Jeder Politiker, der in Zukunft eine Rede über Innovation plant (oder sie tatsächlich fördern möchte), sollte sich noch mal die Rede anschauen, die Benjamin Netanjahu in diesem Jahr in Davos gehalten hat. Israels Ministerpräsident hat auf dem Weltwirtschaftsforum innerhalb weniger Minuten ein Energiefeld erzeugt, wie ich es in dieser Intensität lange von keinem Politiker mehr erlebt habe.
Eines vorweg geschickt: In Davos sprechen ja viele Staatschefs, Minister und Regierungschefs, und die Mehrheit gibt leider das übliche Redenschreiber-Blabla von sich. Viele schöne Worte über Nachhaltigkeit, Frieden, Globalisierung, Freiheit, Gerechtigkeit, und, ja, auch Innovation. Eine solche Rede hat etwa am Donnerstag Tony Abbot gehalten, Australiens Premier, der derzeit die G20 anführt. Das war aus dem Baukasten der Wir-müssen-die-Welt-irgendwie-in-den-Griff-bekommen-Reden. Da wird wenig gesagt und bleibt wenig hängen.
Nun zu Netanjahu: Davos wird ja auch gerne als Forum benutzt, den Frieden zwischen Israelis und Palästinenser zu beschwören; als ich 2007 erstmals in Davos war, gab es auch solche Reden, und tatsächlich magische Momente, in denen Politiker ihren Panzer ablegen. Netanjahu hat in diesem Jahr in seiner Rede nur über Israels Wirtschaft gesprochen (zu Iran kam er erst in der Fragerunde). Sein Land sei eine „Innovationsnation“, und wer diesen Begriff wie er auf Englisch ausspricht, hört gleich, wie wunderbar sich dieses Wort anhört. Israel, so Netanjahu, sei ein Land, in dem Tausende Unternehmen aus dem Boden schießen, ein Land, das Nährboden sein will für Ideen und Innovation.
Ein Land, das gut gemanaged ist
Diese Sicht auf Israel ist nicht ganz neu und auch schon hier und da erzählt worden (und irgendwie wollen ja alle Länder so sein oder geben sich so, ohne es zu sein). Doch Netanjahu vermittelte ein Gefühl und gab einige interessante Einblicke, wie Israel das geschafft hat.
Er begann mit einer Anekdote aus seiner Zeit in der Armee, wo bei einer Übung jeder Soldat einen anderen schultern und loslaufen musste. Ein recht schmächtiger Soldat, so erzählte er, sei unter der schweren Last eines eher korpulenten Kameraden zusammengebrochen. Der stärkste und größte Soldat sei einfach losgelaufen. So sei es auch mit dem privaten und dem öffentlichen Sektor, wobei letzterer auf den Schultern säße – ist er zu groß, bricht alles zusammen. Was also brauchte der schwache Soldat als erstes? Sauerstoff. Luft zum Atmen. Im Leben eines Staates hieße das zum Beispiel: Steuern senken.
Was muss ein Land tun, beziehungsweise was hat Israel getan? „Sie kommen in ein Land, das gut gemanaged ist“, rief Netanjahu, der fast frei sprach, den Wirtschaftsführen zu. „Tausende Unternehmen werden von allein gegründet und abheben, wenn ein Staat nur die richtigen Prinzipien hat.“ Fünf Ursachen nannte der Premier für den Erfolg seines Landes. Erstens, die Tradition der nationalen Verteidigung. Die Armee produziere wie eine Maschine „knowledge workers“, die nach dem dreijährigen Dienst hervorragend ausgebildet seien. Zweitens, die exzellente Forschung, sein Land gebe rund fünf Prozent seiner Wirtschaftsleistung für Forschung und Entwicklung aus. Drittens, die spezielle Kultur; die Juden hätten seit Alters her nach Wissen gestrebt und es als Schatz betrachtet. Viertens: Größe. „Wir sind klein. Sehr klein sogar.“ Alles sei nah beieinander, konzentriert.
Und fünftens: „Wir haben keine andere Wahl. Um zu überleben, mussten wir erfinden und innovativ sein.“ Israel habe begrenzte Ressourcen, sei ständig bedroht. Aus diesen fünf Faktoren sei das „besondere Innovationssystem“ entstanden. Zum Beispiel beim Wasser. Kein Land sei so produktiv darin, Wasser zu recyceln. Oder bei den Kühen: Keine Kuh gebe mehr Milch auf der Welt als eine israelische Kuh. „Sie sind praktisch computerisiert!“, rief der Premier.
Warum reden unsere Politiker nicht so?
Sofort stellt sich natürlich die Frage, ob das Modell Israels überhaupt übertragbar ist. Ist die Lage dieses Landes, das praktisch zu Innovation verdammt ist, nicht sehr speziell?
Nicht unbedingt. Auch Deutschland ist arm an Ressourcen, ist eher klein, muss auf seine besten Köpfe setzen. Warum also reden unsere Politiker nicht so? Warum klingt das Wort „Innovation“ aus ihrem Mund so oft wie eine Verordnung?
Ich kenne Israel nicht, aber es beginnt offenbar im Kopf, bevor dann tatsächlich Taten folgen, es geht um eine Einstellung, die sich Unternehmen öffnet, die sie um jeden Preis fördern will, anstatt sie zu regulieren oder mit Auflagen zu überziehen. Man könnte auch sagen: Es geht um Esprit. Politiker müssen einen Geist schaffen, in dem andere schaffen können. Auf bürokratisch nennt man das: Innovationsklima. Das heißt nicht, dass nun Tausende Entrepeneure zur Bundeswehr sollen, Gott bewahre – da endet die Übertragbarkeit. Doch auch Deutschland, das ja immer ein „Land der Ideen“ sein wollte, könnte seine eigenen Prinzipien entwickeln.
Von Israel lernen
Am Abend vor Netanjahus Rede hatte ich durch Zufall einen israelischen Unternehmer kennengelernt: Or Offer, CEO und Mitgründer von SimilarGroup, einem kleinen IT-Dienstleister in Tel Aviv, der für Unternehmen Daten auswertet. „Die Stimmung ist unglaublich bei uns“, sagte Offer. Es herrsche so viel Aufbruch und Unternehmergeist. „Sie müssen sich das unbedingt anschauen und erleben!“ In der Tat steht Israels Wirtschaft derzeit gut da, die Arbeitslosenquote ist seit 2003 von 13,4 Prozent auf rund sieben Prozent gesunken, die Wirtschaft ist seit 2010 zwischen drei und fünf Prozent gewachsen.
„Please come and join us“, rief Netanjahu am Ende seiner Rede und öffnete die Arme, und tatsächlich hatte man sofort Lust in dieses Land zu gehen und ein Unternehmen zu gründen. Ob Sigmar Gabriel so etwas auch hinbekommt?
Vielleicht sollte sich unsere neue Regierung, die vornehmlich mit monströsen Rentenplänen und anderen Ideen, wie man die Wirtschaft etwas drosseln kann, beschäftigt ist, bei der nächsten Reise nach Israel etwas von diesem Geist abschauen – und mit nach Hause nehmen.