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Kommentar Grüne Barone

Ökologie fördert das Wirtschaftswachstum, heißt es. Doch wie viel Wahrheit steckt hinter dieser These?

Der Baron von Münchhausen verfügte über die Fähigkeit, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen. Können wir das vielleicht auch? Wenn man hört und liest, wie manch einer sich die ökologische Wende vorstellen, könnte man es fast glauben.

Spätestens seit Rio+20, der Konferenz der Vereinten Nationen über nachhaltige Entwicklung im Juni 2012, ist "Green Growth" in aller Munde. Die OECD propagiert eine "Green Growth Strategy". Das United Nations Environment Programme stellt einen "Green Economy Report" vor. Die Internationale Bank für Wiederaufbau und Entwicklung erstellt einen Bericht zu "Inclusive Green Growth", und der US-Zukunftsforscher Jeremy Rifkin prophezeit gar die "dritte industrielle Revolution", in der die Verschmelzung erneuerbarer Energien mit dem Internet ungeahnte wirtschaftliche Höhenflüge ermöglicht.

Die Verheißung hinter all diesen Proklamationen:

Klimaschutz ist nicht nur nötig, um unseren Planeten vor dem Hitzekollaps zu bewahren, sondern fördert zudem Wachstum und Beschäftigung. „Früher häufig als Kostentreiber und Wachstumsbremse verrufen, hat der Umweltschutz das Potenzial zum Wohlstandstreiber moderner Volkswirtschaften“, sagt Jochen Flasbarth, Präsident des Umweltbundesamts.

Die vereinfachte Logik dahinter: Für die Entwicklung und Einführung umweltschonender Technologien werden Kapital und Arbeit benötigt. Ökologische Produkte sind teurer als konventionelle Produkte und schaffen deshalb dort, wo sie produziert werden, höhere Einkommen. Allein in der Erneuerbare-Energien-Branche sind in Deutschland schätzungsweise 340 000 Menschen beschäftigt. UBA-Präsident Flasbarth rechnet bis 2020 mit zusätzlichen 630 000 Arbeitsplätzen, falls die von der Bundesregierung verkündete Energiewende konsequent umgesetzt wird.

In der Öffentlichkeit werden solche Zahlen immer wieder als Beleg dafür herangezogen, dass Umweltschutz nicht nur für die Umwelt, sondern auch für die Wirtschaft gut sei. Es werde sozusagen eine "doppelte Dividende" erzielt, da ökologische und ökonomische Erträge zugleich anfielen. Dabei geht es den Vertretern dieser Sichtweise nicht darum, dass Umweltschutz nötig sei, um langfristig nicht nur die ökologischen, sondern auch die ökonomischen Grundlagen unseres Planeten zu erhalten (wer wollte das bestreiten?). Sondern es wird suggeriert, verstärkte staatliche Interventionen zugunsten des Umweltschutzes würden unmittelbar zu mehr Wachstum und Beschäftigung führen.

Man muss schon tief im Instrumentenkasten der Volkswirtschaftslehre wühlen, um zu dieser Einschätzung eine passende Theorie zu finden. Nach dem Grundmodell der ökonomischen Theorie, das von funktionierenden Märkten in allen Bereichen der Wirtschaft ausgeht, ist der Einsatz knapper Ressourcen für den Umweltschutz zunächst einmal ein Kostenfaktor, der den wirtschaftlichen Wohlstand mindert. Die Zahl rentabler Arbeitsplätze wird insgesamt sinken, falls der Kostenanstieg durch Umweltschutz nicht durch entsprechende Kostenentlastungen an anderer Stelle (zum Beispiel durch Lohnsenkungen) kompensiert wird.

Die Hypothese der doppelten Dividende staatlicher Umweltschutzmaßnahmen beruht aus dieser Perspektive auf einem Denkfehler. Natürlich wird verstärkter Umweltschutz zu mehr Arbeitsplätzen in den Umweltindustrien führen. Hersteller von Windkraftanlagen oder Handwerker, die sich auf die Verlegung chinesischer Solarpanels auf deutschen Dächern spezialisiert haben, sind die Gewinner des "Green Growth". Doch da jeder Euro nur einmal ausgegeben werden kann, wird die Kaufkraft, die in die grünen Industrien fließt, zwangsläufig von anderen Branchen abgezogen. Weitere Verlierer sind dort anzutreffen, wo teure Umweltauflagen erfüllt werden müssen und Arbeitsplätze dadurch unter die Rentabilitätsschwelle rutschen.

Weniger eindeutig sind die Ergebnisse der sogenannten neuen Wachstumstheorie, in der Lernprozesse eine wichtige Rolle spielen. Falls in der Umweltbranche technologische Durchbrüche erwartet werden, von denen die gesamte Wirtschaft beflügelt wird, könnte es sich lohnen, in einer Übergangsphase die Wachstums- und Beschäftigungseinbußen eines verstärkten Umweltschutzes in Kauf zu nehmen.

