Holger Schmieding ist Chefvolkswirt der Berenberg Bank. Er schreibt hier regelmäßig über makroökonomische Themen.
Worum geht es beim griechischen Referendum am Sonntag? Ganz einfach: Will Griechenland so werden wie Spanien, oder will es so enden wie Venezuela, das von Linkspopulisten der schlimmsten Sahra-Wagenknecht-Klasse seit 16 Jahren zugrunde gerichtet wird? Will Griechenland den Euro oder ein Schwundgeld wie den venezolanischen Bolivar?
Griechenlands Premierminister und sein oberster Modeberater mit Nebenberuf als Finanzminister versuchen ihren Wählern etwas ganz anderes einzureden: Es ginge nur darum, bestimmte Sparauflagen abzulehnen. Dann würde Europa ein besseres Angebot machen und alles würde gut. Schon im Januar war es Alexis Tsipras gelungen, seine Wähler zu täuschen. Er hatte ihnen versprochen, er könne mehr Geld ausgeben, als das Land hat. Denn die Welt würde ihm ob seines großen Charismas einfach die Schulden erlassen und darüber hinaus neues Geld schenken, damit er seine ansonsten unbezahlbaren die Wahlversprechen einlösen kann. Weit ist er damit nicht gekommen, außer dass er den damaligen griechischen Aufschwung abgewürgt und sein Land zurück in die Rezession gestoßen hat.
Jetzt hat Tsipras ein Referendum ausgerufen. Da er sich nicht getraut hat, selbst seinem marxistisch-anarchistischen Parteiflügel die Stirn zu bieten, will er jetzt die Wähler über ein Angebot der Gläubiger abstimmen lassen, dass es in dieser Form gar nicht mehr gibt.
Griechenland braucht dringend mehr Euros
Leider ist es auch diesmal nicht ausgeschlossen, dass der charismatische Feigling an der Spitze der links-rechtsradikalen Regierung in Athen genügend Wechselwähler überreden kann, beim Referendum mit „Nein“ zu stimmen.
Was würde ein „Nein“ bedeuten? Ganz einfach. Etwas gesunder Menschenverstand reicht aus, um das zu verstehen. Nach fünf Monaten Tsipras gehen Griechenland die Euros aus. Es musste deshalb bereits die Banken schließen. Aus den Geldautomaten kommen pro Person nur noch höchstens 60 Euro am Tag. Auch damit könnte es Mitte nächster Woche vorbei sein. Griechenland braucht dringend mehr Euros. Nur die Europäische Zentralbank darf Geld drucken, nur die europäischen Institutionen können Griechenland etwas leihen. Diese Institutionen haben Griechenland ein Angebot gemacht: viele Milliarden neue Euro, wenn Griechenland im Gegenzug Auflagen akzeptiert. Wenn Griechenland dazu „ja“ sagt, gibt es neue Euros. Wenn nicht, dann nicht.
Ohne neue Euros kann Griechenland vermutlich schon im Juli nicht mehr alle Renten, Arbeitslosengelder und Löhne in Euros bezahlen. Bittere Armut wäre die Folge. Die Banken hätten keine Euros, die sie an Kunden auszahlen könnten. Möglicherweise müssten sie so lange geschlossen bleiben, bis Athen sich neues Geld gedruckt hat, womit diese Banken dann die Geldautomaten füttern könnten. Für ein bis zwei Wochen hält eine moderne Wirtschaft es ohne Banken aus. Aber auf Dauer bricht ohne sie der Wirtschaftskreislauf zusammen.
Muss ein „Nein“ im Referendum zwangsläufig zum griechischen Austritt aus dem Euro führen? Nein, zwangsläufig ist das nicht. Aber es ist auch nur schwer zu vermeiden. Der politische Wille in den meisten Hauptstädten Europas und beim Internationalen Währungsfonds, Griechenland nach einem „Nein“ ein besseres Angebot zu machen, dürfte bei nahe Null liegen. Bei den Entscheidungsträgern in Europa und Washington handelt es sich nicht um Spieltheoretiker, die schlaue Bücher über abgehobene Strategien schreiben können. Nein, es handelt sich um Erwachsene: sie können ein „Nein“ als genau das akzeptieren, was es ist: „Nein“ heißt „nein“. Wenn Griechenland „nein“ gesagt hat, hat es eben „nein“ gesagt.
