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Intellektuelle und der Krieg Die Kriegsumtriebigen

Alice Schwarzer, hier im März in Bonn, initiierte einen Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz
Alice Schwarzer, hier im März in Bonn, initiierte einen Offenen Brief an Bundeskanzler Scholz
© IMAGO / Marc John
Intellektuelle fordern einen „Kompromiss“ mit Putin. Ihre Denkweise scheint mehr als naiv. Es geht nur noch darum, die Russen so weit wie möglich zu schwächen

Jede Krise, die uns in den vergangenen Jahren überrollt oder erschüttert hat, brachte eine neue Form und Gruppe der Gegnerschaft hervor. Die Schuldenkrise ab 2010 bescherte uns die „Euro-Kritiker“; die Flüchtlingskrise ab 2015 gebar die „Flüchtlingsgegner“; und im Gefolge der Pandemie traten die „Corona-Leugner“ auf.

Ich habe mich nach Kriegsausbruch gefragt, ob es inzwischen Menschen mit multiplen Gegnerschaften gibt, mithin eurokritische, ungeimpfte Ausländerfeinde, die nun fieberhaft überlegen, wogegen man bei einem Angriffskrieg, der Züge eines Vernichtungskrieges trägt, noch so sein kann.

Widerstand war nur eine Frage der Zeit, und ich spreche nicht von der desavouierten Gruppe der „Russlandversteher“, die noch die Wunden ihrer Irrtümer lecken. Das Wort „Kriegsgegner“ hat diesmal eine komplizierte Bedeutung – denn natürlich sind alle, die ganz bei Trost sind, hierzulande gegen diesen Krieg, den Russland ja nicht einmal so nennt. Wir ringen darum, wie wir uns zu dem Krieg verhalten: eingreifen, ohne uns zu sehr hineinziehen zu lassen; rote Linien aufzeigen, ohne „Schlafwandler“ zu sein, um den berühmten Begriff von Christopher Clark zum Ausbruch des Ersten Weltkrieges zu verwenden. Im Kern geht es darum, wie und ob wir der Ukraine helfen.

Die Gegner formieren sich – links wie rechts

Die Gegner formieren sich: mit dabei am Rand und Abgrund, wie immer, die AfD und Köpfe wie Björn Höcke, der plötzlich „Frieden schaffen ohne Waffen“ skandiert. Ganz links ebenfalls die üblichen Gestalten, die weiter „mit Putin reden“ wollen. Im Zentrum bildet sich eine neue Allianz aus verstaubtem, fast vergessenem intellektuellem Inventar der alten Bundesrepublik (Alice Schwarzer, Jürgen Habermas, Konstantin Wecker) sowie pop-philosophischen Allroundern, die man anruft, wenn man eine schnelle Metaebene braucht (Richard David Precht). Wobei Habermas in seinem Essay in der „Süddeutschen Zeitung“ noch den differenziertesten Blick auf den inneren Zwiespalt und Konflikt der Deutschen geworfen hat, deren historische Lehren aus dem Zweiten Weltkrieg durcheinandergeraten sind.

Mit den Skeptikern der ersten drei Krisen hatte ich manche Probleme – wobei die Euro-Kritiker noch die besten Argumente hatten. Die neuen Kritiker der Waffenhilfe für die Ukraine aber geben mir Rätsel auf. Die Argumentation geht so: Wir brauchten einen „Kompromiss“ mit Putin, sagen sie; je mehr Waffen der Westen liefere, desto länger dauere der Krieg, desto gefährlicher werde der Krieg und die mögliche Eskalation (Stichwort: „Dritter Weltkrieg“, was man halt so fallen lässt, während man die Heizung runterdreht).

Besser also, wir reden mit den Russen, deren Sicherheitsinteressen schließlich über Jahre missachtet worden seien. Und wir überzeugen die Ukrainer, sich nicht so vehement und tapfer zu verteidigen.

Das Eskalationspotenzial ist noch das beste Argument: Wir liefern Waffen in einen Krieg, die zum Einsatz gegen eine Nuklearmacht kommen, die sich in einer Art „Endgame“ befindet, in einem aus ihrer Sicht „existentiellen Kampf“, wie der Historiker Adam Tooze sagt. Das ist und bleibt hochexplosiv. Tooze wunderte sich auch, warum die Waffenlieferungen so offen erfolgen, in früheren Stellvertreterkriegen wie Afghanistan habe man die Waffen dagegen heimlich geliefert. Heute sind schwere Waffen ja „Trending Topic“ auf Twitter.

Ein schnelles Kriegsende ist in weiter Ferne

Wie lange aber die Ukrainer und Ukrainerinnen kämpfen und ihre Heimat verteidigen sollen, würde ich schon den Ukrainern überlassen zu entscheiden – statt darüber aus der dann immer noch gut beheizten Altbauwohnung zu dozieren. Vor allem aber verkennen Schwarzer & Co., dass wir weit davon entfernt sind, eine Art neuen KSZE-Prozess mit Russland aufsetzen zu können.

Wenn wir ehrlich sind, kristallisiert sich erst jetzt das eigentliche Kriegsziel heraus: Als die Ukraine überfallen wurde, hieß es etwas abstrakt, dass man erstens Putin stoppen müsse und zweitens, für mich schon fast zu überhöht, dass man hier die Freiheit und Demokratie an sich verteidige. Was angesichts des Grauens auch zu einer gewissen Verklärung der Ukraine geführt hat, die weit davon entfernt ist, in die EU aufgenommen zu werden.

Unterbewusst aber bauten viele Szenarien auf ein schnelles Kriegsende: durch einen Sieg Russlands oder eine Kapitulation der Ukraine, durch einen Waffenstillstand und eine „diplomatische Lösung“ – oder einen Sturz Putins, die „Brutus-Lösung“. Nach zwei Monaten müssen wir erkennen, dass diese Szenarien in weiter Ferne sind, dass sie auch Wunschdenken waren.

Die Amerikaner scheinen das am ehesten erkannt zu haben, weshalb der US-Kongress gerade ein Hilfspaket von 40 Mrd. Dollar genehmigt hat. Es geht nicht mehr nur darum, der Ukraine zu helfen – sondern Russland so weit zu schwächen, dass Putin auf absehbare Zeit keine weiteren Angriffskriege führen kann. Für Europa sollte man hinzufügen: und all das, ohne sich dabei selbst mehr zu schwächen, als man Russland schadet. Was man durch einen einseitigen Gasstopp nach dem Ölembargo tun würde. Der „Kompromiss“ mit Putins Regime ist eine der bizarrsten Illusionen der deutschen Debattenkultur seit Jahren.

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