattform für DNA einen Covid-19-Impfstoff zu entwickeln. Das Projekt knüpft an frühere Forschungen für einen Wirkstoff gegen die SARS-Epidemie an. Sanofi kooperiert auch mit der US-Firma Translate Bio und Protein Sciences zusammen, um Impfstoffkandidaten zu entwickeln.
Im indischen Bundesstaat Maharashtra ist das Serum Institute of India (SII) mit zwei Impfstoffkandidaten im Rennen. Derzeit laufen Tierversuche an Mäusen und Affen, die klinische Erprobung am Menschen solle im September/Oktober beginnen, sagte CEO Adar Poonawalla der indischen „Fortune“. Er rechnet mit einer Vermarktung im ersten Quartal 2022. Das SSI arbeitet mit der amerikanischen Biotech-Company Codagenix und mit Novavax zusammen. SII ist nach eigenen Angaben der weltgrößte Impfstoffproduzent gemessen an der Zahl der weltweit verkauften 1,5 Milliarden Einheiten.
Am staatlich finanzierten israelischen Galilee Research Institute haben die Wissenschaftler von Migal im März einen „Durchbruch“ und einen Impfstoff „in einigen Wochen“ angekündigt. Der Covid-19-Kandidat beruht auf einem zuvor entwickelten Impfstoff gegen ein genetisch sehr ähnliches Coronavirus aus, das Geflügel befällt. Deshalb wird mit einer kurzen Erprobungsphase gerechnet.
In Russland hat das Vector Institute in Siberien damit begonnen, eine Gruppe von 60 Freiwilligen für die erste Testphase eines Kandidaten im Juni zusammenzustellen. Auch der führende Entwickler will laut „Russia Today“ teilnehmen. Nach der Erstellung von Prototypen läuft derzeit die Erprobung eines potenziellen Wirkstoffs gegen Covid-19 an Mäusen und Ratten. Die Zwischenergebnisse werden vor den Phase-1-Tests erwartet. Das staatliche Forschungsinstitut in Novosibirsk hatte zuvor an einem Impfstoff gegen Ebola gearbeitet.