Nur ein Wunder kann Athen nach einem Nein helfen
Auch rein technisch wäre es nach einem „Nein“ schwierig, noch einmal die Kurve zu kriegen. Neue Verhandlungen, die nach dem Auslaufen des alten Rettungspaketes notwendig wären, würden bei einem griechischen „Nein“ zum alten Verhandlungsstand langwierig und kompliziert. Aber mit geschlossenen Banken geht die griechische Wirtschaft von Woche zu Woche mehr den Bach runter. Und damit steigt das Loch im griechischen Staatshaushalt. Um das zu schließen, müsste die griechische Seite härtere Sparmaßnahmen akzeptieren, als jene, die sie mit dem Referendum gerade abgelehnt hat. Zugleich müssten die Kreditgeber noch stärker ins Risiko gehen. Das klingt wenig wahrscheinlich.
Bei einem griechischen „Ja“ mit anschließendem Sturz der jetzigen Radikal-Regierung würde sich in der Hoffnung auf eine bessere Wirtschaftspolitik danach der griechische Konjunkturausblick hinreichend aufhellen, um kurzfristige Haushaltslücken überbrücken zu können. Im Wirtschaftschaos nach einem „Nein“ ginge das nicht. Nach einem „Nein“ könnte wohl nur ein kleines politisches Wunder Griechenland noch lange im Euro halten. Wunder sind nicht unmöglich. Aber wetten sollte man auf sie nicht.
Manch clevere Volkswirte gerade auch in Deutschland glauben sogar, ein Ausstieg aus dem Euro wäre gut für Griechenland. Nicht nur aus Münchner Elfenbeintürmen erschallt dieser weltfremde Ruf. Völliger Unsinn. Griechenland braucht Reformen, Vertrauen und Stabilität. Im Jahr 2014 hat das Land gezeigt, dass es im Euro einen Touristenrekord feiern kann – ganz ohne Weichwährung. Der aktuelle Einbruch der Investitionen hat nichts mit mangelnder Wettbewerbsfähigkeit zu tun. Stattdessen spiegelt er die Angst vor einer neuen Drachme.
Höchstens ein abschreckendes Beispiel
Dabei wäre ein neues griechisches Notgeld nicht einmal mit der alten Drachme vergleichbar. Der Wert des Geldes gründet auf Vertrauen. Die alte Drachme konnte sich auf ein Mindestmaß an Vertrauen stützen. Weit weniger als die D-Mark, aber immerhin. Einem neuen griechischen Geld, herausgegeben in solch einer Krise und von solch einer Regierung mit einem Bankensystem, dass ohne Euros sofort bankrott wäre, würde das Vertrauen fehlen.
Sein Kurs dürfte einbrechen, rasant steigende Einfuhrpreise würden die sozial schwachen Bevölkerungsschichten schlagartig noch weiter verarmen lassen. Und die Finanzturbulenzen in Griechenland schrecken Investoren ab und vernichten damit Arbeitsplätze. Die Gefahr wäre groß, dass dem auch politische Turbulenzen folgen würden, sobald Wähler merken, wie sehr sie von den Linksradikalen in die Irre geführt wurden. Ein Investitionsstandort wäre Griechenland damit nicht. Höchstens ein abschreckendes Beispiel.
Ein neues griechisches Geld würde eher dem venezolanischen Bolivar ähneln, nicht der alten Drachme. Hoffen wir, dass die griechischen Wähler sich Sonntag für den Euro entscheiden. Aber das Risiko, dass sie ihrem charismatischen Radikalpopulisten an der Spitze ihrer Regierung noch einmal auf den Leim gehen, ist leider erheblich.