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Kolumne Indiens Absturz ist hausgemacht

Indiens Regierung und Opposition dienen sich mit populistischen Manövern bei den Wählern an – und legen damit die Wirtschaft lahm. Von Jagdish Bhagwati
Jagdish Bhagwati, geb. 1934 in Mumbai, ist Professor für Wirtschaft, Recht und Internationale Beziehungen an der Columbia University. Er ist ein leidenschaftlicher Verteidiger der Globalisierung
Jagdish Bhagwati, geb. 1934 in Mumbai, ist Professor für Wirtschaft, Recht und Internationale Beziehungen an der Columbia University. Er ist ein leidenschaftlicher Verteidiger der Globalisierung
© Laif

Das ökonomische Quartett: David McWilliams, Jagdish Bhagwati, Heleen Mees, Michael Pettis. Jeden Monat schreibt hier einer dieser vier Ökonomen. Sie stammen aus verschiedenen Ländern, und jeder hat damit eine andere Perspektive auf die Welt.

In Indien wird erst 2014 gewählt, doch schon jetzt wirft die Abstimmung ihre Schatten voraus und lähmt die Wirtschaft. Die Regierung mit ihrem müden Personal aus der Kongresspartei sieht sich dem Druck der oppositionellen Bharatiya Janata Party ausgesetzt. Das Ergebnis erinnert an die dunkle Zeit vor den Reformen von 1991, die Indien wirtschaftlich transformierten: Die Wachstumsrate hat sich in den vergangenen zwei Jahren nahezu halbiert. Eine hohe Inflation setzt der Mittelschicht zu. Die indische Rupie hat signifikant an Wert verloren.

Nichts von alledem geht auf externe Einflüsse zurück. Die schlechte wirtschaftliche Bilanz ist hausgemacht. Zu den Hauptgründen für die Malaise gehören die sinkenden Investitionen des Privatsektors. Wegen zahlreicher Korruptionsskandale der Kongresspartei behandeln die Behörden Genehmigungsanträge nur noch sehr zögerlich. Beamte verlieren nichts, wenn sie Entscheidungen aufschieben. Doch sie riskieren ihren Lebensunterhalt, wenn eine heikle Genehmigung zur Kündigung führt.

Außerdem sind dringend nötige Reformen verzögert oder verwässert worden. So ist es zum Beispiel der Gesetzesinitiative ergangen, die Indien für ausländische Supermarktketten wie Wal-Mart öffnen sollte. Dagegen hatten nicht nur Vertreter der Opposition protestiert, sondern auch heimische Ökonomen mit Unterstützung durch US-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz, dessen Indienkenntnisse sich antiproportional zu seiner weltweiten Bekanntheit verhalten.

Vertane Chancen

Stiglitz lehnte die Reform ab mit Verweis darauf, dass der Konzern in den USA wegen billiger Importe in der Kritik steht. Am Rande bemerkt: Selbst die niedrigeren Kasten in Indien befürworten die Öffnung des Heimatmarkts für ausländische Supermärkte, denn traditionell dominieren die oberen Kasten den Handel. Nicht nur wirtschaftlich, sondern auch gesellschaftlich wurde hier eine Reformchance vertan.

Indische Rupien: Das Land leidet unter einer Inflation
Indische Rupien: Das Land leidet unter einer Inflation
© Getty Images

Enttäuschenderweise hat auch der Gouverneur der indischen Notenbank, Raghuram Rajan, Stiglitz’ irreführende Einlassungen nicht geradegerückt. Rajan war zuvor Chefvolkswirt im Finanzministerium. Dort war er verantwortlich für eine Studie, in der die indischen Bundesstaaten nach ihrer wirtschaftlichen Entwicklung eingestuft wurden. Das Resultat war nicht nur methodisch fragwürdig; es diente vor allem dem Zweck, die Opposition zu diskreditieren, die in Gujarat die Regierung stellt.

Rajans Komplizenschaft in dieser Sache lässt mich zweifeln, ob er sich gegen die populistische Ausgabenflut stellen wird, die Folge der Regierungspolitik vor den Wahlen ist. So gibt es in Indien seit Kurzem nicht mehr nur ein Recht auf Ausbildung, sondern auch eines auf Nahrung. Dessen Durchsetzung ist nur mit massiven neuen Ausgaben zu erreichen – die Staatseinnahmen sind allerdings zuletzt gesunken.

Indien driftet abwärts

Alles deutet im Moment darauf hin, dass die Inflation anhält. Die Situation in Indien ist genau gegenläufig zur Lage in Amerika: Die Vereinigten Staaten stehen vor einer extrem restriktiven Fiskalpolitik, Indien droht eine Ausgabenexplosion. In den USA ist Notenbankchef Ben Bernanke in der Lage, durch Geldpolitik Abhilfe zu schaffen. Rajan kann das nicht. Zum einen ist die Zentralbank nicht autonom, zum anderen wird er dazu neigen, sich mit der Regierung zu arrangieren.

Indiens finanzielles Chaos und wirtschaftlicher Abstieg dürften sich also vorerst fortsetzen. Zahlreiche Wähler sehnen den Tag der Abstimmung herbei und hoffen, dass die Politik danach nicht an die jüngsten Fehler anknüpft, sondern an die Erfolge aus der Zeit nach 1991.

Der Text stammt aus der aktuellen Capital. Hier können Sie sich die iPad-Ausgabe der neuen Capital herunterladen. Hier geht es zum Abo-Shop, wenn Sie die Print-Ausgabe bestellen möchten.

Mehr vom Ökonomischen Quartett: Die Tricks der EZB von David McWilliams

Zum Thema Indien siehe auch: Demografie ist Indiens Trumpf

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