Manche Sherpas kommen gar nicht mehr dazu, ihre Koffer auszupacken. Bis zum 24. August tummelten sich die Vertreter der fünf BRICS-Staaten in Südafrika, am vergangenen Wochenende sahen sie sich beim G20-Gipfel in Neu-Delhi alle wieder. Nie gab es so viele Gipfeltreffen wie heute – und nie waren sie so sinnlos.
Seit Indien den Vorsitz der G20 führt, trafen sich die Mitgliedsstaaten insgesamt zwölf Mal auf Ministerebene. Und jedes Mal gingen sie in diesen neun Monaten ohne gemeinsames Abschlussprotokoll auseinander. Schon vor dem Gipfel der Staatschefs in Neu-Delhi stand fest, dass es ohne Einigung zu Ende gehen würde.
Bei den Gipfeltreffen der verschiedensten Art geht es nur noch um Prestigepolitik, nicht mehr um Sachfragen. So sonnt sich die Regierung Modi als Gastgeber im Licht der Aufmerksamkeit als neue politische und wirtschaftliche Weltmacht – legt aber sichtlich keinen Wert darauf, internationale Probleme zu lösen. US-Präsident Joe Biden wollte das Treffen in Neu-Delhi umgekehrt nutzen, wie schon vorher klar war, um China einen weiteren Dämpfer zu versetzen. Weil Staats- und Parteichef Xi gar nicht erst anreiste, konzentrierte sich alles auf die neue Freundschaft zwischen Indien und den USA. Ein Punktsieg für Biden, aber auch nicht mehr.
Lösungen im Ukraine-Krieg: Fehlanzeige
Zur Lösung der wichtigsten internationalen Streitfrage können die Gipfeltreffen nichts beitragen: zur Beendigung des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine. Solange der Aggressor mit am Verhandlungstisch sitzt, der sich die Vernichtung seines Gegners auf die Fahnen geschrieben hat, bleibt es allerhöchstens bei hohlen Phrasen wie beim letzten G20-Gipfel auf Bali. Damals feierte man es im Westen schon als Sieg, dass die „meisten“ Staaten den Krieg „auf das Schärfste“ verurteilen, aber durchaus nicht alle.
Ein Land wie Russland, dass sich seit nunmehr anderthalb Jahren schwerster Kriegsverbrechen schuldig macht, hat im Kreis der zivilisierten Nationen nichts zu suchen. Ein Diktator wie Wladimir Putin, dem in den meisten G20-Staaten die sofortige Verhaftung droht, verwandelt durch seine Beteiligung jede internationale Begegnung in eine Kumpanei. Und doch sorgen nicht allein die Chinesen dafür, sondern auch die Saudis und einige andere G20-Staaten, dass Russland weiter auf großer Bühne spielt. Nur die Hauptrolle besetzt nicht mehr der Feigling Putin, der sich nicht außer Landes traut, sondern sein zynischer Außenminister Sergei Lawrow.
Eindeutig positionieren sich nur die Nato-Länder, Japan, Südkorea, Australien und einige andere prowestliche Staaten. Diesen Kreis der Ukraine-Unterstützer nachhaltig zu erweitern, ist den USA nicht gelungen. Im Zweifel ist den meisten Staaten des „kollektiven Südens“ die wirtschaftliche Jacke näher als die politische Hose. Sie verfolgen ihre ganz eigenen Interessen ohne Rücksicht auf die Folgen des Kriegs. Billiges russisches Erdöl zählt mehr als alles andere.
Für die EU-Länder und Deutschland folgt daraus: Nur auf die Staaten der Ukraine-Koalition kann man sich am Ende halbwegs verlassen. All die schönen Worte von der „multipolaren Welt“ kann man getrost vergessen, wenn es hart auf hart kommt.