Üblicherweise ist es der Hauptstadtpresse überlassen, pikante und brisante Einzelheiten aus den internen Rangeleien der Regierung in Erfahrung zu bringen und an die Öffentlichkeit zu tragen. So gesehen hat der Heckmeck um das Heizungsgesetz – offiziell: Gebäudeenergiegesetz (GEG) – die Berichterstattung doch erheblich erleichtert.
Auf offener Bühne und über Monate hinweg hat sich die Ampel an „Habecks Heiz-Hammer“ abgearbeitet, kleine wie große Gemeinheiten ausgetauscht und das Klima in der Koalition an einen Tiefpunkt befördert. Nun hat das große Drama ein (einigermaßen) versöhnliches Ende gefunden: Die Mehrheit der Ampel-Fraktionen hat das GEG am Freitagmittag im Bundestag verabschiedet. Fünf denkwürdige Szenen aus einem Polit-Theater, das niemand in der Ampel mehr aufgeführt sehen will.
1. Der Dammbruch
Der Beginn des Dauerzoff-Dramas lässt sich wohl auf den 2. März 2023 datieren. Die „Bild"-Zeitung berichtet über einen „Energie-Hammer“ aus dem Hause Robert Habecks (Grüne), wonach der Wirtschaftsminister Öl- und Gasheizungen ab 2024 verbieten wolle. Stimmt in dieser Absolutheit zwar nicht, zumal auch Bauministerin Klara Geywitz (SPD) mitverantwortlich zeichnet. Für Aufregung sorgen die vermeintlichen Habeck-Pläne trotzdem – obwohl sie schon im Koalitionsvertrag angesungen und vom gesamten Ampel-Kabinett mitgetragen werden.
Oder etwa doch nicht?
Der gewichtige Gesetzentwurf gelangt durch eine Indiskretion vorzeitig an das Boulevardblatt. „Bewusst“, donnert ein sichtlich abgekämpfter Wirtschaftsminister Habeck im Fernsehinterview, „um dem Vertrauen in der Regierung zu schaden“, Gespräche seien absichtlich zerstört worden, „des billigen taktischen Vorteils wegen“. Besonders auf Drängen der FDP erlebt das GEG einige Metamorphosen, wird mehrfach abgeschwächt. Das Klima in der Koalition erreicht einen Tiefpunkt.
2. Die Atombombe
Ein neuer Protagonist tritt auf den Plan, der jahrelang keine größere Rolle mehr gespielt hatte: Frank Uwe Schäffler, einst „Euro-Rebell“ und plötzlich der heimliche „Heizungsheld“ der Liberalen. Er schafft, was ihm in seiner Karriere schon einmal gelungen ist: Er spürt den Unmut in Partei und Fraktion früher als andere, offenkundig auch früher als Parteichef und Finanzminister Christian Lindner. Einst in der Euro-Politik, nun in der Ampel-Reformwerkstatt.
Dass „Habecks Heiz-Hammer“ keinen liberalen Segen genießt, bringt Schäffler in einer Fraktionssitzung auf diese Formel: der Entwurf sei „eine Atombombe für unser Land“, Führende FDP-Politiker springen auf seinen Rebellionszug auf, der noch einige denkwürdige Stopps einlegen wird: Auf dem FDP-Parteitag im April bringt Schäffler einen Antrag gegen den umstrittenen Heizungstausch durch, später sammelt er 101 Fragen zum GEG an Habeck – und sorgt damit für reichlich Verwirrung und Kopfschütteln.
3. Der Heilmann-Hammer
Mittwoch in der letzten Sitzungswoche vor der parlamentarischen Sommerpause. In der Cafeteria des Bundestages sitzt am frühen Nachmittag ein Mann und isst ganz gemütlich Gemüse-Lasagne: Es ist Thomas Heilmann, der CDU-Abgeordnete, der dieser verrückten Woche einen noch verrückteren Spin geben wird.
Heilmann hat in Karlsruhe im Alleingang gegen das schnelle parlamentarische der Ampel bei der Durchsetzung des Heizungsgesetzes geklagt. Sollte das Gericht seinem Antrag auf einstweilige Anordnung stattgeben, kann das Heizungsgesetz am Freitag, dem letzten Sitzungstag, nicht verabschiedet werden.
Heilmann ist an diesem Tag ein gefragter Mann. Erst sitzt ein Kollege aus der CSU bei ihm, dann eine Gruppe von stern-Journalisten und schließlich der frühere Gesundheitsminister Hermann Gröhe, ein Parteifreund Heilmanns. Die Entscheidung aus Karlsruhe lässt weiter auf sich warten.
Dann, um 22.11 Uhr, fällt der Heilmann-Hammer.
Das GEG kann vor der Sommerpause nicht verabschiedet werden, der Knall aus Karlsruhe trifft auch die Kanzlerpartei SPD bei ihrem traditionellen Hoffest völlig unvorbereitet. Es gibt keine offizielle Sprachregelung, die wichtigeren anwesenden Koalitionäre holen sich erstmal ein Bier oder einen Weißwein. Dann: Krisensitzung. Es wird spät. Am Tag nach der Entscheidung geben sich die Koalitionäre zwar demonstrativ gelassen, geloben ein geordnetes Verfahren nach der Sommerpause. Doch sie wissen: Der Ampel stehen nun harte Tage bevor. Denn nach dem Urteil ist vor den Schuldzuweisungen.
4. Die Habeck-Reflektion
Jede Tragödie hat einen tragischen Helden, in diesem Stück ist es definitiv Robert Habeck: Wie kein Zweiter hat ihm das GEG politisch zugesetzt, seine Beliebtheitswerte in den Keller rauschen lassen – dorthin also, wo die Wählerinnen und Wählern den Wirtschaftsminister wähnten, um ihnen die alte Öl- oder Gas-Heizung höchstpersönlich rauszureißen. Das ist natürlich Quatsch: Habeck würde, wenn überhaupt, jemanden schicken, um das für ihn zu erledigen, versuchten sich einige Grüne in Galgenhumor, als sich die hitzige Debatte um das GEG in der Sommerpause endlich legte. Auch ihre Umfragewerte hat der „Heiz-Hammer“ nach unten geklopft. Was ist schiefgelaufen?
"Diesen Moment von realer Angst – uns geht das Gas aus – zu: Nun mal nicht so viele Zumutungen, den habe ich verpasst“, sagt Habeck vor einigen Tagen in der „stern Stunde“, dem neuen Live-Talk-Format des stern. „Das gebe ich zu, das bricht mir auch keinen Zacken aus der Krone.“ Das mache das Gesetz aber nicht weniger richtig, sagt der Wirtschaftsminister. Die Debatte um das GEG sei „sehr laut“ gewesen. „Und es war nicht immer leicht, die Zwischentöne zu hören, wenn nur gebrüllt wird."
5. Das Ende
Am Freitagmittag, den 8. September 2023, ist es vollbracht: Eine Mehrheit der Regierungsfraktionen verabschiedet das GEG im Bundestag. Ende September muss das Gesetz noch durch den Bundesrat. Dann hat das Theater ein Ende, jetzt aber wirklich.
Oder? Man weiß bei diesem Gesetz ja nie.
Der Beitrag ist zuerst bei stern.deerschienen.