In diesem Zusammenhang stellen sich eine ganze Reihe von Fragen:

  1. Ist das technologische Potenzial der Umweltindustrien tatsächlich höher als das anderer Branchen? Zumindest bei der Wind- und der Solarenergie ist das zweifelhaft.
  2. Wie verhindert man, dass Fördermittel ins Ausland abfließen? Die Solarförderung beispielsweise kommt überwiegend chinesischen Herstellern zugute, die Photovoltaik-Paneele nach Deutschland exportieren.
  3. Bedarf es wirklich eines Markteingriffs, um Firmen auf Fährten zu setzen, auf die sie allein nie gekommen wären? Verfügt der Staat über ein überlegenes Wissen?



Nur dann könnten staatliche Maßnahmen zum Umweltschutz positive gesamtwirtschaftliche Wachstums- und Beschäftigungswirkungen entfalten.

Einen letzten Strohhalm für die Apologeten des "Green Growth" könnte das Konjunkturargument bieten.

In einer Volkswirtschaft mit hoher Arbeitslosigkeit erhöhen Subventionen für den Umweltschutz möglicherweise die Beschäftigung, wenn die gesamtwirtschaftlichen Produktionskapazitäten nicht ausgelastet sind. Doch auch hier ist die Lage nicht eindeutig.

Erstens: Die Finanzmittel für die grünen Subventionen müssen von anderen Wirtschaftsbereichen aufgebracht werden, die deshalb womöglich ihre Produktion drosseln. Und wenn die Bürger angesichts schuldenfinanzierter Konjunkturprogramme mit höheren Steuern in der Zukunft rechnen, könnten sie ihren Konsum einschränken.

Zweitens: Wenn es in den geförderten Industrien gar keine unausgelasteten Kapazitäten gibt und vielleicht sogar Fachkräftemangel herrscht, würde ein staatlich verordneter Nachfrageschub lediglich zu Preissteigerungen für Umweltgüter führen und nicht zu Wachstums- und Beschäftigungsgewinnen.

Drittens: Wenn sich die allgemeine wirtschaftliche Lage wieder aufhellt, müsste bei solch einem Politikansatz der Umweltschutz zurückgefahren werden, um einer konjunkturellen Überhitzung vorzubeugen. Umweltschutz ist aber ein langfristiges Ziel, das nicht mit kurzfristigen Konjunkturzielen vermengt werden sollte.

Zu berücksichtigen ist zudem die Entwertung alter Sachanlagen, die vor allem dort eine Rolle spielt, wo zum Investitionszeitpunkt noch nicht abzusehen war, wie sich die Umweltauflagen entwickeln würden. Besonders ausgeprägt ist dieser Effekt bei Immobilien.

Wer heute beispielsweise in eine Fassadendämmung investiert, die den aktuellen Vorschriften entspricht, muss damit rechnen - deutlich vor der Amortisierung - die alte Isolierung durch eine neue, den künftigen Vorschriften entsprechende Dämmung ersetzen zu müssen.

Solange nicht absehbar ist, wie die Umweltauflagen der Zukunft konkret ausgestaltet werden, kann es klüger sein, abzuwarten und Investitionen zu verschieben - was das Wachstum hemmt.

Von Amortisationsfristen, die länger sind als der Planungshorizont der Umweltpolitik, ist auch die Energiewirtschaft betroffen. Manches Kohlekraftwerk, das aus betriebswirtschaftlicher Sicht noch Jahrzehnte hätte laufen können, wird vom Netz genommen, weil Steinkohle im Vergleich zu regenerativen Energieträgern rascher an Bedeutung verloren hat, als es vor einigen Jahren absehbar war.

Die Freunde Münchhausens könnten frohlocken, wenn alte Anlagen aufgrund veränderter Vorschriften entwertet würden, weil der Ersatz konventioneller Kraftwerke durch Windräder angeblich das Sozialprodukt steigert. Das ist aber eine Milchmädchenrechnung. Die ökonomische Entwertung von Sachanlagen verringert vielmehr das Produktionspotenzial einer Volkswirtschaft und wirkt tendenziell wachstumsdämpfend.

Wie man es auch dreht und wendet: Die Verheißung, nach der "Green Growth" nicht nur für die Umwelt, sondern auch für Wachstum und Beschäftigung einen Gewinn darstellt, ist ein Trugbild, das in den Erzählungen des Barons von Münchhausen gut aufgehoben wäre, in einem seriösen wirtschaftspolitischen Konzept aber keinen Platz hat. Die erhoffte doppelte Dividende gibt es schlichtweg nicht.

Daraus folgt: Umweltpolitik sollte im Interesse der Umwelt betrieben werden und nicht im Interesse der Wirtschaft. Der Erhalt der Umwelt sollte es uns wert sein, die dafür benötigten Ressourcen aufzubringen und an der einen oder anderen Stelle auf wirtschaftliches Wachstum zu verzichten. Wer nur dann zu Umweltschutz bereit ist, wenn er kostenlos ist, kann es mit der ökologischen Wende nicht sonderlich ernst meinen.

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